Nachdem am 6. September 2000 drei internationale Hilfsarbeiter des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen (UNHCR) in der west-timoresischen Stadt Atambua ermordet wurden, verließen sämtliche internationale Hilfsorganisationen und die UN fluchtartig die Inselhälfte. Ähnlich wie letztes Jahr in Ost-Timor wurde die internationale Präsenz wie ein Schwarm lästiger Fliegen vertrieben - und ließ noch immer ca. 130.000 heimatlose Ost-Timoresen zurück. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen reagierte umgehend und forderte Indonesien per Resolution erneut auf, unverzüglich seiner Verantwortlichkeit für die Entwaffnung aller Milizen und sämtlichen erforderlichen Maßnahmen zur Herstellung von Ruhe und Ordnung nachzukommen. Indonesiens Autoritäten stimmten missmutig zu, waren aber bisher nicht in der Lage, die Forderungen der Resolution zufriedenstellend zu erfüllen.
Dieser Artikel beleucht die Schwierigkeiten und Probleme, die es in der Zeit von September 1999 bis September 2000 bei der Implementierung humanitärer Hilfsmaßnahmen und der Rückführung der Vertriebenen gab - die Hilfe derer, die Vertriebenen halfen, bis sie selbst vertrieben wurden. Darauf aufbauend wird betrachtet, was sich seit den Atambua-Morden in West-Timor getan hat, und wie mögliche Zukunftsperspektiven aussehen.
Die Deportation
Nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Volksabstimmung vom 30. August 1999 wurden ca. 240.000 Menschen gezwungen, ihre Heimat in Richtung West-Timor zu verlassen. Ungefähr weitere 60.000 Personen, großteils indonesische Transmigranten, verließen Ost-Timor in Antizipation vor dem, was da kommen würde, bereits in den Wochen und Monaten zuvor. Aber auch ihre Flucht war, wie an die Öffentlichkeit gelangte Dokumente des Militärs vermuten lassen, von langer Hand geplant. Gestützt wird diese Annahme durch die Tatsache, dass bei der Lokalregierung in West-Timor zu einem Zeitpunkt, zu dem die in der indonesischen Militärsprache als "Evakuierung" bezeichnete Massendeportation noch gar nicht abgeschlossen war, bereits exakte Pläne für die Neuansiedlung zehntausender Familien vorlagen. Nachdem die INTERFET Truppen am 20. September in Dili landeten und das indonesische Militär seine großangelegte "Evakuierungsaktion" beenden musste, hielt sich weit mehr als ein Drittel der ost-timoresischen Bevölkerung in West-Timor und den umliegenden Inseln NTTs (Ost-Nusa-Tenggaras) auf. Bereits Mitte des Monats berichtete der Bischof von Atambua, Anton Ratu, in einem anonymen Brief über katastrophale Zustände in den Lagern der Vertriebenen. Er schrieb von Intimidation und gezielten Morden an jungen Männern. Zugang zu den Camps erwies sich zum damaligen Zeitpunkt als extrem schwierig. Die allgegenwärtige Präsenz rachsüchtiger pro-indonesischer Milizen, die unter den Vertriebenen Misstrauen gegenüber Nicht-Indonesiern schürten, erforderte Begleitschutz durch Militär oder Polizei. Die Milizen propagierten ihren Landsleuten, der UN und somit allen Ausländern nicht mehr zu trauen. Denn diese seien für das Chaos in Ost-Timor verantwortlich, und hätten auch ihr Versprechen nicht eingelöst in Ost-Timor zu verweilen, egal wie das Ergebnis des Referendums lauten würde.
Helfen, aber wie?
Um der Lage trotz dieser schwierigen Ausgangssituation Herr zu werden, bedurfte es umfangreicher Koordination. Wöchentlich traf sich der Krisenstab der indonesischen Lokalregierung West-Timors (Satkorlak) mit Vertretern der UN-Agenturen und internationaler Hilfsorganisationen. Daneben gab es eine Vielzahl weiterer Koordinationstreffen, wie z.B. zur Organisation der Nahrungsmittelverteilung (Food Distribution), Küchen- und Schutzutensilienverteilung (Non-Food & Shelter Distribution), Wasserversorgung -und Hygiene (Wastsan), Gesundheitsversorgung (Health), zur Rückführung der Vertriebenen (Repatriation) und zur allgemeinen Sicherheitslage (Security).
Bei den Bemühungen, sich zunächst einmal einen Überblick über die Situation in einigen der Lager, wie Noel Baki und Tua Pukan östlich von Kupang, die zum damaligen Zeitpunkt mit jeweils knapp 20.000 Vertriebenen zu den größten Lagern zählten, zu verschaffen, gab es wiederholt Übergriffe und Drohungen gegen Hilfsarbeiter. Viele Daten konnten nur in Zusammenarbeit mit Vertretern der Lokalregierung und einheimischen Nichtregierungsorganisationen gewonnen werden. Einige der unabdingbaren lokalen Implementierungspartner wiesen jedoch nur unzureichende Erfahrungswerte für die Durchführung humanitärer Operationen in diesen Größenordnungen auf. So dauerte es geraume Zeit, bis ein einigermaßen verlässlicher Überblick über Aufenthaltsorte und Zahlen Vertriebener und Geflohener bestand, mit dem kalkuliert werden konnte. Eine insgesamt offenere Koordination mit einheimischen NGOs (wie auch Kirche und in gewissem Maße Lokalregierung) und deren gleichwertige Einbeziehung in die Implementierung der Evaluations- und Hilfsmaßnahmen hätte sicher positive Auswirkungen gehabt, ließ sich aber vor einem komplexen Hintergrund politischer, ideologischer und finanzieller Interessen nicht realisieren.
Die Vertriebenen waren überall
Neben den beiden bereits erwähnten Lagern gab es zwei weitere große Camps mit jeweils ca. 10.000 Menschen in der Nähe Kupangs, ein großes Lager mit ca. 6.000 Menschen bei Soe (TTS - Timor Tengah Selatan/Mittelsüdtimor), zwei Camps mit jeweils mehr als 10.000 Leuten an den Grenzen zur ost-timoresischen Exklave Oecussi in West-Timor (TTU - Timor Tengah Utara/Mittelnordtimor), sowie mehrere große Lager mit mehr als 5.000 Personen in und um das Stadtgebiet von Atambua und dem südlich gelegenen Betun (Belu). Neben diesen großen notorischen Lagern, die meist durch Milizen und Militär kontrolliert wurden, gab es Dutzende kleinerer Flüchtlingslager in ganz West-Timor. Ferner suchten Zehntausende landesweit Unterschlupf bei den west-timoresischen Kirchen, bei denen sie sich in relativer Sicherheit wägen konnten. Eine dritte Gruppe Vertriebener fand Unterkunft bei Verwandtschaft und Familie in West-Timor. Wirklich exakte Angaben ließen sich jedoch zu keinem Zeitpunkt machen, da es zum einen permanente Migration zwischen einzelnen Lagern und zum anderen zwischen den drei erwähnten Gruppen von Vertriebenen gab. Parallel zu dieser Migration erfolgte eine mehr oder minder permanente Abwanderung Vertriebener in ein großes Übergangslager für Rückkehrwillige in Kupang.
Die Probleme der Rückführung
Diejenigen, die Asyl bei der Kirche gefunden hatten, waren die ersten, die nach der Ankunft der Friedenstruppen begannen, in ihre Heimat zurückzukehren. Einige von ihnen spontan, viele mit der Hilfe des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, das in seiner Arbeit von IOM (International Organisation for Migration) logistisch unterstützt wurde. Nach vorübergehender Unterbringung in dem Übergangslager in Kupang, ging es per Flugzeug oder Schiff zurück in den Osten. Andere Familien wurden per Konvoi direkt von Atambua oder Betun aus in die Heimat zurückgefahren. Nicht selten wurden das UNHCR und Rückkehrwillige bei solchen Rückführaktionen von Milizen attackiert. Obwohl es dabei nie zu wirklich fatalen Folgen kam, hatten diese Angriffe abschreckende Wirkung auf potenzielle Rückkehrer.
Jene, die bei Verwandten untergekommen waren, harren der Dinge. Von ihnen wollen viele bis zur endgültigen Unabhängigkeit Ost-Timors warten, um erst dann über eine mögliche Rückkehr entscheiden. Bis Dezember vergangenen Jahres kehrten etwa 100.000 Menschen nach Ost-Timor zurück, wobei insbesondere die Rückführung aus den großen Lagern zunächst nur schleppend voran ging.
Gründe hierfür waren:
- die Kontrolle der Lager und die gezielte Einschüchterung durch die Milizen sowie der Unwille indonesischer Sicherheitskräfte zur Entwaffnung der Milizen (Angst/Traumata/Hierarchiestruktur)
- gezielte Missinformationskampagnen pro-indonesischer Vertreter zur Situation in Ost-Timor, deren Inhalte u.a. auch von den Medien aufgegriffen wurden. Zwischenfälle, die sich in Ost-Timor tatsächlich begeben haben, wurden in den indonesischen (vor allem west-timoresischen) Medien "von Mücken zu Elefanten gemacht" (Ungewissheit/Verwirrung)
- der Gefallen, den einige lokale wes-timoresische NGOs an der lukrativen Zusammenarbeit mit internationalen Geldgebern gefunden hatten (Übereifer bei Entwicklung von Integrationsmodellen ohne parallele Aufklärung zu Ost-Timor)
- die oftmals unsensible Annäherung des UNHCR an seine Zielgruppe, bei der Traumata und Angstzustände sowie grundliegende sozialkulturelle Strukturen (Adat) und komplexe Hintergründe der spezifischen Vertriebenenproblematik in Timor nicht genügend beachtet wurden (Misstrauen gegenüber UN/Hilfsorganisationen)
- eine gewisse Schaffung neuer Sicherheiten und Abhängigkeiten unter den Flüchtlingen, bedingt durch die (teilweise sogar duplizierte) Verteilung von Hilfsgütern (Abhängigkeit von Hilfe /Überversorgung)
Auch intensivere Informationskampagnen zur Situation in Ost-Timor unter Verwendung von Foto-, Video und Tonbandmaterial vermochten nicht den gewünschten Aspekt größerer Rückkehrwilligkeit zu schaffen. Etwas effektiver hingegen waren sogenannte "Go and Visit" Touren und "Border-" oder "Family Meetings" an verschiedenen Grenzübergängen. Zwar wurden die "Go and Visit" Touren in einigen Fällen dazu missbraucht, nach Ost-Timorbesuchen weiterhin gezielt Unwahrheiten zu verbreiten. Prinzipiell jedoch hatten sie ebenso wie die regelmäßigen Familientreffen einen positiven Effekt auf potenzielle Rückkehrer.
Humanitäre Versorgung
Von klimatisch sehr schlechten Voraussetzungen abgesehen (lange Regenzeit, Überschwemmungen, Erdrutsche, etc.), lief in den Folgemonaten auch die humanitäre Versorgung der Vertriebenen besser als in der Anfangsphase. Hier gilt allerdings anzumerken, dass es immer wieder zu Reibereien mit den Autoritäten von Lokalregierung und Militär kam, da viele internationale NGOs sich weigerten, ehemaligen Staatsbeamten (PNS - Pegawai Negara Sipil) und Militärs Hilfe zukommen zu lassen. Dies war in den Augen der internationalen Gemeinschaft einzig und allein Aufgabe der indonesischen Behörden. Überhaupt wurde oft zum Diskussionsgegenstand, inwieweit durch eine Überversorgung der Vertriebenen ein Zustand der Palästinensierung in West-Timor geschaffen werden könne. Über ein gesundes Mittelmaß zwischen Zielgruppenorientierung auf Bedürftige und der Notwenigkeit allgemeiner Verteilungen, konnte zu keinem Zeitpunkt ein gemeinsamer Nenner gefunden werden. Zu verschieden waren die Ansichten von Vertretern der Lokalregierung, Nahrungsmittelexperten des WFP (World Food Programme), Mitarbeitern verschiedener NGOs und natürlich der Betroffenen selbst.
Schwierig gestalteten sich auch die Bemühungen der Deutschen Welthungerhilfe, die von West-Timor aus die Oecussi-Enklave versorgen wollte. Insbesondere ein notorischer, ehemals in Ost-Timor stationierter Oberst des indonesischen Militärs (Letkol Pontoh), versuchte dieses Vorhaben vehement zu verhindern. Letzten Endes jedoch konnte man sich durchsetzten und neben dem eigentlichen Programm in West-Timor auch Hilfsmaßnahmen in der Enklave durchführen.
Prekär erwiesen sich mittelfristig ebenfalls die vermehrt aufkeimenden Spannungen zwischen lokaler Bevölkerung und Vertriebenen. Bestand am Anfang noch eine große Nachsicht und Hilfsbereitschaft gegenüber den Ost-Timoresen, reduzierte sich die Frustrationstoleranz der Lokalbevölkerung mit fortlaufender Zeit. Zerstörung von Ackerland und immense Ausmaße an Mundraub waren neben Sozialneid ("...die Vertriebenen, die unser Land okkupieren und zerstören, bekommen Hilfe, und uns, denen es ebenfalls dreckig geht, wird nicht geholfen....") als Faktoren dieser Entwicklung auszumachen.
Trotz der seit Anfang 2000 intensivierten Bemühungen zur Rückführung, und gewissen Kürzungen bei den Verteilungen der Lebensmittelrationen und sonstiger Hilfsgüter, lag die Zahl der Rückkehrer bis zu den UN-Morden am 6. September noch immer bei nur knapp unter 170.000.
Vermeintliche Helden
Neben den oben bereits dargestellten Ursachen stellte sich Ende Januar mit der Gründung von UNTAS (Unidades Nacional Timor Asswain - Union of East Timorese Heroes) als Schirmgruppe der Pro-Integrationsvertreter ein weiteres Problem. Die UNTAS1 Vertreter, darunter viele Hardliner aus dem ost-timoresischen UNIF-Zusammenschluss (United Front for Timorese Integration) und verschiedener Milizengruppen, versuchten sich in ihrem ersten Kongress an einer Legitimation ihrer vollbrachten Gräueltaten und strebten zugleich nach einer Konsolidierung ihrer Macht. Nach außen hin verdammt UNTAS jegliche Gewalt, sucht gar den Pfad der Versöhnung. Dass jedoch der Ausgang des Referendums vom letzten Jahr nicht anerkannt wird, UNTAS einen Anspruch auf die westlichen (also erdölreichen) Territorien Ost-Timors erhebt, und seinen Gefolgsleuten insgeheim predigt, nur dann in die Heimat zurückzugehen, wenn dort wieder die "rot-weiße" Flagge weht, lassen an der Seriosität der Organisation zweifeln.
Die Atambua Morde - Affekt oder Kalkül?
Auch als es am 6. September 2000 zu den verhängnisvollen Morden kam, distanzierte sich UNTAS unverzüglich von der Gewalttat. Vielen Mitgliedern dürften die Strickmuster hinter diesen Morden allerdings allzu klar gewesen sein. Am 5. September, dem Tag vor den Atambua-Morden, wurde mit Olivio Moruk einer der berühmt-berüchtigtsten ost-timoresi-schen Milizenführer umgebracht. Fast genau ein Jahr zuvor, am 6. September 1999, war Moruk als Kommandant der Laksaur Milizen aktiv in ein blutiges Massaker auf dem Kirchengelände von Suai involviert. Dort wurden neben Dutzenden anderer Menschen auch drei Priester umgebracht. Moruks Mord konnte also als ein Racheakt von FALINTIL oder CNRT-Aktivisten zum Jahrestag des Massakers ausgelegt werden. Zufällig war Olivio auch einer der neunzehn Angeklagten, die kurze Zeit später in Jakarta zu den Vorkommnissen von 1999 befragt werden sollten. Dass er schon seit geraumer Zeit mit dem UNHCR in Verhandlung stand, schien von einigen seiner ehemaligen Vorgesetzten als Indikator gesehen zu werden, dass Moruk bereit gewesen wäre zu "singen". Auch aus den Kreisen seiner Gefolgsleute verlautete, Olivio sei geneigt gewesen, seine Verantwortung einzugestehen. Mit der Einschränkung allerdings, dass auch er Befehle von oben erhielt. Der FEER (Far Eastern Economic Review) berichtete kurz nach den Morden, dass der damals noch auf freiem Fuß befindliche Eurico Guterres (Kommandant der Aitarak Milizen) einige Wochen vor den Morden mit dem in Ungnade gefallenen Schwiegersohn Suhartos, General Prabowo Subianto, in Kupang gesehen wurde. Auch Menschenrechtsaktivisten in Ost-Timor und Jakarta ließen keine Zweifel daran, dass die Anordnung zur Ermordung Moruks von sehr weit oben kam. Prabowo wurde hier, trotzdem er neben besagtem Treffen mehrmals in diesem Jahr in Kupang gesehen wurde (zuletzt am 30. August), nicht explizit genannt. Pro-demokratische indonesische Anwälte wie Munir (Kontras), oder Albert Hasibuan (Ketua KPP HAM) verdächtigten die Generäle Wiranto, Zacky Anwar und Adam Damiri.
Dass die Ermordung des Milizenführers bei seinen Anhängern (anak buah) für Tumult sorgen würde, war abzusehen. Ob der am folgenden Tag begangene Mord an den drei UN-Arbeitern eine geplante oder spontane Aktion war, sei dahingestellt. Sicher ist, dass die Ermordung nahezu zeitgleich mit der Eröffnung des Millenium-Gipfels in New York vonstatten ging. Dort musste sich Indonesiens Präsident Gus Dur der harschen Kritik Kofi Annans und vieler anderer Staatspräsidenten unterziehen und beschwichtigende Worte finden.
Flucht der Helfer und UN Resolution
Wie Eingangs beschrieben, verließen Mitarbeiter der Vereinten Nationen und sämtlicher anderer internationaler Hilfsorganisationen die Inselhälfte nach den Atambua-Morden umgehend. Ein Teil wurde von Atambua nach Dili, ein anderer von Kupang nach Denpasar (Bali) evakuiert. Genau ein Jahr nach den ersten Evakuierungsflügen der "Royal Australian Air Force" von Ost-Timor nach Darwin wurde nun auch der westliche Teil der Insel von internationaler Präsenz gereinigt.
Zwei Tage später, am 8. September, reagierte die UN mit der Verabschiedung der Resolution 1319 (2000)2 auf die Atambua-Morde. Indonesien wurde aufgefordert, unverzüglich seiner Verantwortlichkeit zur Entwaffnung der Milizen und der Herstellung von Sicherheit in der Krisenregion nachzukommen. Bevor dies nicht geschähe, wäre eine Wideraufnahme der Hilfsmaßnahmen in West-Timor nicht denkbar, hieß es weiter. Indonesien erwiderte die Resolution zwar zustimmend, aber sehr kühl. Vor allem wurde kritisiert, dass die UN mit keinem Wort erwähnt hätten, dass neben Moruk und den drei UN Mitarbeitern auch sechs weitere ost-timoresische Flüchtlinge ums Leben kamen.
In den Folgewochen wurde von indonesischer Seite demonstrativ und wiederholt vermeldet, dass zwei Militärbataillone und ein Polizeibataillon zur Verbesserung der Sicherheitslage in die Krisenregion verlegt, und auch ansonsten sämtliche Maßnahmen zur Widerherstellung von Ruhe und Ordnung ergriffen wurden. Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri reiste in Begleitung von Militärchef Widodo am 24. September nach Atambua, um dort zu bezeugen, welchen "Fortschritt" die Entwaffnung der Milizen gemacht hat. Unter den Augen der Milizenführer Eurico Guterres und Joao Tavares, die als "Vorbilder" agierten, übergaben Pro-Jakarta Milizen ihre Waffen an die Polizei. Außenminister Alwi Shihab begab sich am 8. Oktober ebenfalls nach West-Timor, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Anschließend reiste er zu Gesprächen mit der UN nach New York, wo er die Seriosität Indonesiens in der West-Timorfrage beteuerte.
Das humanitäre NGO-Forum West-Timors (JKPIT, Lap Timoris, Lakmas, Pikul, TRuK-Flores, Posko Atambua, CIS GMKI) entlarvte indes die Bemühungen der indonesischen Regierung in einem Rundschreiben vom 14. November als Farce.
Wie geht es weiter?
Detailliert wies das NGO-Forum nach, dass die meisten Milizen noch immer im Besitz ihrer Waffen sind, und Kommandostrukturen in den Milizengruppen trotz der "de jure" Auflösung der PPI (Pasukan Perjuangan Integrasi - Kampftruppen für die Integration) im vergangenen Dezember nach wie vor bestehen. Des weiteren betonten sie, dass die Verantwortlichen das Massaker an den UN Arbeitern hätten verhindern können, da bereits nach der Ermordung Moruks massive Hinweise für die Aktionen am 6. September vorlagen. Das Publikationsdatum des NGO Rundschreibens war nicht willkürlich gewählt. Mitte November bereiste eine Kommission des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen neben Ost-Timor auf Einladung der indonesischen Regierung auch den Westen der Insel. Sie besichtigten diverse Lager in Kupang und Atambua, trafen sich mit NTT-Gouverneur Piet Tallo, dem Mitte November noch nicht zum Wakasad (Vizebefehlshaber des Heeres) beförderten Udayana-Militärkomman-danten Major-General Kiki Syahakri (der vergangenes Jahr nach Ausbruch der Gewalt für die Widerherstellung von Ruhe und Ordnung in Ost-Timor verantwortlich war), und dem Polizeichef Brigadegeneral I Made Mangku Pastika.
In Jakarta traf man sich außerdem zu Gesprächen mit Vize-Präsidentin Megawati Sukarnoputri und anderen hohen Regierungsbeamten. Unter ihnen der Minister für Politische, Soziale und Sicherheitsfragen, Susilo Bambang Yudhoyono, der Sprecher des Abgeordnetenhauses, Akbar Tandjung, Generalstaatsanwalt Marzuki Darusman und Außenminister Alwi Shihab. Neben den Regierungsmitgliedern und Beamten hat die Kommission auch Gespräche mit Vertretern der Nationalen Menschenrechtskommission (Komnas HAM) geführt. Quintessenz des West-Timor Besuches und der Jakarta Gespräche war, dass die Kommission des UN-Sicherheitsrates eine permanente Rückkehr der UN und anderer Hilfsorganisationen noch nicht für empfehlenswert hält. Positiv wurde zwar bewertet, dass UNTAS sich für einen Versöhnungsprozess ausspricht, von Regierungsseite Zusagen zur Koordination in Fragen der Rückführung getroffen wurden und vor allem, dass mit der Festnahme von Milizenführer Eurico Guterres am 4. Oktober ein Zeichen gesetzt wurde3. Generell wurde jedoch kritisiert, dass indonesische Autoritäten ihrer Zusage zur Entwaffnung der Milizen und Wiederherstellung der Sicherheit noch nicht in ausreichendem Maße nachgekommen sind.
Es gab aber auch ermutigende Entwicklungen. Das Flüchtlingshilfswerk der UN hat in einer unter hohen Sicherheitsstandards durchgeführten Interimsoperation kürzlich 65 sogenannte Milsas (Ost-Timoresen, die in der indonesischen Armee, damals ABRI, dienten) mit ihren Familien nach Ost-Timor zurückführen können. Die insgesamt 450 Personen landeten per Boot am 22. November in dem ost-timoresischen Hafen Com (Lautem Bezirk/Los Palos) und konnten ohne Zwischenfälle in ihre Heimatdörfer begleitet werden. Diese Rückführung birgt das Potenzial einer positiven Magnetwirkung für die etwa 2.000 Milsas, die sich mit ihren Familien noch in West-Timor aufhalten. Augenmerk sollte jedoch darauf gerichtet werden, dass Rückkehrwillige für ihre Repatriierung oftmals hohe Schmiergelder ans Militär und dessen Milizionäre zahlen müssen. Ob der angestrebte Dialog UNTAETs mit Milizenführern hier als Kontribution für die Zukunft gesehen werden kann, ist fraglich. Zu dünn ist das Drahtseil aus finanziellem Opportunismus, indonesischem Nationalismus, Loyalität zur TNI (indon. Militär) und dem Wunsch, in die Heimat zurückzukehren, und auf Vergebung hoffen zu können. Der Dialog sollte sich deshalb sowohl auf Milizenführer wie auf sonstige traditionelle Führungspersönlichkeiten (Ketua Adat) ausrichten. Denn ohne deren Zuspruch, soviel ist sicher, werden sich viele "untertänige" Ost-Timoresen nicht in ihre Heimat zurückbegeben.
Zusammenfassend ist bezüglich der Resolution zu den Atambua-Morden festzuhalten, dass Indonesien sich wieder einmal in ein Netz leerer Versprechungen verstrickt hat. Wegen der Ermordung Moruks wurden letztlich lediglich ein paar rangniedrige Soldaten in Gewahrsam genommen. Die Morde an den UN-Arbeitern haben sechs unbekannte Milizionäre zu Verantworten, die Ende November zur Vernehmung nach Jakarta geflogen wurden. Die eigentlich Verantwortlichen befinden sich nach wie vor auf freiem Fuß. Zu groß ist die Hemmschwelle, gegen sie vorzugehen. Kein Wunder also, dass die UN nach dem Besuch in West-Timor von der Wiederaufnahme permanenter Hilfsmaßnahmen absieht. Ähnlich wie vergangenes Jahr in Ost-Timor (indonesisches Militär und Polizei wurden gemäß des 5. Mai Abkommens zwischen Indonesien, Portugal und den UN mit der Verantwortlichkeit für Sicherheit und Ordnung in Ost-Timor vor dem Referendum betraut) ist Indonesien nicht in der Lage, seine Zusagen einzuhalten.
Alternativen
Für jene, die sich nicht der Privilegien eines Lopes da Cruz (ehemals von Indonesien ernannter "Botschafter" Ost-Timors und Vorsitzender der "Populären Front Ost-Timors für die Integration - BRTT", heute Indonesischer Botschafter in Athen, Griechenland) oder Basilio Araujo (ehemals Sprecher des "Forum for Peace, Democracy and Justice - FPDK", und nun gehobener Beamter in Jakarta) erfreuen können und eine Rückkehr nach Ost-Timor trotzdem für ausgeschlossen halten, hält die indonesische Regierung Alternativen bereit. In West-Timor wurden bereits einige Familien in Transmigrasi-ähnlichen Projekten in bisher wenig besiedelten Gegenden angesiedelt. Der Platz in West-Timor ist jedoch rar. Die eingangs erwähnten, von der Lokalregierung West-Timors schon im Vorfeld des Flüchtlingsdramas geplanten Maßnahmen der Massenumsiedlung in andere Gegenden NTTs konnten, wohl auch aufgrund mangelnder internationaler Unterstützung, nicht realisiert werden. Nun will man auf die an Timor angrenzenden Südostmolukkeninseln Wetar und Romang ausweichen. Beide Inseln sind bisher von den blutigen Konflikten, die große Teile der Molukken seit nunmehr zwei Jahren heimsuchen, verschont geblieben. Kulturell gibt es auf den Inseln Parallelen zu Timor, ebenso bestehen jahrhundertelange Handelsbeziehungen zwischen Timor und Teilen der Südostmolukken. Auch scheint bei den Bevölkerungen beider Inseln die Bereitschaft zu bestehen, eine begrenzte Zahl ost-timoresischer Familien aufzunehmen. Eine solche Umsiedlung könnte allerdings fehlschlagen. Islamische Extremisten bewiesen mehrmals, dass sie nicht nur auf den Nord- und Zentralmolukken, sondern auch im Südosten der Gewürzinseln zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit christlicher Bevölkerung neigen. Eine massive Zuwanderung christlicher Bevölkerung auf die Süd-ostmolukken könnte auf sie provozierend wirken. Kein einfaches Los also für die Ost-Timoresen, die in West-Timor verbleiben. Am 13. Dezember jedoch sollen sich die laut indonesischen Angaben 134.000 Flüchtlinge nichtsdestotrotz definitiv darauf festlegen, ob sie in ihre Heimat zurückzukehren zu gedenken oder indonesische Bürger bleiben wollen. Mehr als 2.000 indonesische Helfer sollen an dem Tag eine Befragung aller Ost-Timoresen in sämtlichen Camps vornehmen. Ein Vorhaben, dass von der UN zum Scheitern verurteilt wurde, da es zu kurzfristig angelegt und in einer solch kurzen Zeitspanne nicht durchführbar ist.
Was muss getan werden?
Die internationale Präsenz ist bis auf weiteres aus West-Timor verbannt. Leidtragend sind die Vertriebenen. Sie dienen dem indonesischen Militär weiterhin als "Joker", mit dem ein Exempel statuiert werden kann, was bei ähnlichen Entwicklungen in den nach Unabhängigkeit strebenden Provinzen Aceh und Irian Jaya passieren könnte. Eine Umsiedlung nach Wetar und Romang birgt die Gefahr, pseudoreligiöse Konflikte auf den Molukken auszuweiten. Es ist dringend internationales Handeln gefragt. Diplomatischer Druck und militärische Embargos auf Indonesien müssen solange ausgeübt werden bis die Regierung Indonesiens ihrer Verantwortung nachkommt. Die Forderung nach einem internationalen Tribunal gegen die Kriegsverbrecher Ost-Timors muss ebenso wie präventive Maßnahmen auf die Konflikte in Aceh, West-Papua und den Molukken Vorrang vor jeglichen opportunistischen Interessen an Indonesien haben.
Darüber hinaus bedarf es eines besseren Verständnisses der Situation in Indonesien selbst. Viele Indonesier glauben noch immer, die Unabhängigkeit Ost-Timors sei nichts als eine internationale Konspiration gegen Indonesien. Solange dieser Irrglaube in der zivilen Gesellschaft existiert, sind demokratische und diplomatische Lösungen der gegenwärtigen Konflikte in Indonesien noch in weiter Ferne. <>
Jörg Meier war 1999 für Watch Indonesia! Wahlbeobachter beim Referendum in Ost-Timor und hat danach für die GTZ und die Deutsche Welthungerhilfe in West-Timor gearbeitet.
1: Sowohl bei den Akronymen UNTAS wie UNIF beachte man die sicherlich nicht zufällige Ähnlichkeit mit den Initialen der beiden UN-Missionen in Timor, UNAMET und UNTAET
2: Der gesamte Text der Resolution ist als Anhang beigefügt
3: Hier ist anzumerken, dass sich indonesische Politiker wie Megawati Sukarnoputri und Amien Rais gegen eine Festnahme Guterres ausprachen und ihn gar als indonesischen Volkshelden darzustellen versuchten.
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