Indonesien-Information Nr. 1 2001 (Zeitgeschichte)

Sexuelle Versklavung muss geahndet werden

Das Frauentribunal 2000 in Tokio1

von Marianne Klute

Das Problem der jugun ianfu (Trostfrauen) aus Indonesien und Ost-Timor ist mehr als ein halbes Jahrhundert totgeschwiegen worden. Mardiyem aus Yogyakarta war die erste Indonesierin, die 1996 an die Öffentlichkeit trat und von ihrem Schicksal als comfort woman des japanischen Militärs berichtete. 13 Jahre war Mardiyem alt, als sie während der japanischen Besetzung Indonesiens (1942-1945) in ein Bordell für japanische Soldaten in Banjarmasin verschleppt wurde. Erst als alte Frau brachte sie den Mut auf, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Wenn auch ihr Bekenntnis für sie den Verlust ihres Lebensunterhalts zur Folge hatte, so ermutigte es doch mehrere Hundert Indonesierinnen, ihr Schweigen zu brechen. Mit der Hilfe der Rechtshilfeorganisation LBH forderten sie in den 90er Jahren, wie einige ihrer Leidensgenossinnen aus den von Japan kolonialisierten und besetzten Ländern, von der japanischen Regierung Entschädigungen und vor allem eine Entschuldigung. Vergeblich.

Frauen und Mädchen aus Indonesien und aus Ost-Timor waren unter den schätzungsweise 200.000 comfort women, die während des Asien-Pazifik Krieges (1931-1945) vom japanischen Militär in so genannte comfort stations gezwungen und sexuell versklavt und missbraucht wurden. Die anderen Frauen stammten aus Korea, Taiwan, Philippinen, China, Vietnam und aus den Niederlanden. Diese Form der sexuellen Gewalt verstieß auch damals gegen internationale Abkommen, doch ist sie im Friedensabkommen von 1951, auf das die japanische Regierung sich beruft, nicht einmal erwähnt, geschweige denn geahndet worden. Klagen einzelner Frauen vor japanischen Gerichten wurden in den vergangenen Jahren daher immer wieder abgewiesen; nach japanischer Auffassung haben die Frauen kein einklagbares Recht auf Entschädigung. Nur ein privater Hilfsfond wurde eingerichtet, aus dessen Mitteln in Indonesien Häuser für die ehemaligen jugun ianfu errichtet wurden. (Kaum eine der Frauen hat sich überwinden können, dort einzuziehen.)

Spät, viel zu spät für die meisten der Betroffenen - viele sind längst gestorben, die Überlebenden sind inzwischen 70 bis 80 Jahre alt -, wird jetzt den damals Verantwortlichen der Prozess gemacht. Frauengruppen verschiedener Länder, unter ihnen Koalisi Perempuan Indonesia untuk Keadilan dan Demokrasi (Frauenkoalition Indonesiens für Gerechtigkeit und Demokratie), organisierten einen internationalen Menschenrechtsgerichtshof, das ‚Internationale Kriegsverbrechertribunal über Sexuelle Versklavung durch die Japanische Armee 1932 bis 1945'. Dieser kurz ‚Frauentribunal 2000' genannte Prozess fand vom 8. bis 12. Dezember 2000 in Tokio statt. Zwar hat das Frauentribunal 2000 keine rechtsverbindliche Vollmacht, doch vertritt es den Anspruch, eine moralische Autorität zu bilden, die auf der Legitimation einer weltweiten Unterstützung fundiert. Beruhend auf dieser Legitimation hat das Frauentribunal 2000 in konkreter Weise der japanischen Regierung ihre Verantwortung aufgezeigt und international Wirkung erzielt. 75 Überlebende der generalstabsmäßig organisierten sexuellen Versklavung konnten am Frauentribunal 2000 teilnehmen, unter ihnen Frauen aus Indonesien und Ost-Timor. Ost-Timoresinnen war es zum ersten Mal möglich, die Verletzungen ihrer Menschenrechte und ihrer Würde durch die japanischen Soldaten im 2. Weltkrieg öffentlich bezeugen zu können, nach ihrer Teilnahme an der Vorbereitungstagung in Taipeh im September 2000. Unter schwierigsten Bedingungen haben sie in der knappen Zeit Beweismaterial zusammengetragen und eine Anklageschrift erstellt. "In Ost-Timor", sagte die Anklägerin, "hatten die Opfer bislang überhaupt keinen Ort zu sprechen. Das Tribunal ermutigt uns, sexuelle Gewalt gegen Frauen in der Geschichte unseres Jahrhunderte lang besetzten Landes weiter zu erforschen." 2 Unter dem Vorsitz von Gabrielle Kirk McDonald, der ehemaligen Gerichtspräsidentin des Kriegsverbrechertribunals zum ehemaligen Jugoslawien, hielt das vierköpfige Richterinnengremium das Frauentribunal 2000 symbolisch wie einen ordentlichen Prozess ab. Anerkannte Experten der Gerichts- und der Rechtswissenschaft waren als Gutachter geladen. Neben den profilierten Chefanklägerinnen, unter ihnen die ehemalige Rechtsberaterin für geschlechtsspezifische Verbrechen am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, Patricia Viseur-Sellers, waren Nebenklägerinnen aus acht Ländern, in denen es japanische Militärbordelle gab, delegierte RechtsanwältInnen und WissenschaftlerInnen anwesend. Im Namen von Indonesien erhoben Nursyabani Katjansungkana und fünf weitere Juristinnen Anklage.

Die Anklage legte die Befehlskette und die involvierten Staats- und Militärapparate offen. Sie ließ keinen Zweifel an dem generalstabsmäßig organisierten Charakter der Versklavung. Die Anklageteams der einzelnen Länder überreichten dem Gericht Stapel von Beweismaterial und führten 37 Frauen in den Zeugenstand. Deren Aussagen erschütterten und überzeugten die Anwesenden am stärksten. Viele Frauen berichteten, dass sie als junge Mädchen auf der Straße gefangen genommen wurden oder mit Arbeitsangeboten angelockt wurden. Sie wurden in die comfort stations verschleppt, vergewaltigt und bei Widerstand gefoltert. Es gab keinerlei Fluchtmöglichkeiten. Nach dem Krieg war ihnen kein normales Leben mehr möglich. Unter den seelischen und körperlichen Folgen der Gewalt leidend, wurden sie außerdem oft als ehemalige Prostituierte gemieden. "Ich habe mein Leben verloren", erklärte Teng-Kao Pao-Chu aus Taiwan. "Ich wurde als schmutzig betrachtet. Ich hatte nichts zum Leben, keine Arbeitsmöglichkeiten. Ich habe schrecklich gelitten. Die nächste Generation in Japan muss von meinen Leiden wissen - dass ihre Eltern Schlimmes getan haben." 3

"Schuldig" lautete der vorläufige Urteilsspruch - die ausführliche Urteilsbegründung wird erst nach Prüfung der internationalen Rechtslage Ende April oder Anfang Mai veröffentlicht werden. Schuldig sind die Angeklagten, darunter der ehemaligen Kaiser Hirohito als Oberbefehlshaber der Armee, und die japanische Regierung, die der Vorladung nicht gefolgt war, der institutionalisierten Vergewaltigung, der sexuellen Versklavung, des Frauenhandels, der Folter und anderer sexueller Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das System der ‚Troststationen' wurde als integraler Bestandteil der Kriegsstrategie des japanischen Staates bewertet, dessen Nachfolgeregierungen dafür gerade zu stehen haben. Den Alliierten des 2. Weltkrieges legte das Frauentribunal 2000 zur Last, dass sie, in Kenntnis umfangreicher Beweise und Daten, die an den comfort women begangenen Verbrechen nicht verfolgt und somit mit dazu beigetragen haben, dass in der Folgezeit Zwangsprostitution und sexuelle Gewalt gegen Frauen nicht vor Kriegsverbrechergerichte gebracht wurden. Japan wurde verurteilt, den Opfern angemessene Entschädigungen zu zahlen, sich bei ihnen zu entschuldigen und die Jugend Japans über diese Kriegsverbrechen aufzuklären. Mit privaten Fonds und Reparationsabkommen kann sich kein Staat aus seiner Verantwortung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit ziehen. "Wir wollen Gerechtigkeit. Wir wollen, dass die japanische Regierung die Verantwortung übernimmt. Wir sind nicht gekommen, um zu lügen oder um uns Japan anzusehen. Wir sind gekommen, um die Wahrheit zu sagen," 4 sagte die Ost-Timoresin Esmeralda Boe in Tokio, die bis heute keinen der Namen ihrer Vergewaltiger vergessen hat. Das Frauentribunal 2000 hat in Fortsetzung des ‚Internationalen Kriegsverbrechertribunals im Fernen Osten 1946' die dort außer Acht gelassenen geschlechtsspezifischen Verbrechen behandelt. Es war der erste Prozess in der Geschichte, in dem die sexuelle Versklavung durch das japanische Militär als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde. Dieser Prozess hat das Muster des Schweigens und der Straflosigkeit gebrochen. Nach dem Frauentribunal 2000 kann zu sexualisierter Gewalt gegen Frauen in Kriegen nicht länger geschwiegen werden. Die Teilnehmerinnen des Tribunals hoffen, einen Beitrag für die Wiederherstellung von Gerechtigkeit, Menschenrechten und persönlicher Würde aller Opfer zu leisten - und weitere Verbrechen gegen Frauen zu verhindern. Viele am Frauentribunal 2000 Beteiligte fordern im Bewusstsein des engen Zusammenhangs zwischen Militarismus und sexueller Gewalt die Strafverfolgung sexualisierter Verbrechen in bewaffneten Konflikten und Kriegen. Als geeignetes Instrument erscheint ihnen u.a. ein Internationaler Strafgerichtshof, in dessen Statut Vergewaltigung, sexuelle Versklavung und Zwangsprostitution als Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen sind.

So wichtig es ist, die Geschichte aufzuarbeiten und den Opfern Gerechtigkeit zu verschaffen, so ist es damit nicht getan. Um die Verbindung zwischen der Institution der japanischen comfort stations im 2. Weltkrieg und der Gewalt gegen Frauen in neueren Kriegen und Krisengebieten herzustellen, fand parallel zum Tribunal am 11. Dezember 2000 eine internationale Anhörung zum Thema ‚Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten' statt. Dort wurden die Aussagen von Opfern aus verschiedenen Ländern vorgetragen und bezeugt. "Am 13. September 1999 wurde ich um halb zehn Uhr morgens von Hilario vergewaltigt." lautete die Aussage einer Frau aus Ost-Timor. "Ich wollte mich erst nicht hinlegen, doch Hilario legte eine Granate und ein Messer hin und befahl mir, mich neben ihn zu legen. Ich hatte Angst, und es war furchtbar für mich, weil andere Frauen dabei waren." 5 Diese Frau ist nur eine von vielen, deren Leben durch die Gewalterfahrung zerstört ist, während Täter wie Hilario sich der Straflosigkeit erfreuen. Nach den Aussagen der Ost-Timoresinnen kamen vier ehemalige indonesische jugun ianfu auf sie zu und baten um Verzeihung für die von indonesischen Militärs begangenen Verbrechen.

1 Dieser Beitrag basiert auf dem Artikel von Prozessbeobachterin Gabriela Mischkowski "Ich habe mein Leben verloren". Überlebende sexueller Versklavung im 2. Weltkrieg sagen erstmals vor einem Tribunal in Tokio aus, Bielefelder Stadtblatt Nummer 4, 18. Januar 2001, Seite 8, und den Info-mails 1 - 12 der Japanischen Fraueninitiative Berlin, Arbeitsgruppe `Gewalt gegen Frauen im Krieg', Juli 2000 - Februar 2001, sowie auf Hartono, A. Budi und Dadang Juliantoro: Derita Paksa Perempuan, Jakarta 1997. Siehe auch: Jan Ruff O'Herne: 50 Years of Silence. Comfort Woman of Indonesia, Singapore 1996. Gabi Mischkowski herzlichen Dank für Materialien und Gespräche!

2 zitiert nach Mischkowski

3 zitiert nach Mischkowski

4 zitiert nach Mischkowski

5 Women's Caucus for Gender Justice, New York: Public Hearing on Crimes Against Women in Recent Wars and Conflicts. A Compilation of Testimonies, 11.12.2000

 
 

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