Indonesien-Information Nr. 1 2001 (Menschenrechte)

Die Wurzel allen Übels

Ursachen für die ethnischen Säuberungen in Kalimantan

von Juliane Fischer

Die Unruhen in Zentral-Kalimantan waren während der vergangenen Wochen das beherrschende Thema der internationalen Presseberichterstattung über Indonesien. Einheimische Dayak zogen gegen zugewanderte Maduresen zu Felde und töteten mindestens 500 Menschen auf grausamste Art und Weise. Zehntausende Maduresen wurden vertrieben.

Verschiedenste Gedanken und Gefühle kommen angesichts der ethnischen Säuberungen in Zentral-Kalimantan bei mir hoch. Ich weilte während der Feldforschung für meine Diplomarbeit in mehreren Dayak-Dörfern in West-Kalimantan. So freundliche, offene und sanfte Menschen, die mich wie selbstverständlich bei sich aufnahmen. Auch damals gab es bereits die Konflikte mit den Maduresen, die ja bis in die 50er Jahre zurückreichen und seitdem immer wieder aufflammten. Die Dayak sagten zu mir: "Wir sind immer umgängliche, geduldige und friedliebende Menschen. Das sollten andere jedoch nicht ausnutzen. Wenn bei uns die Grenze des Erträglichen überschritten wird, sehen wir rot. Dann gibt es für uns kein Halten mehr".

Wie wahr diese Selbsteinschätzung ist, zeigte sich in den vergangenen Wochen sehr deutlich: ein anscheinend minimaler Anlass - das Abbrennen eines Dayak-Hauses in Sampit am 17. Februar, für das Maduresen verantwortlich gewesen sein sollen - löste in Zentral-Kalimantan Massaker und ethnische Säuberungen aus, wie schon zur Jahreswende 1996/1997 in West-Kalimantan geschehen. Die beiden Ethnien scheinen sich zu hassen. Vorurteile sitzen tief. Für die Dayak sind die Maduresen nur aggressive und streitsüchtige Eindringlinge, die bei der leisesten Zwistigkeit gleich ihren Dolch ziehen. Der Dolch gehört zur traditionellen Bekleidung der Maduresen, weshalb ihn noch immer viele ständig bei sich tragen. Die eher feinsinnigen und friedliebenden Dayak fühlen sich durch dieses Verhalten brüskiert und verletzt. Als Zuwanderer hätten die Maduresen in ihren Augen nicht das Recht, sich so herrisch aufzuführen.

Natürlich sind kulturelle Unterschiede zwischen beiden Volksgruppen nicht von der Hand zu weisen. Doch gibt es in der javanischen Stadt Yogyakarta auch eine gemeinsame Studenten-Initiative von Dayak und Maduresen, die sich gegen die Ausschreitungen in Zentral-Kalimantan ausspricht. Kommunikation zwischen den beiden Ethnien scheint also möglich zu sein. Auch leben die meisten Dayak im Hinterland der Insel, wo sie Wanderfeldbau und Kautschukanbau betreiben. Entlang der Flüsse leben die Melayu, wie die Maduresen Zuwanderer islamischen Glaubens, die das Landnutzungsmuster von den christlichen Dayak übernommen haben, und die sich mit ihnen gut verstehen. Es handelt sich hier also auf den erste Blick nicht um religiöse Konflikte wie auf den Molukken, sondern um interethnische Streitigkeiten.

Da die Maduresen als traditionelles Fischervolk meist in den Küstengebieten leben oder als Transmigranten in von der Regierung ausgewiesenen Umsiedlungsgebieten, vermischen sie sich nur wenig mit der ansässigen Bevölkerung und bleiben unter sich. Aufgrund der Konflikte in alltäglichen Begegnungen, vor allem in den Städten, sind sie jedoch für die Dayak die greifbarsten Kennzeichen für den von ihnen erfahrenen Wandel ihres Lebensumfelds. Wenn zum Beispiel ein Dayak in die Stadt kommt, fühlt er sich aufgrund der zunehmenden Anzahl von Zuwanderern, die die lokale Wirtschaft dominieren, ausgegrenzt, als Fremder im eigenen Lande. Auch in der örtlichen Verwaltung sind in Kalimantan nur wenige Dayak vertreten, die meisten Stellen werden von Javanern eingenommen, wie meist in Indonesien. Durch diese während der Suharto-Ära durchgeführte Politik (Suharto ist Javaner) empfinden sich auch andere Ethnien als marginalisiert oder kolonialisiert. Bei Besuchen in der Stadt begegnen die Dayak vor allem Maduresen, die sich auf einem ähnlichen sozialen Niveau wie sie selbst befinden, wie zum Beispiel Minibusfahrer. Hierbei kommt es manchmal zu kleineren Konflikten, wobei die Maduresen den Ruf haben, dass ihnen das Messer locker sitzt. Geschichten über solche Begebenheiten machen in Dayak-Dörfern die Runde und schüren die Sentiments gegen Maduresen, machen sie zum Sündenbock für all das Elend und die Erniedrigungen, die die Entwicklung der letzten Jahrzehnte für die Dayak mit sich gebracht haben.

Die wirklichen Ursachen für die Veränderungen und Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen sind für die Dayak jedoch wenig greifbar. Da sind die Palmölplantagen, deren Besitzer von den Dayak die Abgabe von sieben Parzellen Land für eine mit Ölpalmen bepflanzte Parzelle zu zwei Hektar verlangen. Umsiedler von den dicht besiedelten Inseln Java, Bali und Madura, wo auf sieben Prozent der Landfläche Indonesiens 60 Prozent der Bevölkerung des Landes leben, fungieren als Arbeitskräfte für die Großplantagen. Sie bekommen von der Regierung eine zwei Hektar große, gerodete Fläche, ein Haus und Lebensmittel für das erste Jahr zur Verfügung gestellt.

Oft werden die nach Gewohnheitsrecht den Dayak gehörenden Ländereien einfach per Regierungsdekret enteignet und dem Plantagen-Unternehmer überschrieben. Das indonesische Staatsrecht erkennt ein Gewohnheitsrecht auf Land nur bei einer nachweisbaren Nutzung, d.h. Ackerbau oder Baumkulturen, an. Da die Dayak jedoch Wanderfeldbau betreiben, besteht ein Großteil ihrer Nutzfläche aus Buschbrache und Sekundärwald. Dies in den Augen der Regierung unproduktive Land ist jedoch der Garant für eine ökologische Nachhaltigkeit des Wanderfeldbaus: um die Bodenfruchtbarkeit der Flächen nach einer einjährigen Nutzung wieder herzustellen, bedarf es einer Brachedauer von zehn Jahren, auf sehr schlechten Böden sogar mehr.

Die indonesische Regierung wünscht sich nun, dass der Wanderfeldbau aufgegeben und durch permanenten Ackerbau ersetzt wird. Nur leider lassen weder die Bodenfruchtbarkeit, noch die landwirtschaftliche Ausbildung der Dayak oder die Verfügbarkeit von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln und deren Kosten diese Nutzung problemlos zu. Um die Produktion des Grundnahrungsmittels Reis weiter aufrecht zu erhalten, zwingt eine Enteignung ihrer Landflächen die Dayak oft, die Brachezeiten zu verkürzen, was die Erträge verringert und die Böden degradiert.

Auch die in den letzten Jahrzehnten verstärkt agierenden Holzeinschlagskonzessionen reduzieren die den Dayak zur Verfügung stehenden Landressourcen deutlich. Das Jagen und Sammeln von Waldprodukten, Teil der traditionellen Lebensweise der Dayak, wird so erschwert. Die Jagd lieferte üblicherweise einen Großteil des sonst raren Fleisches für die Ernährung der Dayak. Gesammelt wurden u.a. Medizinpflanzen, Früchte und Rohmaterialien für das Handwerk wie Rattan. Der Verkauf von daraus hergestellten Flechtarbeiten, vor allem Körbe und Matten, ist auch eine zusätzliche Einkommensquelle.

Während die Transmigranten auf dem Land der Dayak angesiedelt wurden und Land, Haus und Nahrung kostenlos gestellt bekamen, blieb die Unterstützung durch die Regierung, die die Dayak erhalten, eher gering. Landwirtschaftliche Entwicklungsprogramme für die Kleinbauern vor Ort konzentrieren sich auf den Nassreisanbau, den Anbau von Hülsenfrüchten (v.a. Soja und Erdnüsse), sowie die Kultivierung von Hybrid-Kautschuk. Diese Pflanzen benötigen teure Produktionsmittel, eine geregelte Vermarktung und adäquate landwirtschaftliche Beratung. All dies steht den Dayak nicht in einem Maße zur Verfügung, das ihnen eine derartige Produktionsweise ermöglichen würde.

Damit die Bauern ihre Kenntnisse einbringen können, ist es in der Regel auch sinnvoller, bei landwirtschaftlichen Entwicklungsmaßnahmen auf bestehende Praktiken aufzubauen, statt eine völlige Umstellung durchzuführen. Letzteres birgt für die Bauern oft zu große Risiken, vor allem vor dem Hintergrund, dass die notwendigen Inputs eben nicht immer verfügbar sind, wenn sie benötigt werden, und dass die schlecht bezahlten landwirtschaftliche Berater häufig lieber bei ihren Familien in der Landkreishauptstadt bleiben als mit ihrem wackligen Motorrad in entlegene Dörfer zu fahren. Regierungsprogramme, die eine größere Selbstständigkeit für die Bauern in der Durchführung von landwirtschaftlichen Entwicklungsmaßnahmen ermöglicht, sind rar. Benötigt würden z.B. Einzelkredite für den kleinbäuerlichen Kautschukanbau, der es den Bauern erlaubt, sich selbst auf dem Markt Hybridpflanzen zu kaufen. Bisher gibt es nur teure "Pakete" im Rahmen von Regierungsprogrammen, deren Erfolgsrate aufgrund der genannten Probleme gering ist und die die Bauern nachher mit einem Schuldenberg dastehen lassen.

Alle diese Faktoren haben zu einer zunehmenden Marginalisierung der Dayak in Kalimantan geführt. Die weit verbreitete Landenteignung führt dazu, dass sie bald zu Knechten im eigenen Land werden könnten. An den Rand gedrängt steigt der Druck auf die Dayak und die Suche nach Verantwortlichen und Auswegen. Die Vertreibung der Maduresen ist ein verzweifelter Versuch, die verlorene Freiheit und Unabhängigkeit wieder zu erkämpfen. Wenn die indonesische Regierung nicht aufhört, die Ländereien der Dayak zu enteignen und sie ohne wirtschaftliche Alternativen dastehen zu lassen, wird sich der Ärger der Dayak immer wieder entladen. Wenn auch alle Maduresen vertrieben sein sollten, aber sich die Lage der Dayak dennoch nicht bessern sollte, werden andere zur Zielscheibe ihres Zornes werden. An einer Reform des ländlichen Entwicklungsmodells mit einer stärkeren Beteiligung der lokalen Bevölkerung führt kein Weg vorbei - und dies nicht nur in Zentral-Kalimantan. <>

 
 

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