Indonesien-Information Nr. 3 2000 (Politik)

Gus Dur - ein echter Mann wird gebraucht

von Pipit R. Kartawidjaja

In Indonesien kochen die Emotionen hoch. Eine unbekannte Frau, Ibu Aryanti Boru Sitepu, 38, Mutter von 2 Kindern, behauptet, dass unser Präsident, Gus Dur, mit ihr eine intime Beziehung gehabt habe. Da beide ja nicht miteinander verheiratet gewesen waren, hatte Ibu Sitepu seine Annäherungsversuche zunächst abgelehnt. Später sei sie allerdings eine verkehrstechnische Beziehung mit ihm eingegangen. Jedenfalls teilte sie das der Presse mit /Panji, 06.09.00, Radio Ramako, 21.09.00/. Unglaublichhhhhhh! Ist unser Präsident ein Vulkan?

Das Verflixte an dieser Geschichte ist, dass ein Foto ihre Behauptung zu untermauern scheint. Das Foto - natürlich kein "scharfes" und "heißes" - zeigt Ibu Aryanti, auf dem Schoß von Gus Dur sitzend. Siehe da, sie nur bekleidet mit einem weiten Daster (Hauskleid) und er in kurzen Hosen und T-Shirt Während Gus Durs linker Arm sanft auf Ibu Aryantis Hüfte ruht, umarmt sie seine Schulter. Ein "Skandal!" /Panji/, urteilt die Presse /Tempo, 06.09.20 u. 13.09.00/.

Warum reagieren wir darauf so entsetzt?

Sowohl Ibu Aryanti als auch Gus Dur sind "fromme" Moslems, die sich wegen ihrer Pilgerfahrten nach Mekka - eine von fünf Pflichten im Islam - mit dem Titel "Hajah" (für Frauen) bzw. "Haji" (für Männer) schmücken dürfen.

Der "Skandal" ließ alle verstummen. Sogar die islamischen Religionsführer "Ulama" hüllten sich in Schweigen. Warum? Das fragt sich auch der politische Beobachter Amir Santoso /Republika, 16.09.00/. Wird doch gerade von Gus Dur, einem "Kyai" (Titel für einen Geistlichen), erwartet, dass er sich nicht der Sünde hingibt.

Schließlich bestehen da ja auch andere Möglichkeiten, wie uns unser Wirtschaftsminister, Rizal Ramli (47), kürzlich bewies. Obwohl ihm seine erste Frau drei Kinder schenkte, war ihm das noch nicht genug. Er begab sich auf die Suche nach einer weiteren Frau, die er aber - im Unterschied zu Gus Dur - offiziell ehelichte. Denn "eine zweite Ehe zu führen ist besser als eine fremde Frau auf den Schoß zu nehmen oder fremd zu gehen", sagte Hartono Mardjono, Parlamentsmitglied der islamischen Partai Bulan Bintang (PBB) /Tempo, 17.09.00/. Hätte sich Gus Dur doch nur an die gängigen Spielregeln gehalten und wie sein timoresischer Zwillingsbruder Gus Mao gehandelt, der seine australische Geliebte einfach heiratete. Dann wäre ihm dieser Skandal sicherlich erspart geblieben. /Tempo,17.09.00/

Denn eine solche regelwidrige Ver-haltensweise gilt als schwerer Verstoß gegenüber unseren guten Sitten.

Jetzt haben wir den Eklat - Aryantigate genannt /Republika, 16.09.00, Panji, 13.09.00, Tempo, 17.09.00, Forum Keadilan, 17.09.00/. Im Vergleich mit den Skandalen der US Präsidenten - von Watergate über alle anderen "gates" - außer Bill Gates - ist unser Skandal denen der Supermacht durchaus ebenbürtig.

Durch die Liebesaffären von George Washington, Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy und nicht zuletzt Bill Clinton, wissen wir mehr über die Präsidenten der USA und deren Aryantis. So wird in Zeiten der Globalisierung Ibu Aryanti Boru Sitepu folglich zu Aryanti Lewinsky und Gus Dur zu Gus Clinton.

Zugegeben, diese Beziehung soll sich zwischen 1995-1997 ereignet haben, als Gus Dur noch nicht Präsident war. Das heißt, das Problem "memangku" (auf den Schoß nehmen) war noch Privatangelegenheit. Da aber die Vergangenheitsbewältigung immer zur Vergewaltigung der Gegenwart führt, ist diese intime Beziehung jetzt zu einem Staats- und Öffent-lichkeitsproblem geworden. Das Gegenwärtige in diesem Fall ist die Tatsache, dass Aryanti Lewinsky Gus Dur noch liebt /Radio Ramako, 21.09.00/. Und das obwohl Gus Dur schon in der Vergangenheit die Beziehung beendet haben will.

Ibu Aryanti, was soll denn das? Warum vergegenwärtigen Sie die Vergangenheit? Und ist es nach unserer moralischen Vorstellung erlaubt, den Präsidenten zu lieben und das auch noch öffentlich?

Nun da Gus Dur unser Präsident ist, kommt die Aryantiaffäre ans Tageslicht. Eigentlich hätte Ibu Aryanti Boru Sitepu bereits Gelegenheit gehabt, Gus Dur ins politische Abseits zu befördern, als dieser unter Suharto noch das Amt des Vorsitzenden der größten islamischen Organisation, Nadhlatul Ulama, innehatte. Wartete Ibu Aryanti Boru Sitepu etwa absichtlich drei Jahre lang auf diesen Moment, um jetzt mit diesem Super-Poker Gus Dur in die Position von Super Power Bill Clinton zu puschen?

Sind wir psychologisch schon vorbereitet, die amerikanischen Verhältnisse zu übernehmen? Wir ernähren uns zwar außerordentlich gern von McDonalds und Kentucky Fried Chicken, auch verwenden wir mit Vorliebe amerikanisches Englisch, so dass wir befürchten müssen, unsere Sprache bald nicht mehr wieder zu erkennen. Doch unser Traum ein Land wie die USA zu sein, erfüllt sich vorläufig noch nicht. In punkto Globalisierung befinden wir uns demnach auch erst in den Kinderschuhen.

Außerdem gab es bei dem amerikanischen Präsidenten und seiner Affäre eine andere Reihenfolge als bei unserem Präsidenten. Bill Clinton wurde erst Präsident und nahm dann Monica Lewinsky in seinem Schloss, dem "Weißen Haus", auf den Schoß. Die Gegenwart über-rollte Bill. Bei Gus Clinton war es genau anders herum. Erst nahm er sich Aryanti Lewinsky und danach das Präsidentenamt. Die Vergangen-heit überwältigte sozusagen Gus Clinton.

Nun gut. Gus Dur ist ertappt worden, Aryanti Lewinsky auf seinen Schoß genommen zu haben. Ist daraus etwa zu schlussfolgern, dass es eins seiner Hobbys ist, fremde Frauen auf den Schoß zu nehmen? Wenn wir den Gedanken weiterführen, drängt sich uns die Frage auf, wie sein Verhältnis zu unserer jetzigen Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri wohl aussieht. Durfte sie ebenfalls auf seinem Schoße Platz nehmen? Möglichkeiten gäbe es da sicher viele, Gelegenheiten bieten sich an und tauchen unerwartet auf.

Aber wenn Gus Dur tatsächlich Megawati Sukarnoputri oft und soft auf seinen Schoß nehmen sollte, dann träfe ihn hier aber keine Schuld. Wegen seiner Blindheit belächeln wir Indonesier unseren Präsidenten gern. Es kursiert bei uns ein Witz, der folgendes besagt: "Auf der Welt gibt es viele verrückte Präsidenten, Marcos oder Idi Amin sind Beispiele. Aber nur in Indonesien sind die Wähler verrückt. Sie haben einen ‚Blinden' zum Präsidenten und eine ‚Stumme' zur Vize-Präsidentin" gewählt.

Also, als Blinder, muss Gus Dur Megawati gezwungenermaßen auf seinen Schoß nehmen, weil Megawati scheinbar stumm ist. Er muss sie betasten, um sich zu vergewissern, ob die Frau auf seinem Schoß tatsächlich seine Vize ist. Denn ohne diese Berührung besteht ja die Gefahr, dass jede Frau, die zu ihm kommt, sich als seine Vize ausgibt. Weil Megawati nichts sagt, muss er demzufolge von solchen Eigenarten Gebrauch machen. So gesehen - warum tun wir uns so schwer mit unserem Präsidenten und "der Frau auf seinem Schoß"?

So berichtet z.B. Anas Urbaningrum, der Direktor von Komunitas Untuk Transformasi Sosial (eine NGO für soziales Wandeln; zu schön, den korrigier´ich nicht, d. säzzer), von einer Untersuchung, die besagt, dass 2 von 3 Männern in Jakarta fremd gehen. Und das wird durchaus als "normal" empfunden /berpolitik.com, 31.08.00/. Auch Widi Yarmanto bestätigte in seinem Artikel "Selingkuh" die o.g. Betrügerei der Männer /Gatra, 16.09.00/. Die Zeitschrift Misteri vom 5.-19. August 2000 schrieb, dass "Fremdgehen" unter den indonesischen Männern zur Zeit ein Trend sei. Also wenn das "normal" ist, wo liegt dann das Problem? Vielleicht hätte Ibu Aryanti Lewinsky Gus Dur auf ihren Schoß nehmen sollen - und nicht umgekehrt. Denn wir Indonesier kennen den Ausdruck: "Kembali ke pangkuan Ibu Pertiwi", was so viel bedeutet wie "Zurück in Mutters Schoß". Beispielsweise wurde diese Formulierung als Rechtfertigung bei der Wiedereingliederung von West-Papua Jaya in den Schoß Indonesiens im Jahre 1962 benutzt.

Außerdem, sollten wir froh sein, dass Gus Dur ertappt wurde, Aryanti Lewinsky auf seinen Schoß genommen zu haben. Wären wir nicht verrückt geworden, wenn Megawati Sukarnoputri die Wahl im vergan-genen Jahr gewonnen hätte und sie mit Lewinsky ertappt worden wäre? Eine Frau als Präsidentin - das darf bei uns nicht passieren. Wäre Megawati unsere Präsidentin geworden, würde Indonesien der Untergang drohen. Denn Frauen gehören in die Küche - oder als Gastarbeiterin nach Saudi Arabien, Kuwait oder in die Vereinigten Emirate. Eine Frau hat dem Mann als Oberhaupt der Familie zu gehorchen. Dies sei Gottes Wille /u.a. SiaR vom 20.08.00, Bali Post, 26.08.00, Xpos Nr. 29/II/22.-28.08.00/.

Zugegeben, wir haben nicht aufgepasst. Als wir unser Wahlgesetz formulierten, haben wir vergessen niederzuschreiben, dass eine Frau zwar als Kandidatin an den Wahlen teilnehmen darf, aber nur unter folgender Bedingung: Sie darf die Wahlen nicht gewinnen. Blöderweise haben wir dem Wahlgesetz ohne diesen Zusatz zugestimmt. Und hinzu kommt die Phase der unglaublichen Begeisterung für die Demokratie nach der langen Dürreperiode unter Suharto, in der wir alle blind waren.

Gott sei dank haben wir noch Gus Dur. Und nun musste Gus Dur, der einzige Mann im Kreise unseren schlappen Männer, gegen Megawati antreten. Zugegeben, Megawati war die einzige, die den Mut hatte, Suharto gefährlich zu werden. Wir Männer hingegen verhielten uns im alten Regime wie Waschlappen. Gegen Megawati anzutreten, war ein schwerer Brocken für uns Männer.

Wir haben Gus Dur als "Blindem" vertraut. Wir haben ihm aber auch blind vertraut. Aber auch als Blinder ist er immer noch ein Mann. Aber wie hätten wir wissen können, dass Gus Dur ein "echter", "normaler" Mann ist, wenn nicht durch dieses ominöse Foto, auf dem Gus Dur Aryanti Lewinsky auf seinen Schoß nimmt. Dazu Aryanti Lewinskys Beichte, die uns wissen lässt, dass Gus Dur diese Aufgabe verkehrstechnisch problemlos bewältigt hat. Unser Präsident Gus Dur, nicht impotent und schon gar nicht schwul, wird dringend gebraucht, um unser Indonesien in das neue Jahrtausend zu führen. <>  
 

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