Indonesien-Information August 1994 (Menschenrechte)

Militärischer Aufmarsch gegen die Kriminalität

Am 11. April wurde die sogenannte "Operasi Bersih 94" ("Säuberungsoperation94") offiziell eingeleitet. Die Polizei, tatkräftig unterstütztvom Militär, soll Indonesiens Hauptstadt bis zum Beginn der Asien-Pazifik-Konferenz(APEC) im November von "kriminellen Elementen" "gereinigt"haben. Dies erklärte der Militärkommandant von Jakarta, GeneralmajorHendroprijono /Tempo, 21.5.94/. Koordiniert wird die großangelegteAktion vom Geheimdienst Bakorstanas.

Bereits Anfang dieses Jahres hatte die Polizei von Jakarta eine Aktionzur Verbrechensbekämpfung gestartet, der zig mutmaßliche Kriminellezum Opfer fielen. Im Februar wurden 18 Menschen von Polizisten erschossen/BBC-Indonesia, 1.3.94/, in den beiden folgenden Monaten weitere 12 /Tempo,21.5.94/. Mehrere Personen wurden angeschossen und schwer verwundet. Dielokale Polizeibehörde von Jakarta erklärte dazu, es handele sichbei den Opfern um Kriminelle, die von den Polizisten in Notwehr erschossenworden seien. Beim Versuch ihrer Festnahme hätten sie sich gewehrtund die Beamten angegriffen.

Rache für einen toten General?

Nun, nachdem ein General auf offener Straße erstochen wurde, erhieltdas Militär Anweisung, zusammen mit der Polizei radikal gegen dieKriminalität vorzugehen. Der ermordete General Tampubolon war Angehörigerder rotbemützten Elitetruppe 'Baret Merah', die für ihre spezielleAusbildung und harschen Methoden berüchtigt ist. Generalmajor Hendroprijonoerklärte, die "Säuberungsaktion" sei keine Vergeltungsmaßnahme,sondern richte sich gegen die Kriminalität allgemein. Zwar ist dieZahl der begangenen Straftaten in der letzten Zeit nicht gestiegen, jedochsei ein erhöhtes Maß an Grausamkeit festzustellen /Tempo, 23.4.94/.Wie es offiziell heißt, sei vor allem Alkohol- und Drogenkonsum einGrund für Gewaltverbrechen. Deshalb führte die Polizei mehrereGroßrazzien durch, bei denen mehrere hunderttausend Flaschen alkoholischerGetränke, große Mengen illegaler Drogen sowie Messer und Feuerwaffenkonfisziert worden sind. Ferner wurden über tausend Personen wegenverschiedener Vergehen festgenommen. (Anm. d. säzzers: 1. Bier istfrei verkäuflich. 2. höherprozentige alkoholische Getränkesind in Läden, Hotels und Restaurants zu erhalten, die über eineentsprechende Lizenz verfügen. Lizenzen kosten Geld... 3. Straßenkiosks,an denen billiger no-name-Fusel vertrieben wurde, verloren ihre Existenz.)

Militärisches Großaufgebot gegen die Kriminalität

Insgesamt 16.700 Mann aus verschiedenen Armee- und Polizeieinheitensind seit dem 11. April im Einsatz. Auch Agum Gumelar, Kommandant der SondertruppeKopassus erklärte, er sei bereit zur Unterstützung der "Säuberungsaktion"/Editor, 21.4.94/. Einen Monat später gab Henrdoprijono die Ausweitungder Aktion bekannt. Er habe vor, die Zahl der im Einsatz befindlichen Polizistenund Militärs zu verdreifachen. Auch Angehörige der Luftwaffeund der Marine sollten sich beteiligen. Militärs seien für dieSicherheit ihrer Umgebung in einem Umkreis von fünf Kilometern außerhalbihrer Kasernen verantwortlich /Tapol, Juni '94/.

Anscheinend werden überdies Jugendverbände, die der RegierungsparteiGolkar angeschlossen sind, für die Verbrechensbekämpfung mobilisiert.Diese Organisationen wie AMPI, Pemuda Pancasila, Pemuda Panca Marga, WargaJaya u.a., bei denen es sich eher um paramilitärische Vereinigungendenn um Freizeitgruppen handelt, sind selbst in das organisierte Verbrechenverwickelt und stehen im Ruf, die schmutzige Arbeit für die Machthaberzu besorgen. Bei einer Massenveranstaltung im Persija Fußballstadionleisteten Zehntausende feierlich einen Schwur, die Antikriminalitätskampagnezu unterstützen /Tapol, Juni '94/.

"Einfach abknallen!"

Einige Leiter lokaler Polizeieinheiten haben ihren Untergebenen offeneingeschärft: "Schießt einfach. Besser ihr trefft zuerst,bevor es euch erwischt," /Tempo, 21.5.94/. Sätze wie "Penjahatperlu didor" ("Kriminelle gehören abgeknallt") unddie neue Wortschöpfung "bakat", ein Kürzel für"berbahaya, sikat" ("im Notfall auslöschen") warenjetzt in der indonesischen Presse häufig zu lesen. Neben ausführlichenBeschreibungen einzelner Gewalttaten, die das Ausmaß der zunehmendenBrutalität dokumentieren sollen, wird die Kriminalität als "Krankheit"der Gesellschaft bezeichnet, die bekämpft werden muß, bevores zu spät ist. Einige Stimmen weisen jedoch auch darauf hin, daßdie Kriminalität eine Folge der Armut und der Lebensverhältnissein den städtischen Slumgebieten ist. Der Soziologe Arief Budiman sprichtdie Schwäche des indonesischen Rechtssystem an, das von vielen alsunzuverlässig und langsam angesehen wird. "Mit Gewalt werdenin diesem Land viele Probleme gelöst," sagte er gegenüberEditor. "Geht es bei einem Problem nicht voran, schreitet das Militärein. So entsteht die Vorstellung, jede Angelegenheit ließe sich gewaltsambereinigen" /Editor, 21.4.94/.

Damals "Petrus", heute "Petrang"

Mitarbeiter des Rechtshilfeinstituts LBH fürchten, eine Widerholungder sogenannten "Schocktherapie" vor zehn Jahren. Die von PräsidentSuharto selbst so bezeichnete systematische Ermordung von schätzungsweisefünf- bis zehntausend Kleinkriminellen in den Jahren 1983-85 hat inIndonesien ein Trauma hinterlassen. Damals wurde von höchster Ebenebeschlossen, die zunehmende Kriminalität in den Städten durchden Einsatz von Todesschwadronen zu bekämpfen. Lange Zeit gehörtenjene staatlichen Morde zu den Tabuthemen, weshalb in der indonesischenPresse nur von "Mysteriösen Killern" bzw. dem Kürzel"Petrus" (für "Penembak Misterius") berichtetwurde. Seit Suharto in seiner Autobiographie die Öffentlichkeit damitüberraschte, daß er selber die "Säuberungsaktion"angeordnet habe, ist es jedoch kein Geheimnis mehr, mit welchen Mittelndie Regierung ihre Autorität auch im Bereich der Verbrechensbekämpfungunter Beweis stellt.

Internationale Proteste, vor allem von amnesty international wurdenvon der indonesischen Regierung seinerzeit als "unzulässige Einmischungin die inneren Angelegenheiten des Landes" abgewiesen.

In einem Interview mit BBC-Indonesia begründete ein Anwalt derLBH seine Besorgnis. "Die Eltern eines der Opfer berichteten uns,wie ihr Sohn von der Polizei abgeholt wurde. Man sagte ihnen, er sei verdächtigt,in den illegalen Handel mit Drogen verwickelt zu sein und solle deshalbverhört werden. Einige Tage später erfuhren sie aus der Zeitung,daß ihr Sohn erschossen aufgefunden wurde." Auffällig sei,wie er weiter erklärte, daß die Polizei den Eltern nicht dieErlaubnis gewährt habe, die Leiche ihres Sohnes vom Leichenschauhausabzuholen. Der Pressesprecher des indonesischen Polizeihauptquartiers wiesgegenüber BBC-Indonesia Verdächtigungen der LBH zurück.Er sagte: "Es stimmt nicht, daß es Erschießungen gegebenhat, die Sie mit 'Petrus'-Morden bezeichnen. Wir sind bemüht, auchin den angesprochenen Fällen den Rechtsweg einzuhalten. Die Kriminellenleisteten Widerstand und gefährdeten die körperliche Unversehrtheitder Beamten. Deshalb waren sie gezwungen zu schießen. Von einer 'Schocktherapie'kann also keine Rede sein."/Tapol, Mai '94/

Statt "Petrus" hat sich inzwischen denn auch der Begriff "Petrang"eingebürgert, der für "Penembakan terang-terangan"("öffentliche Erschießungen") steht.

Erklärtes Ziel ist es, aus Jakarta "die sicherste Stadt derWelt" zu machen. Aber nicht nur in der Hauptstadt hat die Menschenjagdbegonnen, auch die Polizeikommandanten von West- und Mitteljava bekennensich zur Strategie "dar der dor" ("Peng, peng, peng")/Tapol, Juni '94/. Im April dieses Jahres wurden in Bandung, West-Java,sechs Leichen in einem Sack gefunden. Nach offiziellen Angaben sei nichtgeklärt, ob sie "von Sicherheitskräften oder anderen Gruppen"umgebracht worden sind. In Semarang, Mittel-Java, schossen Polizisten bisMai insgesamt 14 mutmaßliche Kleinkriminelle nieder, wobei eine Persontödlich verwundet wurde. In anderen Städten gab es Großrazzien,wie z.B. in Surabaya, Ost-Java, die "Operasi Sikat Ofensiv 94"("Offensive Säuberungsoperation"). /Tempo, 21.5.94/

Menschenrechte nur für "anständige Menschen"

Insbesondere die Reichen und Besserverdienenden in der Gesellschaftunterstützen Äußerungen wie die des Oberkommandierendendes Heeres, Gen. Faisal Tanjung, der sagte: "Verbrecher müssenausgerottet werden. In keinem Fall werden wir sie begünstigen...Wennsie ein Warnschuß nicht zum Anhalten bringt, bleibt nichts anderesübrig, als sie auszulöschen," /Kompas, 3.3.94/. Einwändewegen der Verletzung der Menschenrechte wischt Generalmajor Hendroprijonomit der Bemerkung vom Tisch, es seinen ja die Kriminellen, die keine Achtungvor dem Leben anderer hätten. "Es gilt, die Menschenrechte anständigerMenschen zu verteidigen, nicht aber die von Banditen." So schnellwerden Menschen in Gut und Böse aufgeteilt und die letzteren fürvogelfrei erklärt. Soziale Probleme, die die Neue Ordnung selber produzierthat, will sie mit einem Gewaltstreich beseitigen, auch wenn die Tötungsaktionen1983-85 gezeigt haben, daß sich die Kriminalität nicht durch"Schocktherapien" abschaffen läßt. <>

 
 
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