Indonesien-Information Nr. 3 2000 (Politik)

Tod dem Kommunismus - hoch leben die Geister!

Über die Aufhebung des Beschlusses der Beratenden Volksversammlung von 1966

von Pipit R. Kartawidjaja

Die Attacke der "betrunkenen Götter" zur Abschaffung des Kommunistenverbotes von 1966 (TAP MPRS 1966), welches die kommunistische Partei sowie die Verbreitung des Marxismus-Leninismus untersagt, traf bei indonesischen "Patrioten", die sich doch eindeutig zu Reformen bekennen, auf heftigsten Protest. Ihr Widerstand wurde von "patriotischen" Organisationen mit gewaltigen Demonstrationen, auf denen sie durchaus bereit waren gewalttätig zu sein, unterstützt. Nur, Demonstrationen alleine scheinen nicht auszureichen, um die Regierungsinitiative zu stoppen. Auch das Mitführen von scharfen Gegenständen: Messer, golok (kurze Schwerter) und samurai (japanische Schwerter) half da den "patriotischen Demonstranten" wenig. Unsere Brüder, die Nippons, dürfen sich freuen, dass ihre Produkte auch in Indonesien restlos abgesetzt werden: Autos, Kameras, Radios, Fernseher - und von nun an sogar Samurai-Schwerter. Unglaublich!

Nur eine Art von scharfen Gegenständen war mit Sicherheit nicht dabei. Die Sichel nämlich, die neben dem Hammer zu den "Waffen" der Kommunisten zählt, fehlte. Dabei verkennen unsere "Patrioten", dass eher die Sichel und nicht das Samurai-Schwert als Symbol unserer indonesischen Nation in Frage käme.

Von Geistern und Gespenstern

Sollte unser Präsident Gus Dur seine Absicht - den Beschluss des MPRS 1996 zu widerrufen - realisieren, muss mit heftigem und blutigem Widerstand gerechnet werden. Das Gespenst des Kommunismus geht in Indonesien um. Unglaublich, unglaublich!

Eigentlich ist der Kommunismus nach dem Fall der "Hammer und Sichel-Königreiche" des Ostblocks längst tot. Gestorben, dahingeschieden und von uns gegangen. Es mag sein, dass der Kommunismus im Reich der Mitte noch lebt. Aber beim chinesischen Kommunismus handelt es sich ja wohl eher um einen Playboy, der sich gerne den ganzen Tag unter der warmen Decke des Kapitalismus verkriecht.

Wenn also der Kommunismus schon ins Gras gebissen hat, wozu ist dann die Existenz des Beschlusses des MPRS 1966 noch nütze? Wenn er nicht mehr lebt, wovor fürchten wir uns dann? Etwa vor einem Toten? Ja, wir haben Angst vor Toten. Schließlich ist Indonesien als ein Land, in dem Geister und Gespenster ihr Unwesen treiben, bekannt. Außer Touristen und Interfet-Soldaten laufen bei uns also noch andere "fremde" Wesen herum - lauter "heimatlose" Geister, die keine Ruhe finden.

Beispielsweise berichtete Indonesiens einflussreichste und seriöseste Wochenzeitschrift TEMPO (vergleichbar mit dem SPIEGEL) am 15.04.1989 folgendes: Am Ufer des Flusses Cimanuk (West-Java) steckte seit längerer Zeit eine 18 Tonnen schwere Baumaschine im Flussschlamm fest. Sie konnte trotz aller Bemühungen nicht aus dem Schlamm herausgezogen werden. Deshalb fasste man einen ungewöhnlichen Entschluss: Helfen sollte die sechzigjährige Mama Hepi, die mit einem Geist namens "Jin" befreundet war. An jenem Tage versammelte sich, in Erwartung eines Wunders, eine große Menschenmenge am Fluss. Nachdem Mama Hepi am Ufer angekommen war, holte sie aus ihrer Tasche eine Plastikschnur hervor, die sie an der Maschine befestigte. Nach einer kurzen Meditation, zog sie behutsam an der Schnur. Etwas Unglaubliches geschah: die Baumaschine bewegte sich langsam nach oben. Doch dann unterbrach Mama Hepi ihre Aktion abrupt, nachdem sich die Maschine schon ganze drei Meter bewegt hatte. Der einsetzende Jubel der Zuschauer, hatte sie wütend gemacht. Sie befürchtete, der Lärm könnte "Jin" Angst einjagen. Und genau das passierte dann auch. Die Schnur zerriss. Dennoch gelang es Mama Hepi mit Hilfe ihres Freundes, die schwere Maschine aus dem Schlamm zu befreien und auf festen Grund zu setzen. Die Begeisterung, mit der TEMPO von diesem Vorfall berichtete, war nicht zu verkennen.

Endstation Zwischenwelt

Wie anhand dieses Beispiels deutlich wird, spielt der Glaube an Geister im Lebensalltag der Javaner eine wesentliche Rolle. So glauben sie z. B. an "wong alus" (unsichtbare Menschen), die je nach Aussehen, Aufenthaltsorten und nach ihren typischen Charakterzügen unterschieden werden. Prinzipiell teilt man die Geister in zwei Kategorien ein: zum einen die Guten, welche den Menschen helfen, und zum anderen die Bösen, jene die den Menschen Unglück bringen. Dies entspricht dem Harmoniekonzept der Javaner, wonach sich Gut und Böse gegenseitig ergänzen. Die Existenz dieser Geister beruht auf der Vorstellung, dass es zwischen dem Diesseits und dem Jenseits eine Zwischenwelt gibt, wohin sich die Seelen der Menschen nach ihrem Tod zunächst begeben. Dort wird den Seelen vom Gott Pangeran die Möglichkeit eingeräumt, ihr schlechtes Verhalten während ihres irdischen Daseins wieder gut zu machen. Sie haben die Wahl, entweder gute Taten zu vollbringen oder länger an dieser Zwischenwelt zu verweilen. Je nach Führung werden sie dann in die Hölle oder ins Paradies gelangen. Einen direkten Weg dorthin gibt es nicht.

Die Dorfbevölkerung glaubt, dass sich diese Welt der Geister überall manifestiert, z.B. in ihren Häusern, in großen Beringin-Bäumen (Ficus benjamina) und vor allem auf Friedhöfen. Um die Geister milde zu stimmen, müssen zu verschiedensten Anlässen Opfergaben erbracht werden. Diese Zeremonien werden "Slametan" genannt. Selbst die holländischen Kolonialherren ließen in ihren Zuckerfabriken auf Java "Slametan" durchführen.

Auch glauben die Javaner zu wissen, welche Geister verurteilt sind, auf der Welt herumzuirren. Sie sind der Ansicht, dass es sich dabei um die Seelen derjenigen handelt, die an einem Dienstag oder Samstag gestorben sind. Um die Verstorbenen vor diesem Schicksal zu bewahren, müssen kleine Beutel voller braun gebratener Reis- und Maiskörner, Bohnen oder auch Erdnüsse den Toten mit ins Grab gelegt werden. Folgende Worte werden dabei gesprochen: "Wir sind wohlwollend, dass du uns verlässt. Du darfst zurückkehren, wenn die Körner gewachsen sind." Das soll den Verstorbenen schmeicheln, aber eigentlich ist es ein bisschen hinterhältig. Seit wann können denn gebratene Körner noch keimen?

Sollte diese Beschwörung dennoch nicht ausreichen, so ist der Geist dazu verurteilt, auf der Welt herumzuirren - zum Schaden oder auch zum Nutzen der Menschen.

Die Geister der Kommunisten sind uns besonders suspekt, obwohl wir ganz genau wissen, dass sie verdammt sind als Gespenster herumzuirren. Ihre Seelen können keine Ruhe finden. Zum einen führten sie ein gottloses Leben und zum anderen tragen wir einen Teil der Schuld. Denn als wir 1965 die Kommunisten abschlachteten, vergaßen wir sie vorschrifts- und ordnungsgemäß zu begraben. Ihnen bleibt das Tor zum Paradies für immer verschlossen. Asyl wird ihnen nur in der Zwischenwelt gewährt.

Das hat zur Folge, dass wir zum Beispiel nicht wissen, wie es den Seelen des getöteten Generalsekretärs Aidit und der Politbüromitglieder der Kommunistischen Partei Indonesien (PKI), Nyono, Nyoto, Semaun und auch Muso jetzt ergeht. Es beunruhigt uns sehr, dass sich keiner der hunderttausenden getöteten Kommunisten bei uns meldet. Das kann doch nicht wahr sein. Unglaublich, unglaublich!

Geisterterror

Von den bösen Geistern werden am meisten die sogenannten "terroristischen" gefürchtet. Namentlich sind bekannt uns: "Sundel Bolong" (vertriebene Gespenster), "Tong-Tong Set" (Gespenster, die in fremde Leichen schlüpfen), "Genderuwo" (Gespenster, die Kinder quälen), "Tujue" (Gespenster, die schwangere Frauen malträtieren), "Glundung Pringis" (Gespenster, die nur als Kopf erscheinen) und "Kemamang" (strahlende Gespenster). Außerdem gibt es noch "Banaspati Hantu Pemangsa Manusia" (menschenfressende Gespenster), und "Siluman Harimau Putih" (Gespenster, die in Form eines weißen Tigers erscheinen und mit Vorliebe Frauen vergewaltigen). Näheres dazu kann man in der indonesischen Zeitschrift "Misteri" erfahren.

"Terroristisch" sind sie, weil sie die Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Besonders gefürchtet werden sie von der armen Bevölkerung. Das sind zumeist Bauern und ihre Fa-milien in abgelegenen Dörfern sowie die Bewohner der Slums in den Großstädten. Bis jetzt ist uns nicht bekannt, dass diese Geister jemals die wohlhabenden Bürger belästigt haben. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die "terroristischen" Geister nicht von den unruhigen Seelen der Kommunisten abstammen können. War es doch ihr Anliegen die Arbeiter- und Bauernklasse vom Joch der Armut zu be-freien. Ergo müssen die "terroristischen" Geister aus der Bourgeoisie kommen, welche die Armen ausbeutet und drangsaliert.

Gespenster kennt auch der Westen. Poltergeist, Luzifer und Graf Dracula sind selbst uns Indonesiern geläufig. In einem neuen "Dangdut"-Lied von Yulia Citra, heißt es: "[.....] Dein Herz ist in Wirklichkeit kein menschliches Herz, du bist wie der Blutsauger Dracula. Du verwandelst die prachtvolle Reinheit in die Hölle des Leidens. Ich ertrage es nicht.... [....]". /20 Lagu Dangdut Terseleksi Terpopuler Volume XVII/.

Die Klassenzugehörigkeit von Graf Dracula ist eindeutig: Ein Graf ist und bleibt ein Graf und wird nie und nimmer zum Proleten. Deshalb wäre Graf Dracula nie ein Generalsekretär der Kommunistischen Partei geworden. Selbst der aus Draculas Heimat Ru-mänien kommende Conductator Ceausescu stammte nicht von ihm ab. Ein Graf gehört zu den Adligen, die Land besitzen und ist damit ein Klassengegner der Kommunistischen Partei. Auch ohne den Beschluss der MPRS von 1966 wissen wir mit "terroristischen" Gespenstern umzugehen. Wir brauchen solch einen Beschluss nicht, weil wir nämlich genügend kompetente Medizinmänner (Permadi, Ki Gendheng Pamungkas, Suhu Acai, Sinsei Edan.) haben.

Die Machenschaften der feudalen Geister

Was uns in der gegenwärtigen Zeit mit ihren wirtschaftlichen Turbulenzen vor allem beunruhigt, ist die Existenz einer anderen Art von Geistern. Sie sind nicht etwa so wie die Gespenster, welche die armen Leute terrorisieren. Vielmehr handelt es sich um Helfer für alle, die in wirtschaftliche Not geraten. Unsere Landsleute beten diese Geister an, um schneller zu Reichtum zu gelangen. Neben materiellen Werten sind es meistens Probleme zwischenmenschlicher Natur, bei denen sich Beistand von den Geistern erhofft wird. Betrachten wir zunächst die Geister, welche uns Reichtümer bescheren sollen.

Die Königin des Süd-Ozeans, Ratu Kidul, ist eine der prominentesten Vertreterinnen dieser Kategorie. Ehrfürchtig stellen ihr alle Hotelbesitzer einen Raum zur Verfügung, den sie nach Lust und Laune bewohnen kann. Unglück droht all jenen Hoteliers, die das unterlassen. Ratu Kidul hilft guten Fischern, ihre Fangerträge zu steigern; sie kann aber auch das Leben böser Menschen als Opfer fordern, wenn diese z.B. im Süd-Ozean schwimmen. Aus Angst, von ihr in die Tiefe gezogen zu werden, vermeiden es die Indonesier in diesem Meer zu schwimmen. Anfang der 90er Jahren wurde ein Film, in dem Ratu Kidul als erotisch anziehende Frau dargestellt wurde, nicht länger aufgeführt, weil sich die Küstenbewohner vor ihrer Rache fürchteten.

Der Glaube an die Existenz von Ratu Kidul beeinflusst auch die javanische Vorstellung der Welt. Sie ist nicht nur die Gemahlin der Sultane von Yogyakarta, sondern zugleich auch die Beschützerin der Mataram-Dynastie. Daher gehört es zu den Pflichten eines jeden Sultans, in bestimmten Zeitabständen am Strand zu meditieren und dort Opfer zu bringen. Wie Graf Dracula ist Ratu Kidul als Königin eine Vertreterin des Adels. Eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft nach kommunistischem Ideal würde von ihr nie zugelassen werden. Aus diesem Grund droht von der Südküste keine kommunistische Gefahr.

Die Schwester von Ratu Kidul heißt Ratu Ayu Kuning. Ihr wird nachgesagt, einen geheimen Bund mit unserem ehemaligen Präsidenten Suharto eingegangen zu sein. Zusammen mit ihr gelang es Suharto die Kommunisten in Indonesien zu beseitigen. Ein Beweis dafür, dass sich die feudalen Geister mit den Gegnern es Kommunismus verbünden. Dies zeigt uns deutlich, dass der Schutz Indonesiens vornehmlich dem Adel vorbehalten ist. Dass man mit Kommunisten in einem Land friedlich zusammen leben kann, haben die beiden o.g. Königinnen - anders als Königin Elisabeth von England und Königin Beatrix von Niederlande - nicht erfahren können. Statt dessen ließen Ratu Kidul und Ratu Ayu Kuning zu, dass wir von den Niederländern besetzt wurden. Während sie mit den niederländischen Playboys flirteten, saugten diese uns aus.

Tod den toten Nationalhelden, es leben die toten Gauner

Wie bereits erwähnt, neigen wir Indonesier dazu, Grabstätten aufzusuchen, um dort für unser Wohlergehen zu beten. Diese Tatsache regte den berühmt berüchtigten Professor B. Anderson von der Cornell University zu einigen Überlegungen an. Er beschäftigte sich mit der Verehrung von Nationalhelden in Indonesien. Nach ihnen sind die meisten Straßen benannt, ihre Grabstätten, zu denen wir an Nationalfeiertagen zusammengetrieben werden, sind allen Bürgern Indonesiens geläufig. Logisch - was wäre aus unserem Land ohne unsere Nationalhelden geworden? Anderson stellte nun aber fest, dass das Volk diese Grabstätten nicht als "heilig" betrachtet und sie niemals freiwillig besuchen würde. Statt dessen pilgert das Volk noch immer zu den Friedhöfen, auf denen die "Ruchlosen" beerdigt sind. Warum zieht es das Volk immer wieder gerade zu diesen Ruhestätten? Es scheint an der mysteriösen Atmosphäre dieser Orte zu liegen. Denn dort liegen Personen, deren Todesursachen oft nicht geklärt worden sind. Ob die dort Begrabenen tatsächlich in Frieden ruhen, bleibt allerdings im Dunkeln. Gerade von solchen "heiligen" Grabstätten erhofft sich unser Volk alles Erdenkliche.

Professor B. Anderson fragt sich u.a., wo die Grabstätte der proletarischen Helden wie Aidit, Muso, Semaun, Nyono oder Nyoto liegen. Da sie offensichtlich keine Nationalhelden sind, können sie nicht auf den Nationalfriedhöfen begraben sein. Ihr Verbleiben gibt uns Rätsel auf. Was nun, wenn das Volk der Versuchung unterliegt, diese mysteriösen Grabstätten der o.g. Personen ausfindig zu machen? Das wäre natürlich gefährlich für unser Land - und auch der Beschluss des MPRS von 1966 kann da nichts ausrichten.

Aber keine Panik! Durch das Anbeten dieser Grabstätten wird das Volk niemals zu Kapital gelangen. Eher würden sie von den kommunistischen Geistern verhört werden, ob sie das "Kapital" schon gelesen haben. Eine wesentlich einfachere Lösung wäre es, die Genossen zu Helden der Nation zu erklären. Dann würde auch das Volk niemals auf den Gedanken kommen, diese freiwillig zu verehren.

Mit diesen Ausführungen ist es mir hoffentlich gelungen, die in unserem Land immer noch bestehende Angst vor dem Kommunismus und ihren Vertretern zu mindern. Sorge bereitet mir lediglich, dass es der Regierung noch nicht gelungen ist, den Beschluss von MPRS 1966 zu widerrufen. Denn der Kommunismus in Indonesien ist tot. Der Streit um die Aufhebung des Verbotes von kommunistischen Aktivitäten führt nur dazu, dass die Seelen der toten Kommunisten keine Ruhe finden können. Bleibt jedoch der Beschluss von MPRS bestehen, laufen wir Gefahr, dass unsere Demokratie in eine Gespensterdemokratie verwandelt wird. <>  
 

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