Am Rande von Jakarta, in der Nähe der Bahnlinie, liegen die
Müllberge der indonesischen Hauptstadt Gleich nebenan haben die Armen
ein „Shanty“-Town aus Brettern und Pappkarton errichtet Hier lebt seit
knapp zehn Jahren Bapak Soejono. Zehn Jahre hatte er auf der Gefangeneninsel
Buru verbracht, in malariaverseuchten Sümpfen und auf unfruchtbarem
Karstland. Bapak Soejono. Väterchen Soejono •— wie ihn seine Freunde
nennen — war ein Tapol. So nannte man in der Mitte der 60er Jahre die politischen
Gefangenen, die im Verdacht standen, Mitglied der Kommunistischen Partei
Indonesiens gewesen zu sein. Die Beweise für diese Unterstellung ist
die indonesische Regierung dem vorzeitig gealterten Mann bis heute schuldig
geblieben. Bapak Soejono war — wie alle Tapols — nie vor ein ordentliches
Gericht gestellt worden.
Wie ihm ergeht es weiteren 35 000 Ex-Tapols. Unter ihnen ist der bekannte Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer, der immer noch unter Hausarrest steht „Wie kann ich mich frei fühlen? Ich unterliege immer noch der Meldepflicht Ich werde immer wieder verhört Ich empfinde Freiheit nur beim Schaffen. Nur beim Schreiben bin ich frei. Und diese Freiheit schaffe ich mir selber. Was ich schreibe, wird verboten. Ich publiziere weiter, obwohl es darüber keine Publizität gibt Irgendwann wird jemand die Frage beantworten, die mich heute am meisten bewegt Ist meine Tragödie Teil der nationalen Tragödie oder meine eigene, ohne jeden Kontext?“
Mehr als 500.000 Indonesier wurden in den 60er Jahren — nach einem, angeblich von der Kommunistischen Partei inszenierten, mißglückten Staatsstreich — von den indonesischen Streitkräften hingeschlachtet. Der Mann, der den Massenmord am eigenen Volk befohlen hatte, Präsident Suharto, ist sogar noch stolz auf das Gemetzel. Er empfiehlt es den Nachbarn Indonesiens in der Region Südostasien als Vorbild, um innenpolitisch Ruhe herzustellen.
Das Morden geht weiter. In Ost-Timor hat es 200.000 Menschenleben gekostet, die der Annexion der ehemaligen portugiesischen Kolonie durch die indonesische Republik Widerstand leisteten. Im November 1991 kam es in der Hauptstadt Dili wiederum zu einem Massaker an unbewaffneten Demonstranten.
In Irian Jaya, im Osten des indonesischen Archipels, und in der Provinz Aceh im Norden Sumatras werden Autonomiebestrebungen ethnischer Minderheiten mit Artillerie und Luftangriffen niedergemacht Die „Einheit in der Vielfalt“ — so Präsident Suhartos „Neue Ordnung“ — soll um jeden Preis erzwungen werden. ungeachtet der sozialen und kulturellen Unterschiede der mehr als 300 indonesischen Völker.
Zwischen 1983 und 1885 wurden mehr als 5.000 Indonesier von den Todesschwadronen des Militärs ermordet Präsident Suharto rechtfertigte den eklatanten Verstoß gegen die internationale Charta der Menschenrechte mit der „Notwendigkeit einer Schock-Therapie, um das Land von unerwünschten Elementen zu säubern“.
Illegale Exekutionen, willkürliche Verhaftungen, Entführungen. Folter, dubiose Gerichtsverfahren und die Todesstrafe sind die Instrumente der Machterhaltung der politischen Elite Indonesiens. Einer, der sich auf die Internationale Charta der Menschenrechte berief, war Adnan Beuransyah aus Aceh. In dem politischen Prozeß, der wegen angeblicher umstürtzlerischer Aktivitäten gegen ihn geführt wurde, sagt er aus: „Meine Haare und meine Nase wurden mit glimmenden Zigaretten verbrannt Sie gaben mir Elektroschocks an den Füßen, Genitalien und Ohren, bis ich ohnmächtig wurde. Wenn ich etwas sagte, was denen nicht gefiel, gab es neue Elektroschocks. Und das ging so weiter, bis ich unterschrieb, was sie wollten.“ Adnan Beuransyah, ein Journalist, wurde 1991 zu neun Jahren Gefängnis verurteilt.
Suhartos „Neue Ordnung“ demontierte die Rechte des Parlaments und die demokratischen Strukturen. Die Parteienlandschaft wurde „gesäubert“. Nur noch zwei Parteien sind zugelassen. Die „Demokratische Partei der islamischen Gruppen“ und die „Vereinigte Entwicklungspartei der Nationalisten und Christen“. Über allem thront jedoch die Armee, die sich in „Golkar“ ein politisches Instrument gab, das seither die Volksvertretung dominiert Das Militär durchdringt alle Bereiche des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens.
In den Augen des indonesischen Schriftstellers und Menschenrechtlers Mochtar Lubis bedeutet Einheit in der Vielfalt nichts anderes, als dass sich die Minderheit der Mehrheit um jeden Preis unterwerfen muß. Was die Mehrheit glauben, tun und lassen darf, bestimmen die Generale und eine kleine politische Elite. „Das übertriebene Beharrungsvermögen der Militärs behindert das Heranwachsen einer zivilen Führungsgeneration. Wir leben in einer Einbahnstraße. Das intellektuelle Potential des Landes verkümmert. wird in die Resignation getrieben oder in die Revolution.“
Präsident Suharto verteidigt seine „Neue Ordnung“ als indonesisches Demokratiemodell, als Entwicklungsära, und läßt sich selbst als „Vater des Fortschritts“ feiern. Indem die Vielfalt zum Konsens gezwungen werde, sei der soziale Friede gewahrt Der einzelne und die Nation könnten somit — ungehindert von ideologischen Flügelkämpfen — prosperieren, meint Suharto. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Hälfte der indonesischen Haushalte lebt unterhalb des Existenzminimums. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) erklären Indonesien für kreditwürdig, obwohl inzwischen jeder Entwicklungshilfedollar in die Schuldentilgung fließt Die Entwicklungskredite sind überwiegend für die Taschen einer Minderheit bestimmt, darunter für den Suharto-Klan.
Der Suharto-Sohn Hutomo Mandala Putra setzt im Jahr 500 Millionen US-Dollar um. Er handelt unter anderem mit Gewürznelken, für die er seit 1990 ein Monopol besitzt Sein Bruder Bambang kontrolliert den Handel mit Orangen, ebenfalls über ein Monopol. Ihre Schwestern, die Wirtschaftsimperien im Straßenbau, Tourismus, Immobiliengeschäft und im Baugewerbe besitzen, erhalten staatliche Millionenkredite zu günstigen Zinsen. Suhartos ältester Sohn kassiert die Fernsehgebühren im gesamten indonesischen Archipel und steckt dafür Prozente ein. Wo immer Schlüsselindustrien entstehen oder staatliche Förderungen erhalten, ergeht es interessierten Investoren wie dem Hasen mit dem Igel: Die sechs Präsidentenkinder sind schon vor ihnen da.
Obwohl die Menschenrechts-Situation in Indonesien eines der grausamsten Kapitel unserer Zeitgeschichte ist, obwohl wenige zeitgenössische Politiker soviel Blut an den Händen kleben haben wie Indonesiens Präsident Suharto, ist er für Bonn weiterhin als Partner akzeptabel. Indonesien zählt auch nicht zu jenen Ländern, die wegen ihrer Verstöße gegen die Menschenrechts-Charta von Bonner Entwicklungshilfe ausgenommen sind.
Im Oktober dieses Jahres wird Bundeskanzler Helmut Kohl zum zweiten Mal Jaharta besuchen, um über Wirtschaftshilfe und Investitionen zu reden. Zwischen der Bundesrepublik und Indonesien besteht sogar eine privilegierte Beziehung, deren sich nur wenige Nationen in der sogenannten „Dritten Well“ rühmen können. Bonn und Jakarta haben bereits vor 15 Jahren ein Abkommen über Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technik unterzeichnet Schließlich ist die Bundesrepublik Deutschland einer der freizügigsten Kreditgeber für Indonesien.
Daß sich die indonesische Regierung bei soviel internationalem
Wohlwollen in ihrem politischen Kurs bestätigt sieht, darf niemanden
verwundern, beklagt „amnesty international“. Auf Anfrage im Bonner Wirtschaftsministerium
beschied man der internationalen Menschenrechtsorganisation: Wenn man einmal
von Irian Jaya. Ost-Timor oder Aceh absähe, sei doch die Menschenrechts-Situation
in Indonesien gar nicht so schlecht Im übrigen müsse die Bundesregierung
an die Rohstoffsicherung für die deutsche Wirtschaft denken.
Anm: Die Reise von Bundeskanzler Kohl wurde nach Auskunft der Bundesregierung
aus terminlichen Gründen auf Anfang nächsten Jahres verschoben.
Der genaue Zeitpunkt der Reise stehe noch nicht fest.
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