taz, 26.11.1992
Der neueste indonesische Schlag gegen die Unabhängigkeitsbewegung auf Osttimor kam am 20.November. Im Morgengrauen gelang es der auf der einstigen portugiesischen Kolonie stationierten Spezialeinheit der indonesischen Armee „ABRI“, den führenden Kopf der Untergrundorganisation „Fretilin“, Xanana Gusmao, in seinem Versteck in der Hauptstadt Dili beim Morgenbad zu überraschen und widerstandslos festzunehmen.
Die Aktion erschien um so bedeutsamer, als fast genau vor einem Jahr - am 12.November 1991 - Indonesiens Armee unter den Mitgliedern einer Demonstration gegen die „Integration“ (also die indonesische Annektion der von den Portugiesen freigegebenen Kolonie) ein Blutbad anrichtete. Wahllos hatte sie in eine Menge von 3.000 Demonstranten geschossen; die Zahl der Toten und Verletzten ist bis heute umstritten. Offiziell werden 50 Todesopfer und um die 100 Verletzte zugegeben, doch räumte selbst der Befehlshaber der Armee, General Sutrisno, vor einigen Monaten ein, daß es beträchtlich mehr Opfer gegeben hat.
Zum Jahrestag dieses Ereignisses rechneten Beobachter mit erneuten Zwischenfällen. Soeben war auch der bisherige Gouverneur der Provinz Osttimor, Mario Viegas Carrascalao, abgelöst worden durch Salvador Januario Ximenes Soares, der zwar pikanterweise in seiner Kindheit mit dem Guerillaführer Xanana Gusmao die Schulbank gedrückt hatte, doch anders als sein Vorgänger wesentlich enger unter der Kontrolle der Zentralregierung steht und deren Politik auch unkritischer umzusetzen bereit ist.
Carrascalao war einer derjenigen, die vor einem Jahr sehr offen die bisherige Timor-Politik Jakartas kritisierten und darin die Ursache für den Unmut der Bevölkerung Osttimors sahen. Die zunächst von Jakarta zugegebene Zahl von „nur“ 19 Todesopfern am 12.11. 1991 wurde von Anfang an von ihm angezweifelt, er sprach von „lastwagenweise erfolgten Abtransporten“ zusammengeschossener Demonstranten - eine Version, der sich dann auch Jakarta, nicht zuletzt angesichts der Proteste aus dem Ausland sowie der Gastgeberrolle bei der Blockfreienkonferenz vor zwei Monaten, mehr oder weniger anschließen mußte.
Für die meist regierungsnahe Presse ist die Festnahme von Fretilin-Führer Gusmao eine willkommene Gelegenheit, das Massaker noch einmal zu „bearbeiten“. So liest man etwa in der Tageszeitung Pikiran Rakyat („Gedanken des Volkes“) eine wohl für die meisten Berichterstattungen repräsentative Darstellung, die Xanana Gusmao als Drahtzieher der Demonstration und Verantwortlichen für deren blutiges Ende sowie als gewieften, gefährlichen Guerillaführer anprangern und einstimmig mit Staatspräsident Suharto in Lobeshymnen über das clevere Militär ausbrechen.
Nur zwei Tage nach der Festnahme wurde dieses mit Auszeichnungen überschwemmt, allen voran General Syafei, dem nach dem blutigen Ereignis vor einem Jahr der Oberbefehl über die in Osttimor stationierten Truppen übergeben worden war - ausgerechnet jener Syafei, der bereits die leitende Funktion bei der Annexion der Provinz 1976 bekleidet hatte. Ein bei der Demonstration am 12.November verletzter ABRI-Major etwa erscheint nun in der Pikiran Rakyat auf einmal als Todesopfer, das Blutbad als brutale Aktion der Gefolgsleute Xananas und hinter all dem die portugisische Regierung.
Xanana Gusmao, in den letzten Jahren der portugiesischen Kolonie tätig als Journalist und Lyriker, nach 1976 abgetaucht in den Untergrund, wird sowohl in der regierungstreuen Presse als auch in deren launig-lausigen Interviews mit militärischen Galionsfiguren des „erfolgreichen Schlags, der endlich Ruhe in Osttimor herstellen wird“, von vornherein abgeurteilt als subversives Element, das kaltblütig über Leichen geht. Immerhin betont man, daß er auf eine faire Behandlung bei den seit Freitag ununterbrochen ablaufenden Spezialverhören rechnen dürfte und auf jeden Fall „menschlich behandelt“ würde. Als „Beweis“ wird angeführt, daß er andernfalls ja gleich bei der Festnahme erschossen worden wäre.
Kein Zweifel, Xanana Gusmao bedarf nun der wachsamen Aufmerksamkeit
der Öffentlichkeit. Der portugiesische Präsident Mario Soares
forderte am Samstag eine „internationale Kampagne für die Freilassung
Gusmaos“. Über 200.000 Menschen - fast ein Drittel der Bevölkerung
Osttimors - sind dem Kampf Indonesiens gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen
in siebzehn Jahren zum Opfer gefallen. Indonesische Truppen hatten im Dezember
1975 den Ostteil der Insel besetzt, nachdem Portugal die Auflösung
seines Kolonialimperiums eingeleitet hatte. Für die UNO gilt Portugal
aber bis zur Abhaltung eines Referendums nach wie vor als Mandatsmacht
Osttimors.
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