Die siebenjährige Nersia lebt in einem Kinderheim zusammen mit Dutzenden von anderen Kindern in Zentral-Java. Die einzige Verbindung zu ihren Eltern sind die zerknitterten Fotos, die sie fest umschlungen hält. Ihre Eltern sind Hunderte Kilometer von ihr entfernt, in einem der Flüchtlingslager in West Timor. Nersia ist eines von 130 Kinder aus Ost-Timor, die in den Flüchtlingslagern in West-Timor von ihren Eltern getrennt wurde.
The Age erfuhr von Menschenrechtlern, dass diese Kinder von pro-indonesischen Ost-Timoresen deportiert wurden, um sie zu indoktrinieren und zu politische Aktivisten auszubilden, die sich für eine Reintegration von Ost-Timor mit Indonesien einsetzen sollen. Soni Qodri, ein humanitärer Helfer aus Jakarta, schätzt, dass bis zu 1.000 Kinder von ihren Eltern in den Lagern getrennt und in verschiedene Provinzen Indonesiens verschickt wurden. Er befürchtet, dass viele der Kinder gezwungen sind in indonesischen Textilfabriken oder Plantagen zu arbeiten, oder sich gar prostituieren müssen.
Viele der 130 Kinder, deren Alter zwischen sechs und siebzehn Jahren liegt, sind stark traumatisiert. Ihnen wurde erzählt, sie könnten erst in drei Jahren ihre Eltern wieder sehen. Sie leben in primitiven Unterkünften und werden von katholischen Nonnen betreut, die mit Mühe und Not für Essen, Kleidung und Medikamente sorgen.
Den Eltern in den west-timoresischen Flüchtlingslagern wurde versichert, auf Java könnten die Kinder eine bessere Ausbildung genießen. UN-Mitarbeiter betonen, die Zustimmung der Eltern wurde in einer Zeit des Chaos und mit der Furcht vor der Zukunft erpresst. Die Trennungen sind nicht im Sinne der UN-Konvention, die Kindern Schutz bieten soll.
Die Kirchenmitarbeiter in Java befürchten, dass die Kinder politisch manipuliert werden sollen. Bruder Paulus Mudjiran vom Büro des Bischofs in Semarang sagt, die Kirche sehe sich gefangen in dem Dilemma, da sie nicht in die Ost-Timor Politik involviert werden möchte: "Unser Job ist es lediglich für die Kinder zu sorgen. Wir sind uns durchaus bewusst, dass Andere Pläne mit den Kindern haben könnten. Um die politische Manipulation möglichst gering zu halten, versuchen wir die Kontakte zwischen denen, die die Kinder herbrachten, und den Kindern selbst möglichst zu minimieren."
Die Männer, die die Umsiedlung der Kinder aus den in Lagern lebenden Familien organisierten, sind eng verbunden mit den pro-indonesischen Milizen, die für Gewalt und Einschüchterung in den west-timoresischen Flüchtlingslagern verantwortlich sind. Einer dieser Verantwortlichen ist Octavio Soares, prominenter Studentenaktivist aus Yogyakarta. Gegenüber The Age sagte Soares, er habe die Deportation der Kinder nach Java arrangiert, um ihnen eine solide Bildung zu ermöglichen. Er verneinte den Vorwurf, er plane die Kinder für politische Zwecke zu benutzen: "... ich tat dies aus strikt humanitären Gründen". Soares will mindestens 1000 ost-timoresischen Kindern eine Ausbildung ermöglichen. "Sie sollen eine solide Bildung von mindestens neun Jahren bekommen, damit sie zu mündigen und besseren Personen heranwachsen, die für ihre eigenen politischen Rechte kämpfen können, wenn sie erwachsen sind." Soares ist der Neffe des ehemaligen - von Jakarta ernannten - Gouverneurs von Ost-Timor, Abilio Soares. Gegen ihn werden im Zusammenhang mit der Gewalt und Zerstörung im vergangenen Jahr Vorwürfe erhoben. Seine Frau ist Vorsitzende des von der indonesischen Regierung finanzierten National Foster Parent's Program (GNOTA). Ein Informant, der mit Soares gut bekannt ist, erklärt: "es existiert ein Plan, um Ost-Timor wieder Indonesien einzuverleiben, auch wenn es zwanzig Jahre oder länger dauert. Die Kinder sollen diesem Plan dienlich sein."
Humanitäre Helfer glauben, dass viele Eltern gar nicht wissen, wo ihre Kinder hingekommen sind. Einige Kinder litten unter Malaria, Tuberkulose und anderen Krankheiten bei ihrer Ankunft. "Viele reden im Schlaf in ihrer Muttersprache (Tetum)", sagt eine Nonne, "sie schreien sich öfter gegenseitig an und kämpfen untereinander". Der zwölfjährige Francisco Tilman sagte gegenüber The Age, dass er unglücklich sei und seine Familie vermisse, insbesondere seine fünfjährige Schwester Juleta. Er hätte nicht einmal Gelegenheit gehabt, sich von ihr zu verabschieden. Oktavio Soraes sei wütend geworden, als er ihm sagte, er wolle wieder nach Hause, erzählt Fransisco, der nur mit Mühe seine Tränen zurückhalten kann. "Ich schrieb an meine Eltern, aber ich habe nie eine Antwort erhalten."
Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerkes (UNHCR) besuchten bereits zwei Mal die Kinder und versicherten, die Eltern zu kontaktieren und sich für die Wiedervereinigung der Familien einzusetzen. Dies betonten sie auch noch mal gegenüber The Age. Der Rückzug der UN und anderer internationaler Hilfsarbeiter aus West-Timor nach den Morden an drei UN- Mitarbeitern am 6. September hat den Plan jedoch vorerst wieder zunichte gemacht.
Der Sprecher des UNHCR in Dili, Peter Kessler, sagt, "das UNHCR wird die Bemühungen unterstützen, diese Kinder mit ihren Familien in West- oder Ost-Timor wieder zusammen zu bringen." Eine unbekannte Anzahl von Familien ist von West-Timor wieder nach Ost-Timor zurückgekehrt. Sechs Familien haben das UNHCR in Dili um Hilfe ersucht, damit ihre Kinder aus Java zu ihnen zurückgebracht werden können. Humanitäre Helfer aus Indonesien, die Zugang zu den Flüchtlingslagern in West-Timor haben, werden gebeten, nach den Familienangehörigen der Kinder zu forschen. Das UNHCR will ebenfalls nach Familien suchen, die mittlerweile nach Ost-Timor zurückgekehrt sind.
Soni Qodri erfuhr bei einem Besuch eines Kinderheimes in Situbondo (Ost-Java) von einem Jungen, dass dieser aus Ost-Timor stamme. Daraufhin wurde der Junge von einem anderen Jungen geschlagen und mit der Bemerkung "Du bist aus Kupang!" (Hauptstadt West-Timors) in ein Haus gezerrt. Später wurde Qodri von einem Betreuer versichert, es gäbe in diesem Heim keine Kinder aus Ost-Timor.
Der Flüchtlingsservice der Jesuiten, so wurde dem UNHCR berichtet, habe die Deportation von 16 ost-timoresischen Kindern in ein Kinderheim auf Kalimantan zurück verfolgen können. Qodri sagte, es war falsch die Kinder von ihren Eltern zu trennen, egal wie die Umstände waren: "Die Kinder wurden ihren Eltern und ihrer Kultur entrissen. Die UN-Agenturen und die indonesische Regierung sollten sofort Schritte einleiten, um die Familienangehörigen der Kinder ausfindig zu machen und diese wieder zu vereinigen. Ich bin in größter Sorge, dass diese Kinder Opfer bestimmter politischer Gruppen werden". <>
Übersetzt und redaktionell bearbeitet von Philipp Burtzlaff, Watch Indonesia!
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