Indonesien-Information August 1994 (Menschenrechte)

Berliner Zeitung, 5.4.1994:
 

Die Ost-West-Schere ist zu weit geöffnet

Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen im Gespräch mit der Berliner Zeitung

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) ist gestern mit führenden Wirtschaftsvertretern der Stadt nach Fernost gereist. Unser Redaktionsmitglied Dagmar von Bracht sprach mit Diepgen über die Reise und über offene Fragen, die zu Hause zurückbleiben.

Berliner Zeitung: Aktueller Anlaß Ihrer Fernost-Reise ist der Abschluß von Städtepartnerschaften mit Peking und Djakarta. Um welche konkreten Projekte geht es dabei?

Eberhard Diepgen: Wir wollen die bisherige enge Zusammenarbeit, die auch vor der sogenannten Wende von Ost und West nach Peking entwickelt worden ist, ausbauen. Es gibt neue Akzente im Gebiet von Indonesien, ein wirtschaftlich interessantes Gebiet, ein wachsender Markt. Mir geht es neben den Fragen des allgemeinen Erfahrungsaustausches primär um gegenseitige Hilfestellung beim Ausbau der städtischen Einrichtungen, vom öffentlichen Personennahverkehr bis zu Entsorgungs- und Versorgungsfragen.

Was wird der "normale" Berliner von den Partnerschaften haben?

Ich unterscheide bei den Städtepartnerschaften bewußt zum Netzwerk der großen europäischen Metropolen, wo auch der unmittelbare persönliche Kontakt vieler Bürgerinnen und Bürger möglich ist. Bei Peking und Djakarta ist das aufgrund der Entfernungen etwas schwieriger. Hier geht es mehr um Kulturaustausch, um die Anbahnung von wirtschaftlichen Kontakten. Ein Beispiel: Bei meinem früheren Besuch in China haben wir wesentlich mit dazu beitragen können, daß Aufträge für den Ausbau der U-Bahn in Schanghai konkret an den Waggonbau nach Berlin gegangen sind. Jetzt geht es wieder um U-Bahn-Ausbau, aber auch um Müllverbrennungsanlagen, um Kläranlagen. Es geht für mich um das Angebot unserer technischen Möglichkeiten an diese Städte. Das wiederum bedeutet konkret für die Berlinerinnen und Berliner die Chance der Sicherung oder des Neuaufbaus von Arbeitsplätzen.

Werden Sie bei Begegnungen mit Politikern auch Menschenrechtsfragen ansprechen?

Das gehört zu den Selbstverständlichkeiten. Wir werden uns über die politische Situation bei uns und auch in China und Indonesien unterhalten. Da wird kein Thema ausgespart. Das Thema Menschenrechte, Hilfestellung für einzelne Betroffene, hat für den Regierenden Bürgermeister einer ehemals geteilten Stadt ohnehin eine besondere Bedeutung.

Zurück nach Berlin. Hier bleibt das Problem der Angleichung der Ost-Einkommen zu lösen.

Das ist eines der aktuellen und schwierigsten Themen, die von Berlin aus - ich behaupte stellvertretend für Entwicklungen in Deutschland - angepackt werden müssen. Berlin ist Werkstatt der deutschen Einheit, die das unmittelbare Nebeneinander unterschiedlicher Tarife nicht nur geographisch bestimmt. Das Nebeneinander auf einzelnen Arbeitsplätzen ist mit vielen finanziellen Problemen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch mit vielen psychologischen und gesellschaftspolitischen Problemen verbunden. Wir wollen deswegen, daß die Schere geschlossen wird. Wir sind allerdings leider in dieser Forderung weitgehend allein in der Bundesrepublik Deutschland. Die anderen Länder und Gemeinden und auch die Bundesregierung wollen aus ökonomischen Gründen, aus Gründen der roten Zahlen in den Haushalten keine wesentlichen Schritte vorangehen.

Welche Möglichkeiten bleiben Ihnen denn?

Unser Versuch ist, die Schere dennoch schneller schließen zu können. Das wollen wir aber nach Möglichkeit nicht gegen die andern, sondern in einer Form, die von den anderen Ländern und Gemeinden akzeptiert wird.

Sie haben für das Ziel aber bisher keine Mitstreiter gefunden. Wie wollen Sie die anderen Länder überzeugen?

Das Argument ist einfach. Guckt euch einmal die konkreten Probleme, die Schwierigkeiten in Berlin an. Am selben Arbeitsplatz, in derselben Straße, beim gleichen Kaufmann die gleichen Preise, aber unterschiedliche Löhne. Ich stoße überall auf folgende Antwort: Ihr habt da besondere Probleme, wir können euch aber nicht helfen. Wir haben unsere Schwierigkeiten. Dabei, ich muß das beinahe zynisch bemerken, ist das schon ein Fortschritt gegenüber der Argumentationsweise in den vergangenen Jahren. Da war man nicht einmal bereit, die Besonderheiten der Probleme in der deutschen Bundeshauptstadt zur Kenntnis zu nehmen. Ich werde versuchen, hier eine weitere Akzeptanz von Sonderregelungen in Berlin zu erreichen.

Viele Menschen im Ostteil sind der Meinung, daß sich die Schere zwischen beiden Stadthälften insgesamt zu langsam schließt.

Ich stimme allen zu, die sagen, die Schere schließt zu langsam. Dabei muß ich aber auch darauf hinweisen, daß wir erst im Jahr vier nach der deutschen Vereinigung sind. Wir haben eine Fülle von viel größeren Problemen aus der ehemaligen DDR zu bewältigen, als ursprünglich gedacht. Es geht nicht nur um Benachteiligung in Ost, sondern durch die Verdrängung bei der Suche nach richtig bezahlten Arbeitsplätzen auch um Probleme der Bürgerinnen und Bürger, der Arbeitnehmer in Wedding und Kreuzberg. Es geht um die Konkurrenzfähigkeit von Handwerksbetrieben, auf deren Preise und Angebote sich unterschiedliche Tarife auswirken. Es geht auch um Fragen des Stolzes und der Anerkennung. +++  
 

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