Nach langer kontroverser Diskussion verabschiedete das indonesische Parlament am 6. November 2000 ein Menschenrechtsgesetz. Dies war notwendig, um eine Rechtsgrundlage zu schaffen, auf der die Verantwortlichen für die in Ost-Timor begangenen Verbrechen vor ein indonesisches Gericht gestellt werden können. Mit der Zusage Indonesiens, diese Täter vor ein nationales Gericht stellen zu wollen, konnte bislang die von einer UN-Untersuchungskommission empfohlene und von Menschenrechtsorganisationen seit langem geforderte Einberufung eines internationalen Tribunals erfolgreich abgewendet werden.
Mittels des neuen Gesetzes können nun nach Zustimmung des Parlaments sowie des Präsidenten Ad-hoc-Gerichte einberufen werden, um über Täter und Verantwortliche von schweren Menschenrechtsverletzungen zu richten. Arnold Purba von der Nichtregierungsorganisation Solidaritas Nusa Bangsa kritisiert, dass mit dieser Regelung eine unzulässige Abhängigkeit der Judikative von der Legislative geschaffen werde, die es der Justiz unmöglich mache, ohne eine Entscheidung von höchster politischer Stelle eigene Ermittlungen anzustellen. Das Gesetz unterscheidet nicht, ob die zu ahndenden Menschenrechtsverletzungen in Indonesien oder im Ausland begangen wurden. Zur Beruhigung internationaler Beobachter können juristische Haarspaltereien, ob Ost-Timor vor dem Unabhängigkeitsreferendum 1999 zu Indonesien gehörte oder - dem internationalen Recht entsprechend - bereits damals als Ausland anzusehen war, somit kaum zur Verteidigung von Angeklagten herangezogen werden. Die vorgesehene Höchststrafe, die beispielsweise wegen Völkermordes verhängt werden kann, beträgt 25 Jahre Haft. Das Gesetz sieht auch die Einrichtung einer nationalen Wahrheits- und Versöhnungskommission vor, bleibt jedoch recht unspezifisch, was deren Realisierung anbetrifft. Kritiker befürchten, dass hiermit in Anlehnung an den guten Namen der Wahrheitskommission in Südafrika ein Schlupfloch geschaffen werden soll, mit dem sich die Verurteilung von Tätern - von denen die überwiegende Mehrzahl in den Reihen des mächtigen Militärs zu suchen ist - zu Gunsten eines "folgenlosen" Versöhnungsprozesses abwenden ließe.
Größter Streitpunkt blieb bis zum Schluss, die Frage, ob das neue Gesetz auch rückwirkend angewandt werden könne. Es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, bis die Abgeordneten aller zehn Fraktionen letztlich der Rückwirksamkeit zustimmten. Justiz- und Menschenrechtsminister Prof Dr.Yusril Mahendra erklärte nach der Abstimmung, die Rückwirksamkeit des Gesetzes sei nicht zeitlich begrenzt, sie könne im Zweifelsfall "bis zu Adam und Eva" zurück geltend gemacht werden. Kurz zuvor hatte sich der Minister noch für eine Begrenzung der Rückwirksamkeit auf maximal 15 Jahre ausgesprochen. /Detikworld, 6.11.00/
Die anfängliche Widerspenstigkeit der Abgeordneten, dieser Regelung zuzustimmen, erscheint nachvollziehbar. Erst im August hatten die 500 Parlamentarier als Teil der 700 Mitglieder zählenden Beratenden Volksversammlung (MPR) mehrheitlich einen Verfassungszusatz (Art. 28i UUD 1945) verabschiedet, der genau diese nun beschlossene Rückwirksamkeit von Gesetzen verbietet (s. Indonesien-Information Nr. 1/2, 2000). Das nun verabschiedete Menschenrechtsgesetz ist damit schlicht und ergreifend verfassungswidrig und dürfte daher - zumindest, was diesen Punkt angeht - niemals zur Anwendung kommen.
Justizminister Yusril Mahendra erklärte, die Verabschiedung des Gesetzes werde "hoffentlich das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft in Indonesiens Gesetzesvollzug in Sachen Menschenrechte wiederherstellen" /Antara, 7.11.00/. Ungeschminkt gab der Minister damit die wesentliche Intention zum Besten, die mit der Verabschiedung des Menschenrechtsgesetzes verfolgt wurde. Es galt, der internationalen Gemeinschaft Sand in die Augen zu streuen und sie Glauben zu machen, dass auf dem Weg zu einem nationalen Gerichtsverfahren gegen die Täter von Ost-Timor Fortschritte gemacht würden. Der Zeitpunkt war günstig, denn nur wenige Tage später sollte eine UN-Botschafterdelegation nach West- und Ost-Timor reisen, um die Ursachen und Folgen der Morde an drei Mitarbeitern des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) Mitte September in Atambua, West-Timor, zu untersuchen. Diese Morde waren dem Unvermögen bzw. Unwillen der indonesischen Regierung geschuldet, die timoresischen Milizen aufzulösen und zu entwaffnen, wie es nach dem New Yorker Abkommen vom 5. Mai 1999 bereits vor dem Referendum in Ost-Timor hätte geschehen müssen. In der Folge hatte die Forderung nach einem internationalen Tribunal seit September neuen Auftrieb erhalten, dem es nun unmittelbar vor dem Besuch der Botschafterdelegation zu begegnen galt. Das vorgetäuschte energische Handeln durch Verabschiedung eines Gesetzes, das nie zur Anwendung kommen wird, kam da gerade richtig.
In Wirklichkeit denken Indonesiens Hardliner nicht daran, den Menschenrechten in Zukunft einen höheren Stellenwert einzuräumen. Die jüngsten Militäroperationen in Aceh, bei denen Dutzende von unschuldigen Zivilisten erschossen wurden, und die gezielte Eskalation des Konfliktes in West-Papua sprechen für sich. Mitte November erfolgten fast gleichzeitig Festnahmen von führenden Mitgliedern des West-Papua Präsidiums sowie vom Vorsitzenden der Kampagne für ein Referendum in Aceh (SIRA), Muhammad Nazar, gegen die erstmals seit dem Rücktritt des früheren Diktators Suharto wieder nach den berüchtigten noch aus der Kolonialzeit stammenden "Haatzai-Artikelen" (Art. 154, 155, 160 u. 161 des Strafgesetzbuches) ermittelt wird.
Dass Indonesiens Nationalisten auch vor dem Bruch weiterer internationaler Verträge nicht zurückschrecken, wenn es um den Schutz seiner Militärs geht, zeigte sich Anfang Dezember. Vergeblich wartete ein gemischtes Team von UNTAET (UN-Übergangsverwaltung für Ost-Timor) und indonesischer Generalstaatsanwaltschaft in Jakarta auf Zeugen, die zu den 1999 begangenen Verbrechen in Ost-Timor aussagen sollten /AP, 7.12.00/. Die Zeugenaussagen sollten im Rahmen von Strafprozessen, die derzeit in Ost-Timor selbst geführt werden, erhoben werden. Rechtliche Grundlage war ein Übereinkommen (Memorandum of Understanding, MoU), das am 7. April 2000 zwischen Indonesien, vertreten durch Generalstaatsanwalt Marzuki Darusman, und der UNTAET, vertreten durch Chefadministrator Sergio Viera de Mello, unterzeichnet worden war. Das Memorandum sieht die Zusammenarbeit bei der Vernehmung von Zeugen, die Sicherstellung von Beweismaterial, den gegenseitigen Informationsaustausch und dergleichen mehr vor - bis hin zur gegenseitigen Auslieferung von Angeklagten. Nun, da die UNTAET zum ersten Mal vom Inhalt des Abkommens Gebrauch machen wollte, schallte ihr nur nationalistische Polemik entgegen. Der einst profilierteste Menschenrechtsanwalt Indonesiens und heutige Verteidiger der beschuldigten Militärs, Dr. Adnan Buyung Nasution, beschuldigte Generalstaatsanwalt Marzuki Darusman, er sei unpatriotisch und verletze auf nationaler Ebene getroffene Übereinkünfte /Solidamor, 8.12.00/. Obgleich das Abkommen ohnehin keine Gesetzeskraft hat, hätte Marzuki Darusman das Abkommen nicht ohne Zustimmung des Parlamentes unterzeichnen dürfen, hieß es. Ein Gesetz, das tatsächlich die Unterzeichnung internationaler Abkommen von der Zustimmung des Parlaments abhängig macht, wurde allerdings erst im November 2000 verabschiedet - mehr als ein halbes Jahr nach dem problematisierten Memorandum of Understanding.
"Niemals werden wir unsere Soldaten für eine Befragung im Interesse der UNTAET überstellen," erklärte kategorisch der stv. Stabschef des Heeres, Generalleutnant Kiki Syahnakri /AFP, 9.12.00/. Kikis Ablehnung kommt nicht überraschend. Zwar steht sein Name noch nicht auf den Listen der offiziell als Täter beschuldigten Militärs, doch kaum ein anderer kennt Ost-Timor so gut wie er. Kiki Syanahkri wurde noch nach dem Referendum in den letzten Tagen der indonesischen Herrschaft in Ost-Timor, gleichzeitig mit der Verhängung des Kriegsrechts, zum Chef des Sonderkommandos für operative Sicherheit gemacht. Die schlimmsten Verbrechen 1999 sind unter seinem Oberbefehl geschehen. Bereits zuvor war der Offizier der berüchtigten Elitetruppe KOPASSUS Anfang bis Mitte der 90er Jahre in Ost-Timor stationiert - seinerzeit als Oberkommandeur des Regionalkommandos 164/Wira Dharma. In Folge des Massakers von Liquiça, 1995, wurde er vorläufig in die Zentrale nach Jakarta abberufen.
Eingedenk der Rückendeckung durch Leute wie General Kiki Syanahkri verwundert es nicht, dass sich der Widerstand gegen die UNTAET-Verhöre nicht auf das Fernbleiben der Zeugen und polemische Ausfälle beschränkt, sondern auch vor tätlichen Angriffen nicht Halt macht. Nachdem N. Parmeswaran, Personalchef der UNTAET in Ost-Timor, und Lakhan Mehrotra, Bürochef von UNTAET in Jakarta, ihr Problem mit dem indonesischen Parlamentspräsidenten Akbar Tandjung erörtert hatten, wurde ihr Wagen bei der Ausfahrt vom Parlament von einer aufgebrachten Masse angegriffen. Obwohl es einigen Randalieren sogar gelungen war auf das Dach des Wagens zu springen, kam bei dem Zwischenfall glücklicherweise niemand zu Schaden /Reuters, 11.12.00/.
Erneut Schaden genommen hat allerdings die internationale Glaubwürdigkeit Indonesiens. Die internationale Gemeinschaft sollte sich keinen Illusionen hingeben, dass die Verabschiedung des Menschenrechtsgesetzes doch ein Schritt in die richtige Richtung ist. Will man zumindest ein nationales Verfahren gegen die für Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor Verantwortlichen verwirklicht sehen, so scheint dies nur erreichbar zu sein, indem die Drohkulisse eines internationalen Tribunals glaubhaft aufrecht erhalten wird. Eine juristische Aufarbeitung der in Ost-Timor und anderswo begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen ist neben der Strafverfolgung des früheren Diktators Suharto, seines Sohnes Tommy und anderer Clan-Mitglieder die wahrscheinlich wichtigste Grundlage zur dringend notwendigen Reform des indonesischen Rechtswesens und damit zur Wiederherstellung eines Rechtsbewusstseins in der indonesischen Gesellschaft. <>
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