Indonesien-Information Nr. 3 2000 (West-Papua)

Für Versöhnung und Dialog in West-Papua:

Die Erste Internationale West-Papua Solidaritätskonferenz

von Marianne Klute

Freitag, den 6. Oktober 2000, Baliem Valley, West-Papua: Die Morgensternflagge mit den blau-weißen Streifen weht über Wamena. Polizei greift ein und will erzwingen, dass die Flagge eingeholt wird. Unruhen brechen aus. Es wird geschossen, britische Hawk-Flugzeuge fliegen tief über der Stadt, Verhaftungen, mehr als hundert Verletzte, etwa 30 Tote - eine neue Tragödie nach den tödlichen Schüssen auf Demonstranten in Timika, Merauke und Nabire Anfang des Jahres sowie in Sorong im Juli und August.

Sonntag, den 8. Oktober 2000, Jakarta, Indonesien: John Rumbiak von der Menschenrechtsorganisation ELSHAM unterbricht seine geplante Auslandsreise und sagt seine Teilnahme an der Ersten Internationalen West-Papua Solidaritätskonferenz ab, ebenso wie der Präsident des Präsidiums von West-Papua, Theys Eluay.

Dienstag, den 10. Oktober 2000, Utrecht, Niederlande: Die Vorfälle in Wamena stürzen die Organisatoren der Ersten Internationalen West-Papua Solidaritäts-Konferenz in Unruhe; noch am Nachmittag berufen sie in aller Eile eine Pressekonferenz ein. Tom Beanal, Vizepräsident des West-Papua Präsidiums, Willy Mandowen von FORERI, dem Forum für die Versöhnung der Gesellschaft von Irian, und Viktor Kaisiepo als in Holland lebender Vertreter des Präsidiums stehen Journalisten Rede und Antwort.

10. - 12. Oktober 2000, Denekamp, Niederlande: Teilnehmer aus aller Welt konferieren zum ersten Mal in Solidarität mit West-Papua mit dem Ziel, in internationaler Zusammenarbeit Dialog und Versöhnung in West-Papua zu unterstützen, auf die Menschenrechtsverletzungen in West-Papua aufmerksam zu machen und, gerichtet an die UNO, eine Revision des an den Papuas begangenen historischen Unrechts zu erreichen.

12. Oktober 2000, Jakarta, Indonesien: Das Kabinett in Jakarta verbietet das Hissen der Morgensternflagge, anerkennt sie jedoch als Symbol der Identität und der Kultur der Papuas. Das Papua-Präsidium wird nicht als Volksvertretung respektiert, sondern als vermittelnde Körperschaft im Versöhnungsprozess verstanden.

13. Oktober 2000, Denekamp, Niederlande: Die Erste Internationale West-Papua Solidaritätskonferenz verurteilt in ihrer Resolution die Aktion der indonesischen Sicherheitskräfte in Wamena aufs Schärfste und sieht in ihr einen Versuch, horizontale Konflikte zwischen Papuas und indonesischen Immigranten zu provozieren.

Selbstbestimmungsrecht

Watch Indonesia! war eine der Gruppen, die der Einladung von PaVo (Foundation for Study & Information on Papua Peoples, Niederlande), WPA (West Papua Action, Irland) und Tapol (The Indonesia Human Rights Campaign, England) nach Denekamp gefolgt war. Schon Wochen vorher hatten die Organisatoren an Hand eines Fragenkatalogs an die teilnehmenden NGOs, Wissenschaftler und Aktivisten die drängendsten Themen ermittelt, die auf dieser ersten gemeinsamen Konferenz diskutiert werden sollten; als eines der wichtigsten nannten die Befragten das Selbstbestimmungsrecht.

Die Geschichte der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Papuas ist lang. Nach der holländischen Kolonialzeit entschieden Holland und Indonesien im New Yorker Agreement (1962) über die Zukunft der Papuas. Auch im so genannten Act of Free Choice (1969), von dem auf der Konferenz nur als Act of No Choice die Rede war, hatten die Papuas keinerlei Chance, ihr Recht auf Selbstbestimmung demokratisch wahrzunehmen.

Merdeka

"Unser Selbstwert wird vergewaltigt," sagte Tom Beanal in seinem Einführungsvortrag mit ernster Stimme. Jetzt müssten die Papuas ihre Würde wiedererlangen. Er wiederholte während der Konferenz immer wieder, dass die Leiden der Papuas unerträglich seien. Seit dem Fall Suhartos fordern sie offen Merdeka, ihre Freiheit von Indonesien. Seit September 2000 steht die Unabhängigkeit auch auf dem Programm des im Juni 2000 aus dem Zweiten Papua Kongress hervorgegangenen Präsidiums. Das Präsidium hat sich die Aufgabe gestellt, bis Dezember 2000 alles zu tun, sich für die Unabhängigkeit einzusetzen, wohl wissend, dass ein Erfolg unrealistisch ist.

Unterstützung in ihrem Unabhängigkeitsstreben bekommen die Papuas bisher nur von den kleinen pazifischen Staaten Nauru, Vanuatu und Tuvalu, doch hofft Tom Beanal, dass Europa, als "Ursprung der Ethik", die Papuas moralisch in ihrem Kampf gegen Unterdrückung unterstützen. Viel hängt vom Gelingen des Demokratisierungsprozesses in Indonesien und von der Stärke Gus Durs ab, mit anderen Worten: "Gus Dur turun - West-Papua turun".

Demokratie

Auch Viktor Kaiseipo sieht das Schicksal West-Papuas eng verknüpft mit der Entwicklung in Indonesien. Seine größte Sorge ist, dass Konflikte wie unter Suharto mit Gewalt gelöst werden. Wenn in Indonesien der Weg in die Demokratie misslingt und keine Konflikttransformation einsetzt, so wird Viktor Kaisiepo zufolge ein totaler Krieg ausbrechen: "Indonesien muss es gelingen, Demokratie zu schaffen. Dazu braucht es internationale Unterstützung."

Als Vermittler zwischen den Papuas und der indonesischen Regierung wirkt FORERI, Forum for the Reconciliation of the Irian Jaya Society, das neben Willy Mandowen eine junge Frau zur Konferenz entsandte. Während auf der einen Seite Dialoge zwischen den Konfliktparteien möglich wurden, eskaliert auf der anderen Seite die Gewalt: Einsatz von Militär soll verhindern, dass das an Bodenschätzen so reiche West-Papua als indonesische Provinz wegbricht. Das Konzept des Einheitsstaates werde durch Unabhängigkeitsbewegungen gefährdet, sagte Carmel Budiardjo von tapol in ihrer Darstellung der aktuellen politischen Lage und des fragilen Demokratisierungsprozesses in Indonesien. Nun laute die Frage, wie die Armee, wie Präsident Wahid und seine Vize Megawati damit umgehen.

Historischer Fehler

Es ging der Konferenz nicht nur darum, die Fakten zu kennen und die Probleme West-Papuas aufzulisten, sondern auch um konkrete Taktiken und Mechanismen von Unterstützungsaktionen. Selbstbestimmungsrecht bleibt ein schönes Wort, wenn die Menschen nicht in den Genuss dieses Rechts kommen. Angesichts der Dialogbereitschaft des Papua-Präsidiums und der indonesischen Regierung und der Fähigkeit von FORERI, als Mediator einen friedlichen Prozess einzuleiten, verdienen diese Bemühungen internationale Unterstützung.

Die Konferenz verurteilte die aktuelle, gegen die Papuas gerichtete Gewaltwelle, die alle bisherigen friedlichen Versöhnungsschritte zunichte macht, und fordert die internationale Gemeinschaft und die Regierungen auf, Demokratie, Menschenrechte und Dialog in Indonesien und West-Papua zu unterstützen.

Als wichtigsten Schritt zur Erlangung des Selbstbestimmungsrechts der Papuas betrachtete die Konferenz eine Korrektur des Fehlers der UNO gegenüber den Papuas, d.h. eine Revision der UN-Resolution UN9A 2504/1969, mit dem der so genannte Act of Free Choice anerkannt wurde. Mit gezielter Lobbyarbeit soll versucht werden, West-Papua auf die Liste der zu entkolonialisierenden Länder zu setzen, die diesen Ländern Selbstbestimmungsrecht zuspricht und sie damit für das offizielle Prozedere der Entkolonialisierung qualifiziert (Decolonisation Committee - Committee 24 der UNO).

Menschenrechte

West-Papua ist leider zu einem Symbol für eklatante Verletzungen der Menschenrechte geworden. Ohne eine politics of numbers betreiben zu wollen, sei es gerechtfertigt, von 100.000 Opfern seit 1962 zu sprechen, meinte der australische Wissenschaftler Chris Ballard. Die Dokumentation der in den letzten 40 Jahren begangenen Menschenrechtsverletzungen ist noch unbefriedigend, doch dringend erforderlich, um es den Menschen zu ermöglichen, ihr Leiden öffentlich zu machen und die Spuren von Familienangehörigen zu verfolgen. Die Verletzungen der Menschenrechte der Papuas, sprich: Verbrechen und Morde, Enteignungen und Diskriminierungen, hängen eng mit der Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts zusammen, mehr noch mit dem Raubbau an den Bodenschätzen. Es sind Gold, Kupfer, Erdgas, die die Papuas in Gefahr bringen. "Seit der dunklen Periode (1962-1969), als noch offen war, wer überhaupt regierte, werden die Papuas den Wirtschaftsinteressen geopfert," sagte Tom Beanal. Denn schon 1967 hat Freeport angefangen, Gold zu schürfen und Kupfer abzubauen. PT Freeport Indonesia ist daher einer der wichtigsten Verursacher und zusammen mit der indonesischen Armee als einer der Hauptverantwortlichen für die Verletzungen der Menschenrechte der Papuas zu sehen.

Viktor Kaisiepo betonte, wie wichtig ein Grundgesetz sei, das allen in West-Papua Lebenden die Menschenrechte garantiert. Auch Willy Mandowen von FORERI nannte die Einhaltung der Menschenrechte als wichtigstes politisches Ziel neben der Korrektur der Geschichte und der Versöhnung mit den im Land lebenden Indonesiern. Sie sollten nicht vertrieben werden; ein harmonisches Zusammenleben sei in einem freien West-Papua möglich, wenn die indonesische Armee West-Papua verlassen habe. Versöhnung, reconciliation, lag den anwesenden Papuas sehr am Herzen, als Grundlage für einen friedlichen Prozess in die Unabhängigkeit und einen Staat, der die Menschenrechte würdigt.

Gewaltaktionen wie in Wamena oder auch in Atambua verstanden die Konferenzteilnehmer nicht nur als eine Attacke auf Leben und Menschenrechte der Betroffenen, sondern auch als einen Angriff auf den Versöhnungsprozess und als eine Provokation und Verhöhnung der internationalen Gemeinschaft. Die Konferenz stellte sich die Aufgabe, geeignete Mittel und Wege zu finden, das Thema Menschenrechte voranzubringen, etwa bei der Menschenrechtskommission in Genf, bei der Unterkommission für Minderheiten, bei Sonderberichterstattern, Arbeitsgruppen, der Hohen Kommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, und den von Genf benannten Verteidigern der Menschenrechte (Human Rights Defenders). Diesen ehrenwerten Titel trägt auch Viktor Kaisiepo.

Mit John Rumbiak von der Menschenrechtsorganisation ELSHAM fehlte ein führender Vertreter der Menschenrechtsbewegung. Auch ohne ihn einigten sich die Konferenzteilnehmer auf ein Aktionsprogramm, das außer Resolutionen und Pressemitteilungen verschiedene Schritte vorsieht, den Einfluss von NGOs und Papuas auf die UNO zu verbessern. Um das Problem der Unkenntnis von Menschenrechtsverletzungen in West-Papua zu lösen, beschloss die Konferenz eine bessere Vernetzung und verband dies mit der Forderung nach einer europäischen Fact Finding Mission.

Umweltschutz

Die Ausbeutung der Ressourcen, besonders der Bodenschätze Gold und Kupfer (durch PT Freeport Indonesia), aber auch von Nickel (durch die australische BHP) am Vogelkopf, sowie der Gasvorkommen ist die Quelle von Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen und Gewalt. Dazu kommen Großprojekte wie der Bau des Mamberamo-Staudamms, der Trans-Irian-Straße, die geplanten Gaspipelines und nicht zuletzt der Holzeinschlag. Freeport ist das Problem in West-Papua und katapultiert die West-Papua-Problematik auf internationale Ebene.

Der Einsatz für den Umweltschutz kam bei der Konferenz zu kurz. Die Umweltorganisation YALI in West-Papua ist völlig überlastet, der Informationstransfer zu ausländischen Gruppen wie Down to Earth klappt nur sporadisch. Zur Zeit haben die Papuas nur ihre Unabhängigkeit vor Augen und meinen, mit den Indonesiern würde die Ursache der Umweltzerstörungen abziehen. Doch längst hat das Papua-Präsidium mit Freeport ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, vehement kritisiert von ELSHAM, das in jedem Minenbetrieb eine Gefahr für die lokale Bevölkerung sieht.

Ergebnis

Neben dem oben erwähnten Einsatz für das Recht auf Selbstbestimmung, die Bewahrung der Menschenrechte und das Aufzeigen der Umwelt-problematik beschloss die Konferenz ein Aktionsprogramm. Als Internationalen Aktionstag für die Rechte der Papuas legte die Konferenz den 19. November fest in Erinnerung an den Tag des UN-Beschlusses von 1969.

Weitere wichtige Punkte des Aktionsprogramms sind: Kampagnen zur Weiterführung des US-Waffen-embargos und zur Wiedereinführung des EU-Waffenembargos, einschließlich anderer Rüstungsgüter und militärischer Ausbildung, eine Informationskampagne in Indonesien und eine bessere Vernetzung der beteiligten NGOs in Form eines Solidaritäts-Netzwerks.

Der Solidaritätskonferenz ist es gelungen, die wichtigsten Probleme West-Papuas aufzulisten und zugleich Mechanismen von Unterstützungsaktionen zu entwickeln. Zu begrüßen ist, dass nach der langen Isolation West-Papuas jetzt erste Kontakte aufleben. Die Konferenz qualifizierte sich als ein Forum zur Verbesserung der Kontakte und bezeichnet den Beginn einer neuen Tradition im Sinne der Internationalen Solidarität mit Ost-Timor. Die Zweite Internationale Konferenz wird im Oktober 2001 in Deutschland stattfinden. <>  
 

Zurück zur Hauptseite Watch Indonesia! e.V. Back to Mainpage