Indonesien-Information August 1994 (ArbeiterInnen)
Die Suche nach der Wahrheit über die Ermordung der StreikführerinMarsinah Anfang Mai 1993 wird mittlerweile von der indonesischen Presseund ProzeßbeobachterInnen wie StudentInnen und NGOs als immer "spannender","undursichtiger", als "Farce" und sogar als "Humorveranstaltung"bezeichnet.
Der Antrag eines Verteidigers, den Geist von Marsinah in den Zeugenstandzu rufen, um herauszufinden, wer der tatsächliche Mörder ist,wurde vom Gericht zwar abgelehnt. Der bekannte Regierungskritiker und Vorsitzendedes Rechtshilfeinstituts LBH, Adnan Buyung Nasution, bewertete diesen Vorschlagjedoch als Protest gegen das Vorgehen der Justitz. /DeTik, 16.2.-22.2.94und Forum Keadilan, 3.3.94/.
Viele Prozeßbeobachter, darunter namhafte Hochschullehrer habenaus demselben Grund ein Schreiben beim indonesischen Bundesgerichtshofeingereicht, in dem sie fordern, daß das Verfahren abgebrochen undneu aufgenommen werden soll /Kompas, 19.3.94/.
Bei den Angeklagten handelt es sich um neun Firmenangehörige derPT CPS, darunter der chinesische Besitzer Yudi Santoso sowie die PersonalchefinMutiari. Es wird ihnen vorgeworfen, nach den Streiks am 3. und 4. Mai 1993mit anderen Firmenangehörigen den Mord an der StreikführerinMarsinah geplant zu haben /s. Indonesien-Information, Dez. '93 und März'94/.
Der Skandal begann, als alle Angeklagten ihre Geständnisse vorGericht widerriefen und immer widersprüchlichere Zeugenaussagen zuProtokoll (BAP oder Berita Acara Pengadilan) gegeben wurden.
Kapitän Kusairi, ehemaliger Kommandant des Militärbezirkesvon Porong (ca. 30 km südlich von Surabaya/Ost-Java), machte währendvier Verhandlungen äußerst unterschiedliche Aussagen. Stimmteseine Aussage bezüglich der zwei Verdächtigten mit den Angabenim Untersuchungsprotokoll BAP zuerst überein, so widersprach er diesembei seiner zweiten Vernehmung jedoch bezüglich des dritten Verdächtigten.Daraufhin gingen Richter, die Staatsanwaltschaft, Rechtsanwälte undder Zeuge in den Hof, um ein Auto, das als Beweisstück diente, zubegutachten. Dort bot sich den Anwesenden ein seltsames Schauspiel: Einin Zivil gekleideter Mann trat auf den Zeugen zu und schlug ihn unversehens.Niemand ging gegen ihn vor; das Gericht gebot nicht, den Vorfall zu verfolgen.Und noch seltsamer: der Kapitän stimmte nun, nachdem er seinen 'Irrtum'bemerkt hatte, dem Inhalt des Untersuchungsprotokolls BAP wieder zu. /DeTik,16.2.-22.2.94/
Für Heiterkeit im Gerichtsaal sorgten die beiden Hauptzeuginnender Anklage, zwei Dienstmädchen des Fabrikbesitzers, die von der ErmordungMarsinahs gewußt haben sollen. Teilweise widersprachen sie ihrereigenen Darstellung im Untersuchungsprotokoll, während die Art undWeise, wie sie die Fragen des Richters beantworteten, wie auswendig gelerntwirkte. Das Fremdwort "Ultimatum", welches sie laut Protokollgebraucht hatten, verwechselten sie mit "Schwur", da sie es alsAnalphabetinnen nicht kannten. Ferner konnte eine der beiden vor Gerichtauf einmal die Komplizen des Angeklagten benennen, während sie lautdem Untersuchungsprotokoll davon keine Ahnung hatte. /DeTik, 16.2.-22.2.94/
Der Skandal dreht sich also vor allem um das Untersuchungsprotokoll,das das Gericht als Grundlage des Verfahrens benutzte. Wie der Zeuge KapitänKusairi haben alle neun Beschuldigten ihre Aussagen, die in den Untersuchungsprotokollenfestgehalten wurden, unter Folter beim militärischen Geheimdienstin Surabaya gemacht. Die beiden Dienstmädchen galten wochenlang alsverschwunden, nachdem das Militär sie zum Verhör abgeholt hatte.Es ist eindeutig, daß das Zustandekommen dieser Untersuchungsprotokollegegen die bestehenden Gesetze verstößt. Das Militär istnach indonesischer Rechtsprechung nicht befugt, sich in zivile Gerichtsverfahreneinzumischen /Forum Keadilan, 3.3.1994/.
"Aus diesem Grund sind die Zeugenaussagen, die unter Druck undFolter gemacht wurden nicht rechtskräftig", heißt es ineinem Protestbrief an den indonesischen Bundesgerichtshof, der den Vorwurfjedoch zurückwies /Kompas, 19.3.94/.
Unterstützung fanden die Protestierenden immerhin bei der von derRegierung eingesetzten Menschenrechtskommission KOMNAS HAM (Komisi NasionalHak Asasi Manusia), die verkündete, eine "Entdeckung" gemachtzu haben. Laut ihrem Bericht sei festzustellen, daß es außerden neun Angeklagten noch "andere verdächtige Personen"gäbe. Wen sie damit meinte, sprach die Kommission jedoch nicht aus.Als unrechtmäßig verurteilte sie die Verhöre der neun Verdächtigtendurch den militärischen Geheimdienst, welche sich über 19 Tagehingezogen hatten, bevor man sie an die Polizei übergab. Auch dieVerhörmethoden beurteilte sie als Menschenrechtsverletzungen. /JawaPos, 4.4.94 u. Tempo, 16.4.94/
Doch trotz dieser nicht abzuleugnenden Tatsachen stellten sich der Bundesgerichtshof,die Staatsanwaltschaft und die Richter stur /Tempo, 16.4.94/.
Auf Grundlage des mehr als zweifelhaften Untersuchungsprotokolls wurdedie Personalchefin, Mutiari, die während der Untersuchungshaft ihrBaby verlor, zu sieben Monaten verurteilt. Sie bezeichnete das Urteil alsUngerechtigkeit und lehnte den Vorschlag ab, bei Präsident Suhartoum eine Begnadigung zu bitten. "Mit der Bitte um Begnadigung würdeich mich selbst für schuldig erklären," sagte sie gegenüberTempo, vom 2.4.94.
Der Prozeß um die Ermordung Marsinahs hat eindeutig gezeigt, wiesich das Militär in die Konflikte zwischen ArbeiterInnen und Arbeitgeberneinmischt /DeTik, 16.2.-22.2.94/. Dem Bericht der offiziellen MenschenrechtskommissionKOMNAS HAM zufolge ist das Seltsame in diesem Fall jedoch, daß dasmilitärische Eingreifen in die Konflikte ohne die Bitte der Firmenerfolgt sein soll /Jawa Pos, 4.4.94/.
Das Militär bemüht sich, seine Rolle in dem Aufsehen erregendenFall zu vertuschen. Marsinahs Mörder mußte gefunden werden.Daß es sich dabei allerdings um Manipulation handelt, legen schondie Umstände der Ermordung selbst nahe. Erst zwei Wochen nachdem Studentenund NGOs die Suche nach Marsinah aufgenommen hatten, tauchte der Fall inder Presse auf /Forum Keadilan, 3.3.94/.
Aber selbst dann noch versuchte das Militär, den Schaden geringzu halten, indem der Mord als einfaches Gewaltverbrechen dargestellt wurde.StudentInnen und Oppositionelle dagegen betonen, daß Marsinah einemutige Streikführerin war und ihr Tod damit zusammenhängen muß.Als ein Maler eine Ausstellung mit dem Thema 'Marsinah' veranstaltete,wurde sie von der Militärbehörde verboten. In auffälligerWeise mischte sich das Militär zunehmend in den Fall ein. Trotzdemkonnte es nicht verhindern, daß der Fall Marsinah auf der Menschenrechtskonferenzim Wien im Juni vergangenen Jahres vorgetragen wurde.
Hinzu kam, daß eine US-amerikanische Untersuchungsgruppe Indonesienbesuchte, um die dort herrschenden Arbeitsbedingungen zu begutachten. Siezeigte sich auch konkret an dem Fall von Marsinah interessiert. Empfindlichreagierte die Regierung in Jakarta schließlich, als es hieß,die USA erwäge, die Meistbegünstigungsklausel für Indonesienzu streichen. Der Grund: Die Herstellung von Billigprodukten beruhe aufder extremen Unfreiheit der indonesischen ArbeiterInnen. Ein Ende der Exportbegünstigungenwürde für Indonesien den Verlust von hunderten von MillionenDollar bedeuten.
Deshalb zeigte sich das Militär auf einmal von einer ganz anderenSeite. Betroffenheit, menschliche Stellungnahmen waren zu hören. MarsinahsMörder mußten nun gefunden werden. Einige leitende Angestellteund der chinesische Besitzer der Firma wurden nach geheimdienstlicher Methodeverhaftet, verhört und gefoltert. Die Verhaftungen führte dasMilitär ohne Durchsuchungsbefehle aus und erst nach 18 Tagen wurdendie Angehörigen durch die Polizei darüber informiert, daßdie Verdächtigten sich in Polizeigewahrsam befänden. /Arief Budiman,"Siapa Yang Bodoh", Tempo, 19.3.94/
Am 1. Oktober 1993, fast fünf Monate nach Marsinahs Ermordung also,wurden die neun Verdächtigten brutal aus den Räumen der Firmaherausgeholt, verbrachten 18 Tage in Zellen des militärischen Geheimdienstesund wurden dann der Polizei übergeben. Die zwei Dienstmädchendes Firmenbesitzers holte das Militär am 4.10.1993 ab. Obwohl es zunächstgeheißen hatte, sie werden nur für ein paar Stunden verhört,blieben sie bis zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung verschwunden. /DeTik,2.-8.3.1994/
Begonnen hatte alles mit dem Streik vom 3. und 4. Mai 1993. Die ArbeiterInnenverlangten die Einhaltung der vereinbarten Lohnerhöhung, denn obwohlam 1.3.1992 ein Mindestlohn von Rp. 2.250 pro Tag (ca. DM 1,80) festgelegtworden war, erhielt eine ArbeitnehmerIn bis Mai 1993 nur Rp. 1.700 proTag (ca. DM 1,40). /Tempo, 19.3.94/
Insgesamt 13 StreiktführerInnen wurden daraufhin zur Militärdistriktverwaltungin Sidoarjo, südlich von Surabaya vorgeladen. Der Militärkommandantüberreichte ihnen ihre Entlassung und versprach ihnen eine Abfindungvon Rp. 4,4 mio. (ca. DM 3.600). Später stellte sich allerdings heraus,daß die 13 ArbeiterInnen nur die Hälfte des Geldes erhielten."Wo der Rest geblieben ist, weiß allein das Militär,"schrieb Detik /16.-22.2.1994/.
Marsinah hörte von dem Vorfall und erklärte, daß siesich bei ihrem Onkel, einem Staatsanwalt, beschweren wolle. Kurz daraufverschwand sie. Dem Untersuchungsprotokoll des Militärgeheimdiensteszufolge sollen der Firmenbesitzer und seine Angestellten am 8. Mai 1993den Mord an Marsinah begangen haben, nachdem sie ihn am 5. Mai währendeiner Sitzung geplant hatten /Tempo, 19.3.1994/.
Die Personalchefin Mutiari stritt die Anschuldingungen jedoch ab. Diebesagte Sitzung hat nach ihren und den Angaben des Firmendirektors Susantonie stattgefunden. Letzterer war an jenem Tag zu besagter Zeit zu Hause,da er auf jemanden wartete, der von ihm Geld ausleihen wollte. Yudi Susantohat also ein Alibi.
Außerdem soll Marsinah laut dem Militärprotokoll am 7. Maieinen Drohbrief an die Firma geschrieben haben. Es wurde jedoch festgestellt,daß es sich nicht um Marsinahs Handschrift handelte. Nach all denUngereimtheiten drängt sich die Frage auf, wie die Version der Geschichteim Untersuchungsprotokoll zustande kam /Forum Keadilan, 3.3.94/.
Seltsam ist außerdem der Umstand, daß Marsinahs Kleiderals wichtigste Beweisstücke am 24.5.1993, d.h. zwei Wochen nach ihrerErmordung, von der Polizei in Nganjuk, ca. 120 km westlich von Surabayaverbrannt wurden /DeTik, 16.-22.2.94/. Darüberhinaus versuchte man,den Verteidiger Trimoelyo durch Telefonterror einzuschüchtern. Eswurde ihm gedroht: "Passen Sie auf, wenn Sie ihr Haus verlassen. Siewerden schon beobachtet." /Tempo, 19.3.1994/
All diese Vertuschungsversuche sind so eindeutig, daß Verteterder LBH meinen, das nun geschaffene Szenario um die Ermordung Marsinahssei bloß eine gefälschte Konstruktion, die für die Weltöffentlichkeitaufgebaut wurde /Forum Keadilan, 3.3.94/.
Laut LBH wurde Marsinah möglicherweise bereits am 7. Mai 1993 imMilitärbüro ermordet. /Tempo 19.3.93/.
Daß der chinesische Firmenbesitzer der Mörder Marsinahs ist,bezweifelt auch Regimekritiker Arief Budiman (selbst chinesischer Abstammung).In seinem Artikel in Tempo vom 19.3.1993 "Siapa Yang Bodoh" (Werist der Dumme) hält er fest:
Erstens ist der Besitzer der Firma Chinese. Hätte er wirklich denMut ohne starke Unterstützung im Hintergrund, eine Arbeiterin zu ermorden?Die Stimmung in Ost-Java sei doch bekannt. Jeder wisse, daß, sobalddas Gerücht verbreitet wird, ein Chinese habe sein Dienstmädchenverprügelt, Rassenunruhen ausbrechen.
Zweitens, wenn der Firmenbesitzer Marsinah tatsächlich ermordenwollte, warum hätte er dafür eine Sitzung einberufen sollen?Vor allem: Wozu hätte er seine Personalchefin, eine Frau, einbeziehenmüssen? Wenn er Marsinah ermordet hätte, wozu hätte er siein sein Haus gebracht? Hätte er beabsichtigt, Spuren zu hinterlassen?/Arief Budiman, "Siapa Yang Bodoh", Tempo, 19.3.94/.
Sollte das Gericht die besagte "Entdeckung" der staatlichenMenschenrechtskommission nicht anerkennen, wird damit die Existenz derKommission insgesamt in Frage gestellt, kommentierte der Sprecher von LBH,Hendardi /Tempo 16.4.1994/. <>
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