Indonesien-Information Nr. 1 2001 (Zeitgeschichte)

Bestandsaufnahme der Vergangenheitsaufklärung in Indonesien und Ost-Timor

von Andrea Fleschenberg

1. Status quo ante1

Trotz der Untersuchungen durch eine UN-Kommission2 sowie die nationale indonesische Menschenrechtskommission Komnas HAM, die ihren Bericht an den zuständigen Generalstaatsanwalt Marzuki Darusman3 weitergeleitet hat, und trotz erster Schritte in Richtung Strafverfolgung durch die Bekanntgabe einer Liste von Verdächtigen, gab es in Indonesien bisher keine signifikante und überzeugende Vergangenheitsaufklärung zu Ost-Timor.

In Ost-Timor haben Behörden der UN und einheimische Kräfte bereits forensische Beweise aufgenommen und sichteten Dokumente, die von indonesischen Sicherheitskräften dort zurückgelassen wurden. Die UN-Verwaltung (UNTAET) und der Nationale Widerstandsrat der Ost-Timoresen (CNRT) befinden sich jedoch in einer problematischen Situation, da UN-Generalsekretär Kofi Annan in einem diplomatischen Memorandum vom Beginn letzten Jahres nicht der UNTAET, sondern Indonesien die Strafverfolgungskompetenz der diversen in Ost-Timor begangenen Verbrechen übertragen hat. Das Auslaufen des Memorandums im Mai 2000 führte nicht zu direkten Schritten seitens der UN, aber die aktuelle politische Situation in Indonesien - vor allem die Verfassungsergänzung durch die Einführung eines juristischen Rückwirkungsverbotes - führte bei UN-Verantwortlichen zu der Überzeugung, dass in absehbarer Zeit keine Vergangenheitsaufklärung von indonesischen Behörden zu erwarten ist. Die UNTAET ging daher mit der Bildung einer Serious Crimes Unit zur eigenständigen Strafverfolgung in Ost-Timor über.

Im nachfolgenden werden nunmehr die Ereignisse in Indonesien und Ost-Timor in Sachen Strafverfolgung und Vergangenheitsaufklärung erörtert.

2. Aufarbeitung in Indonesien

Bei der Vergangenheitsaufklärung in Indonesien gab es sowohl bezüglich der Aufarbeitung des Suharto-Regimes als auch des Genozids und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Ost-Timor in den letzten Monaten signifikante Rückschritte. Ursache hierfür ist die andauernde Regierungskrise um Präsident Abdurrahman Wahid (Gus Dur) mit allen ihren politischen, sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Durch die zunehmende Schwächung von Gus Dur kommt es nicht nur zu einer weiteren Aufschiebung essentiell wichtiger Reformen, bspw. im Justizwesen4, sondern vor allem zur Stärkung von Kräften und Akteuren, die einer Auseinandersetzung mit dem Regime der Neuen Ordnung sowie Bemühungen, Verantwortliche auszumachen und zur Rechenschaft zu ziehen, negativ bis feindlich gegenüberstehen: Vize-Präsidentin Megawati ist bekannt für ihre Sympathie zu General Wiranto5, einer der führenden Kräfte der 1999er Gewaltverbrechen in Ost-Timor, sowie weiteren hohen Militärs, die von der Schwächung des Präsidenten und den zunehmenden regionalen Unruhen profitieren.6

Die Korruptionsvorwürfe gegen Gus Dur, insbesondere die fehlenden Schritte, diese umfassend aufzuklären, stellen die Kompetenz der Regierung Gus Dur in Sachen Strafverfolgung an sich in Frage7. Mehr denn je ringt Indonesien daher zur Zeit um nationale Einheit und Stabilität.

Infolgedessen werden politische Prioritäten anders gesetzt bzw. mit den daraus resultierenden Ereignissen entschuldigt - es scheint, dass allein anhaltender internationaler Druck eine Vergangenheitsaufklärung herbeiführen kann. Dabei bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass bisher alle Konzessionen in Sachen Strafverfolgung und Vergangenheitsaufklärung in Indonesien politisch motiviert waren bzw. instrumentalisiert wurden.8

Die öffentliche Debatte um eine Vergangenheitsaufarbeitung findet sehr Jakarta-zentriert statt. Doch abseits einer kleinen Gruppe der führenden Elite in Jakarta, die sich für die Aufarbeitung der Vergangenheit einsetzt, vermerkt Zurbuchen, jahrelange Chefin der Ford Foundation in Jakarta, dass die Mehrheit der Bevölkerung eine solche Aufarbeitung als Meilenstein zur Demokratisierung ihres Landes ansieht. Ereignisse wie der Suharto-Prozess, die Flucht seines Sohnes Tommy oder die Nichtverurteilung der TNI-Generäle (TNI = Tentara Nasional Indonesia; die indonesischen Streitkräfte) tragen daher zur Unzufriedenheit mit Regierung und Staat bei.

Es wird gefordert, dass die Kontrollorgane des Regimes der Neuen Ordnung - Militär, Polizei, Nachrichtendienste - zur Rechenschaft gezogen werden.9 Dazu merkte Liem Soei Liong von der Menschenrechtsorganisation Tapol in einem privaten Gespräch Mitte März in Lissabon an, dass insbesondere die Gefahr bestehe, das sich das System der Korruption auch auf den Bereich der Vergangenheitsbewältigung ausdehne. Dies bedeutet, dass anstatt Aufklärung und Strafverfolgung zu betreiben, Opfer mit Schweigegeldern oder Landzuspruch ruhig gestellt werden - ein Prozess der nach Liems Auskünften bereits begonnen hat.

a. Suharto & Co.

Seit Monaten versucht die indonesische Polizei den zu 18 Monaten Haft und 11 Mio. US$ Geldstrafe verurteilten Sohn von Ex-Präsident Suharto, Tommy Mandala Putra, festzunehmen. Tommy konnte rechtzeitig untertauchen, nachdem er Wochen im Voraus vom Plan der bevorstehenden Festnahme in Kenntnis gesetzt worden war. Diese Farce wird noch dadurch verstärkt, dass Gus Dur Tommys Vater, Suharto, wissen ließ, dass dieser im Tausch gegen die Übergabe der hinterzogenen Gelder begnadigt werden würde.10 Das Hin und Her um eine Verurteilung von Suharto, dessen Verfahren im September aufgrund seiner schlechten Gesundheit eingestellt wurde, geht weiter: das indonesische Verfassungsgericht verfügte die Aufhebung des Hausarrests und beauftragte den Generalstaatsanwalt, die Gesundheit Suhartos von einem renommierten öffentlichen Krankenhaus in Jakarta überprüfen zu lassen und ihn bei Verbesserung seines Gesundheitszustandes wegen Korruption erneut vor Gericht zu stellen.11 Positiv zu bewerten ist dabei, dass das Verfahren gegen Suharto nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben wurde (allerdings ohne eine Wiederaufnahmefrist festzulegen!) und einem Gerichtsverfahren in Abwesenheit des Angeklagten zugestimmt wurde. So ließ der neue Justizminister Baharuddin Lopa verlauten: "He will be tried as soon as he gets well."12

b. Auseinandersetzung mit den in Ost-Timor begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Trotz angekündigter Gerichtsverfahren gegen 22 Verdächtige, die mutmaßlich in die Ost-Timor-Verbrechen involviert waren, wurde bisher noch kein Prozess eröffnet. Zwar stimmte Generalstaatsanwalt Darusman der Vernehmung von Eurico Guterres, einem der Hauptverdächtigen, in Jakarta zu, ließ dann aber verlauten, dass weitere Anklagen erst dann prozessiert werden, wenn ein Ad-hoc-Menschenrechtsgerichtshof ins Leben gerufen werde.13

Dieser kann allerdings nur mittels einer Petition des indonesischen Parlaments an den Präsidenten etabliert werden - was in naher Zukunft als unrealistisch gilt. Dementsprechend forderte eine US-Senatorendelegation in einer Resolution vom Februar 2001 einen internationalen Strafgerichtshof für die in Ost-Timor begangenen Verbrechen einzurichten und die Verantwortlichen der TNI wie auch Polizeikommandeure für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen. In der Resolution wird weiterhin die US-Regierung dazu aufgefordert, den Strafverfolgungsbehörden alle verfügbaren, auch geheimdienstlichen, Quellen zur Verfügung zu stellen und aktiv einen entsprechenden internationalen Gerichtshof zu unterstützen.14

Obgleich General Wiranto in allen vorgelegten Untersuchungsberichten als Verdächtigter aufgeführt wird, fehlt sein Name auf der von der Generalstaatsanwaltschaft erstellten Liste von Verdächtigen. Angeblich seien die Beweise für eine Anklage nicht ausreichend. Dabei gilt gerade Wiranto als einer der Drahtzieher der 1999er Gewalt. Wiranto hatte sich bei dem Blutbad zum Komplizen gemacht und verfügt über umfangreiches Wissen zur erfolgten Gewalt und Zerstörung in Ost-Timor, erklärte jüngst John McCarthy, Australiens Botschafter in Jakarta.15 Auch James Dunn, UN-Berichterstatter zu Kriegsverbrechen in Ost-Timor, ließ verlauten, neue Beweise gefunden zu haben, die belegen, dass hohe indonesische Militärs "actively directed and organised the political violence".16

Wirantos Reaktion auf die Vorwürfe waren ebenso absehbar wie prompt erfolgt: die UN-Strafverfolgungs-maßnahmen seien falsch und seine Männer sowie er selbst unschuldig: "I know they were innocent. They were my best men, appointed to carry out a difficult mission there. Instead of being rewarded, they are named as suspects. It makes me very sad. (...) The violence took some victims after the referendum was carried out with vulgar fraud." Aufgrund dieser Aussagen scheint Wiranto aber nur sich selbst zu schaden, da diese dem internationalen Druck für einen internationalen Strafgerichtshof zu Ost-Timor (genau wie das Rückwirkungsverbot und die Regierungskrise) neue Nahrung liefern.17 So ließ Aderito de Jesus, Direktor des Sahe Instituts of Liberation, vor dem Ad-hoc-Komitee für Menschenrechte verlauten, dass die UN Indonesien eine Frist für die Strafverfolgung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit setzten müsse.18

Es bleibt jedoch anzumerken, dass die Etablierung eines internationalen Gerichtshofes durchaus nicht garantiert ist, da zu befürchten steht, dass die beiden ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates Russland und China angesichts ihres eigenen Vorgehens in Tschetschenien bzw. Tibet von ihrem Vetorecht Gebrauch machen könnten.19 (Es ist leider festzustellen, dass verschiedene Staaten, diese bloße Möglichkeit eines Vetos bereits zum Anlass nehmen, selbst von der Forderung nach Einrichtung eines internationalen Gerichtshofes Abstand zu nehmen, d. säzzer)

Die größte Kontroverse dreht sich allerdings um Eurico Guterres, einer der Hauptanführer der timoresischen Milizen und nunmehr erklärter indonesischer Nationalheld, der seit seiner Haftentlassung unter Hausarrest steht. UNTAET-Chef Sergio de Mello äußerte dazu, dass sich das indonesische Justizsystem vollständig diskreditiere, sollte es Guterres aus der Haft entlassen.21 Nachdem offensichtlich wurde, dass Indonesien keinen seiner Militärangehörigen noch einen der nach Indonesien geflüchteten ost-timoresischen Milizionäre den UN-Behörden in Ost-Timor ausliefern würde, ersuchten die UNTAET-Staatsanwälte um ein Verhör von Eurico Guterres in Jakarta. Dieser verweigerte sich mit den Worten: "What had happened in East Timor at that time was a collective sin, so not only I should be held responsible for that."22 Dabei scheint Guterres zu vergessen, dass das internationale Strafrecht nicht von Kollektivschuld, sondern von individueller Schuld ausgeht und bereits eine Anzahl von Personen - sowohl pro als auch kontra Unabhängigkeit - für die von ihnen zu verantwortenden Verbrechen angeklagt wurden.

c. Indonesiens Truth and Reconciliation Commission

In Indonesien scheinen sich die verschiedenen Ebenen und Dimensionen der Vergangenheitsaufklärung in einer Truth and Reconciliation Commission (TRC) zu kanalisieren. Obgleich die Schwierigkeit gesehen wird, in einem Umfeld zu operieren, das von stagnierenden Reformen, fehlenden politischen Plänen und Visionen und einem nicht funktionierenden Justizsystem geprägt ist, verspricht sich Komnas HAM von einer unabhängigen Wahrheitskommission eventuell sogar neuen Antrieb für den Prozess der politischen Transition, wenn Empfehlungen der Kommission in die Verbesserung von Institutionen und deren Handeln einfließen. Komnas HAM unterstreicht aber auch, dass eine Wahrheitskommission allein nicht ausreichend ist, um den Kreislauf der Straflosigkeit zu durchbrechen. Spezifische Einzelfälle von Menschenrechtsverletzungen, für die genügend Beweismaterial und Zeugen verfügbar sind, sollten vor Gericht verhandelt werden.23 Nach Zurbuchen gab es bereits mehrere Vorschläge für eine Truth and Reconciliation Commission, bspw. unter der Regierung Habibie sowie von Gus Dur selbst (Independent Commission for National Reconciliation), bevor er Präsident wurde.24

Die Einrichtung einer Truth and Reconciliation Commission ist bereits im Gesetz über Menschenrechtsgerichte vorgesehen, das am 6. November 2000 vom indonesischen Parlament verabschiedet wurde. Zur Konkretisierung bedarf es eines weiteren Gesetzes über Wahrheits-kommissionen. Einen Entwurf hierfür hat eine Arbeitsgruppe unter Federführung des Menschenrechtsinstituts ELSAM (Institute for Policy Research and Advocacy) erarbeitet, an der auch Komnas HAM und das Justizministerium beteiligt ist. Der Gesetzentwurf orientiert sich stark am südafrikanischen Modell orientiert und sieht u.a. folgende Punkte vor:

Kritik wurde insbesondere geäußert aufgrund der einseitigen Anlehnung an das Konzept der südafrikanischen Wahrheitskommission und der dadurch bedingten fehlenden Flexibilität zur Berücksichtigung lokaler kultureller Rahmenbedingungen, der Schwierigkeit glaubwürdige, unparteiische und nicht korrupte Kommissionsmitglieder zu bestimmen sowie an den unklaren Kriterien, wann ein Fall vor einem Menschenrechtsgericht verhandelt oder von der Wahrheitskommission angehört wird.25

Weiterhin bleibt kritisch anzumerken, dass die im Gesetzentwurf enthaltene Amnestieklausel in die falsche Richtung weist. Durch Amnestierung wird der Teufelskreislauf der politischen Gewalt sowie der generellen Kultur der Gewalt in Indonesien nicht durchbrochen werden können. Sie bewirkt zudem eine kontinuierliche Diskriminierung und soziale Ausgrenzung der betroffenen Opfer, die kein Vertrauen in den Staat, seine Vertreter sowie in das neue politische System gewinnen und sich somit kaum in selbiges integrieren werden können.

3. Aufarbeitung in Ost-Timor

a. Initiativen der UNTAET

Im Bericht des UN-Sicherheitsrates vom 16.01.2001 wird zum Thema Vergangenheitsaufklärung ausgeführt, dass die von der UNTAET gebildete Serious Crimes Investigation Unit zwei Kategorien der 1999er Verbrechen verfolgt: Verbrechen gemäß dem indonesischen Strafgesetzbuch sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Mord, Folter, Zwangsdeportationen der Zivilbevölkerung).26

Dieses an sich vielversprechende Konzept der Strafverfolgung durch die UNTAET geht in der Praxis jedoch nur schleppend voran, was zum größten Teil auf mangelnde finanzielle, materielle als auch humane Ressourcen zurück zu führen ist. Die UNTAET-Verwaltung muss das Justizsystem komplett neu aufbauen und kann dabei nur auf wenige und unerfahrene timoresische Richter und Anwälte zurückgreifen.27 Das UNTAET-Gericht setzt sich zur Zeit mit drei Richtern aus Ost-Timor, Italien und Burundi international zusammen.

Ein weiteres Problem der Strafverfolgung durch die UNTAET ist die mangelnde Kooperation nicht nur seitens Indonesiens, das damit das Kooperationsmemorandum verletzt28, sondern auch seitens westlicher Regierungen. Beispielsweise weigert sich die australische Regierung den UNTAET-Behörden geheimdienstliche Tonbandmitschnitte, u.a. von General Wiranto, als Beweismaterial zugänglich zu machen. Diese von den Regierungen der USA und Australiens durch ihre Geheimdienste erlangten Materialien enthalten u.a. Fotographien von Massakern mit entsprechenden Ortsangaben von Massengräbern, so Geheimdienstspezialist Professor Desmond Bell vom Strategic and Defence Studies Centre der Australian National University.29

Daher fokussieren sich die Strafverfolgungsbemühungen der UNTAET zunächst auf die folgenden fünf Fälle, wobei sowohl TNI-Offiziere als auch Milizangehörige zu den Angeklagten zählen:

Im Falle Lautem wurden bislang 11 Personen angeklagt, wovon sich 9 Personen bereits in UNTAET-Haft befinden. Einer der beiden - wahrscheinlich in Indonesien - noch auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten ist der ehemalige Kommandeur der militärischen Elitetruppe Kopassus in Los Palos, Lt. Sayful Anwar. Anwar ist der erste indonesische Militärangehörige, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Ost-Timor angeklagt wurde. Die Regierung in Jakarta weigert sich jedoch trotz eines internationalen Haftbefehls, ihn auszuliefern. Die neun in Haft befindlichen Personen sind fast ausschließlich Angehörige der Team Alfa-Miliz (Jati Merah Puti), die sich für mindestens 13 Morde zu verantworten haben. Der Verteidiger der ost-timoresischen Angeklagten, Cancio Xavier, forderte, dass das Verfahren erst dann fortgesetzt werden sollte, wenn auch der indonesische Angeklagte von der TNI vor Gericht erscheine: "My clients are merely the small fish who were exploited by military leaders."31 Es bleibt jedoch zu beachten, dass es sich bei allen Anklagen um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt und damit laut Genfer Konvention kein Befehlsgehorsam als Straffreiheitsklausel geltend gemacht werden kann, auch wenn für die Befehlsgeber demgemäß härtere Strafen vorgesehen sind.

In einem weiteren Verfahren wurde eine Voranhörung von Angehörigen der Darah Integrasi Miliz mit dem Vorwurf des Mordes an einem Dorfbewohner, Luis de Deus, in Lethofo (10.09.99) durchgeführt. Der Angeklagte wurde aus der Haft entlassen, muss sich aber zweimal wöchentlich bei der UNO-Polizei CivPol melden. Das Gerichtsverfahren wurde auf den 24. April angesetzt.32

Der 22jährige Milizionär João Fernandes wurde wegen Mordes am Bürgermeister von Maliana, Domingos Pereira, einem Unabhängigkeitsbefürworter, zu 12 Jahren Haft verurteilt. Strafmildernd wirkte sich eine Kronzeugenregelung aus, da Fernandes zusagte, weitere Angaben über das auf den Mord an Pereira gefolgte Massaker an ca. 40 Dorfbewohnern zu liefern.

Kontrovers hingegen verläuft das sog. Balibo-Verfahren, bei dem es um die Ermordung von 5 australischen, britischen und neuseeländischen Journalisten unmittelbar nach der indonesischen Invasion 1975 geht. Nach siebenmonatiger Verfahrensvorbereitung durch die CivPol wurden internationale Haftbefehle wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Genfer Konvention) gegen drei Personen ausgestellt: Mohammad Yunus Yosfiah, ein ehemaliger indonesischer Minister, Cristoforus da Silva sowie Domingos Bere. Die indonesische Regierung weigert sich jedoch, laut Aussagen von Außenminister Alwi Shihab, Yunus auszuliefern: "Even if Yunus Yosfiah is proven guilty, we will not hand him over for trial abroad."33

Nach der Präzedenzfallentscheidung des Internationalen Gerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, in der Vergewaltigung und sexuelle Sklaverei nicht nur erneut als Kriegsverbrechen, sondern erstmals auch als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden - und damit Teil des völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts geworden sind -, geht die UNTAET in ihren Anklagen den gleichen Weg. So wurde Anfang Februar zum ersten Mal offiziell Anklage wegen sexueller Verbrechen in Ost-Timor erhoben. UN-Experten sind davon überzeugt, dass Vergewaltigung und sexuelle Sklaverei seitens des indonesischen Militärs systematisch und weitverbreitet begangen wurden.34 Angeklagt wurden der ehemalige indonesische Offizier Bambang Indra sowie zwei ost-timoresische Milizionäre, José Cardoso Ferreira und Francisco Noronha, denen vorgeworfen wird, zwischen Mai und Juli 1999 drei Frauen in Lolatoi, Ost-Timor, mehrfach vergewaltigt und später nach West-Timor deportiert zu haben. Indra und Noronha werden in Indonesien vermutet. Eine weitere Anklage wird gegen den ehemaligen Militärkommandeur in Ost-Timor, Brigadegeneral Tono Suratman (Verdächtiger auf der Liste der indonesischen Generalstaatsanwaltschaft von 09/2000), vorbereitet, dem vorgeworfen wird, die Frau eines prominenten Unabhängigkeitsführers vergewaltigt zu haben.35

b. Position des ost-timoresischen Nationalrates und die ost-timoresische Wahrheitskommission

Erste wichtige Schritte in Sachen Vergangenheitsdebatte wurden auch innerhalb der ost-timoresischen Gesellschaft angegangen. So wurde am 12. Februar ein Seminar zur Versöhnung eröffnet, bei dem ca. 130 Personen eine erste öffentliche Debatte zu den Themen Menschenrechte, Versöhnung und Wahlen führten. Der Schwerpunkt lag dabei aber kaum auf einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, sondern vielmehr auf der Diskussion um Ansätze für eine Versöhnung: "Why should we ask East Timorese to re-open wounds, when many are simply trying to start a new future? Reconciliation is necessary in East Timor to cure the infection so the wounds will not fester."36

Das ost-timoresische Übergangskabinett billigte am 28.02.2001 einen Gesetzesvorschlag für eine "Reception, Truth and Reconciliation Commission", welche sich mit der Aufklärung (truth-telling function) der Menschenrechtsverbrechen im Zeitraum zwischen dem 25.04.1974 bis zum 25.10.1999 befassen soll. Die Vorlage beinhaltet auch einen lokalen Mechanismus, bei dem weniger schwerwiegende Verbrechen, unter Berücksichtigung der timoresischen Kultur von der Gemeinde selber vor Ort geregelt werden können, ohne dass das Justizsystem eingreift. Die Gesetzesvorlage wird nunmehr dem nationalen Rat zur Billigung vorgelegt. Dieser Beschluss wurde von der internationalen Öffentlichkeit positiv bewertet. Insbesondere wird der lokale Mechanismus hervorgehoben, unter den ca. 10.000 Timoresen fallen, von denen sich die meisten noch in West-Timor befinden. Die Dorfgerichte geben diesen eine Möglichkeit zur Reintegration und versuchen somit Rache und Lynchjustiz zu verhindern, während sie gleichzeitig den Opfern Anerkennung sowie eine öffentliche Entschuldigung seitens der Täter verschaffen.37

Die ost-timoresische Öffentlichkeit trifft angesichts der begangenen Verbrechen eine klare Unterscheidung: Mitläufer und Kleinkriminelle können und sollen unter den Mechanismus der "Reception, Truth and Reconciliation Commission" fallen, wohingegen Kapitalverbrechen und schwerwiegende Menschenrechtsverbrechen von einem internationalen Gerichtshof geahndet werden sollen. Der UNTAET-Außenminister Ramos-Horta nahm diesbezüglich deutlich Stellung, als er die UN aufforderte, ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren und angesichts des indonesischen Versagens baldmöglichst einen internationalen Gerichtshof einzurichten.38 Dieser Aufruf wird von der Mehrheit der ost-timoresischen Organisationen, darunter die Kirchen, der nationale Widerstandsrat CNRT und mehrere NGOs, getragen.

4. Fazit oder die Diskussion um einen internationalen Gerichtshof für Ost-Timor

Es scheint nunmehr mehr als sicher, dass von Indonesien keine baldige glaubwürdige Strafverfolgung und Vergangenheitsaufklärung geleistet werden wird. Die - wenngleich als mangelhaft kritisierbaren - Ansätze der UNTAET sind daher die bisher einzigen erfolgten Maßnahmen, bei denen es wohl angesichts des mangelnden Interesses der Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sowie der internationalen Öffentlichkeit auch bleiben wird. Es gilt abzuwarten, ob Ost-Timor den von der UNTAET eingeschlagenen Weg im Unabhängigkeitsprozess weiterführen wird oder ob andere Prioritäten Vorrang gewinnen. Ein internationaler Gerichtshof wird jedenfalls nur dann zustande kommen, wenn der internationale Druck wiederbelebt und aufrecht erhalten wird. Dabei sollte aufgrund fehlender materieller und humaner Ressourcen nicht an einen eigenständigen Gerichtshof in Ost-Timor gedacht werden, sondern vielmehr eine Kooperation mit dem gut funktionierenden, erfahrenen Den Haager Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Betracht gezogen werden. <>

Andrea Fleschenberg ist Assistentin am Institute for Studies and Co-operation with East Timor in Porto, Portugal

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1 siehe Andrea Fleschenberg, in: Indonesien-Information Nr. 3/2000, S. 12-18

2 die UN-Untersuchungskommission forderte ein internationales Tribunal mit Gerichtshoheit über "serious violations of fundamental human rights and international humanitarian law which took place in East Timor (...) regardless of the nationality of the individual or where that person was when the violations were committed." (Sabine Hammer, Timor Link No. 51, 12/2000, special supplement, S. V)

3 so ist Munir davon überzeugt, dass der Generalstaats-anwalt "is continuing to bow to pressure from the military."(Sabine Hammer, Timor Link No. 51, 12/2000, special supplement, S. VI)

4 siehe dazu den detaillierten Bericht der International Crisis Group, "Indonesia: Impunity Versus Accountability For Gross Human Rights Violations", No. 12, 02.02.2001

5 Far Eastern Economic Review, 09.11.2000, S. 34

6 so Prof. James Warren: "The Kopassus...had been trained to operate in communities to create a climate of terror, hystery and violence...The violence is meant to create a situation ultimately where it is necessary then to step in to restore order." (Report of the Senate Foreign Affairs Defence and Trade References Committee, East Timor, 12/2000, S. 90) Konsequenz dessen ist eine alltägliche und strukturelle Gewaltkultur - nicht nur in Indonesien, sondern auch im jahrzehntelangen indonesisch-besetzten Ost-Timor.

7 siehe Jakarta Post, 19.02.2001 und Süddeutsche Zeitung, 13.02.2001

8 ein weiteres Beispiel dafür ist die Parlamentsentscheidung vom 21.03.2001, einen Ad-hoc-Menschenrechtsgerichtshof einzurichten - eine Entscheidung just zu dem Zeitpunkt, zu dem die UN-Menschenrechtskommission in Genf tagt und um dieser damit die Beschwerdegrundlage zu entziehen. (Jakarta Post, 22.03.2001)

9 siehe Inside Indonesia, January-March 2001, S. 23

10 Far Eastern Economic Review, 23.01.2001, und Sydney Morning Herald, 19.02.2001

11 Jakarta Post, 21.02.2001

12 Jakarta Post, 06.02.2001; Jakarta Post 23.02.2001

13 Human Rights Watch, 26.01.2001

14 Washington Post, 16.02.2001

15 "Wiranto knew of terror tactics, including plans to intimidate and injure Australians and other foreigners" (Jakarta Post, 21.11.2000, sowie Sydney Morning Herald, 20.11.2000). Anzumerken ist, dass McCarthy der ranghöchste ausländische Diplomat war, der während der Nachreferendums-Gewalt in Ost-Timor verblieb.

16 ebenda, Jakarta Post 06.02.2001 sowie Missionsdienst, 11/2000. So belegt auch Noam Chomsky, dass ein TNI-Dokument vom Mai 1999, dessen Existenz von Komnas HAM bestätigt wird, eine direkte Verbindung zur TNI herstellt. In diesem heißt es "massacres should be carried out from village to village after the announcement of the ballot if the pro-independence supporters win.(...) the independence movement should be eliminated from its leadership down to its roots." (Noam Chomsky, "A New Generation draws the line. Kosovo, East Timor and the standards of the West", London/New York 2000, S. 73f). Weitere Dokumente von 1999 belegen die Kollaboration von Milizen und TNI, inklusive Pläne für Folter sowie Zwangsdeportationen von über 200.000 Timoresen. (Chomsky, 2000, S. 74)

17 Noam Chomsky belegt in seinem kürzlich erschienenen Buch (s. 16) weiterhin die Verantwortung der USA für die Ausbildung der indonesischen Spezialeinheiten, die für die Gewalt in Ost-Timor verantwortlich waren: "(...) the agents of the crimes were armed, trained, funded and supported by the US and its allies from the beginning through the terrible denouement(...) ample reason to accept the judgement of Bishop Belo and others that direct responsibility traces directly back to TNI Commander Wiranto in Jakarta, not only in the post-referendum period (...)." (S. 61, 72) Er macht außerdem die australischen und britischen Geheimdienste für ihr Schweigen verantwortlich, da diese über genügend Beweise und Materialien verfügten, ohne jemals der Gewalt seitens der Indonesier Einhalt zu gebieten: "The plans and their implementation were, surely, known to western intelligence. (...) adopted US Phoenix program used in South Vietnam.(...) There is also no serious doubt that Australian intelligence, as well, knew all of this, and had known the full details for twenty-five years, from information provided by the Defence Signals Directorate base in Northern Australia (...)" (S. 71) Ähnliche Beweise werden auch im Bericht der australischen Regierung zu Ost-Timor aufgeführt: Report of the Senate Foreign Affairs, Defence and Trade References Committee, 12/2000, "East Timor", S. 94-100

18 bei seinem Besuch des indonesischen Parlaments Ende Februar in Jakarta sah sich Sergio de Mello, zusammen mit dem UNTAET-Außenminister Ramos Horta, nicht nur Beleidigungen, sondern auch Anschuldigungen ausgesetzt: Parlamentsvertreter warfen der UNTAET vor, dass ein Teil ihres Kabinetts aus Kriminellen bestehe und die Verurteilung der Milizen auch eine Verurteilung von Falintil-Kämpfern nach sich zu ziehen habe. (Jakarta Post, 24.02.2001, Publico, 24.02.2001); Bahasa Indonesia Headlines, Timor Post, 28.02.2001, S. 1

19 The New York Times, 04.03.2001

20 Jakarta Post, 20.02.2001; Joyo Indonesian News, 24.10.2000

21 AFP, 05.10.2000; Joyo Indonesian News, 24.10.2000

22 Jakarta Post, 11.03.2001, sowie Publico, 11.01.2001

23 Komnas Ham weekly human rights brief, Fakta Ham 15, 08.11.2000, "A Truth and Reconciliation Commission for Indonesia"

24 Inside Indonesia, January-March 2001, S. 24

25 ICG Asia Report No. 12, "Indonesia: Impunity Versus Accountability For Gross Human Rights Violations", 02.02.2001, 21-22

26 James Dunn, UN-Spezialberichterstatter, gibt folgende Zahlen für die Referendum-bedingten Menschenrechtsverbrechen an: mehr als 1.000 Tote, ca. 250.000 Zwangsdeportierte, von denen bisher 170.000 zurückkehrten, und Tausende von Vergewaltigungsopfern. (Jakarta Post, 06.02.2001)

27 Human Rights Watch, 26.01.2001, siehe 25; The New York Times, 04.03.2001

28 so sagt Patrick Burgess, Direktor der UNTAET-Menschenrechtsabteilung: "The problem is, we've got the judicial process but not the perpetrators. In Indonesia, they've got the perpetrators but not the process" (ebenda). Im Bericht des UN-Sicherheitsrates von Januar 2001 wird bemängelt, dass "there is a considerable opposition in Indonesia to such cooperation and, although the Indonesian Attorney-General summoned the witnesses, they questioned the validity of the Memorandum of understanding and did not appear." UN-Security Council, S/2001/42, 16.01.01, Report of the Secretary General on the United Nations Transitional Administration in East Timor (for the period 27.07.2000-16.01.2001), S. 5

29 diese Dokumente belegen, dass die Gewalt in Ost-Timor für größere Zwecke instrumentalisiert wurde. Wiranto sollte innerhalb des TNI gestärkt werden und durch die Gewaltanwendung die indonesische innere Stabilität an sich geschwächt werden. Außerdem kann mit diesen Dokumenten belegt werden, dass Major Gen. Syafrie Syamsuddin detaillierte Pläne für Militär- und Milizenoperationen vorbereitet hatte. (Sydney Morning Herald, 20.12.2000)

30 UN-Security Council, S/2001/42, 16.01.01, Report of the Secretary General on the United Nations Transitional Administration in East Timor (for the period 27.07.2000-16.01.2001), S. 5

31 Washington Post, 16.02.2001

32 UNTAET Press Release, 16.02.2001, "First crimes against humanity hearing starts"

33 dabei handelt es sich um die Ermordung von drei ausländischen Journalisten (1 Australier, 1 Brite sowie 1 Neuseeländer) in der Grenzstadt Balibo (Sydney Morning Herald, 03.02.2001, 20.03.2001); Sydney Morning Herald, 14.02.2001 und Joyo Indonesian News, 23.02.2001

34 Die Hilfsgruppe Forum Komunikasi Untuk Perempuan Loro Sae dokumentierte bis jetzt 165 geschlechterbedingte Menschenrechtsverletzungen in 1999, darunter 46 Vergewaltigungen, wobei der UN-Generalstaatsanwalt in Ost-Timor, David Senior von Hunderten von Fällen ausgeht, die sich teilweise in den west-timoresischen Flüchtlingslagern fortsetzen, wo sich noch immer fast 100.000 Flüchtlinge unter Milizenkontrolle befinden (siehe International Herald Tribune, 02.03.2001, sowie Sydney Morning Herald, 22.02.2001, im Falle von Juliana dos Santos). Er geht aufgrund von Zeugenaussagen von Massenvergewaltigungen vor den Massakern aus. Problematisch ist nach diesen Aussagen insbesondere der soziale Ausschluss der Vergewaltigungsopfer, deren Babys die katholische Taufe verweigert wird bis hin zu Morddrohungen seitens Familienmitgliedern. Nach Angaben von NGOs und der UNTAET Serious Crimes Unit gab es in Ost-Timor von 1975-1999 ein Netzwerk von sog. "Rape Houses", u.a. in Suai, Bobonaro, Lolotoe, Gleno und im Aitarak Milizen-Hauptsitz in Dili. Hier muss und kann eine Wahrheitskommission sowie eine Strafverfolgung wertvolle und unabdingbare Aufklärungs- und Reintegrationsarbeit leisten (Sydney Morning Herald, 07.02.2001; The Times, 16.02.2001)

35 Sydney Morning Herald, 10.02.2001

36 so Sergio de Mello, UNTAET-Chef (UNTAET-Press Release, 16.02.2001)

37 UN News Service, 28.02.2001; IHT, 27.02.2001

38 Sydney Morning Herald, 14.02.2001
 
 

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