Indonesien-Information - Dezember 1993 (Landkonflikte)

Der Schrei nach Bewältigung der Vergangenheit

Die Erschießungen von Sampang haben ein Nachspiel. Kyais, StudentInnen und Persönlichkeiten der Gesellschaft verlangen die Einsetzung einer Kommission zur Suche nach der Wahrheit. Auch das Massaker von Tanjung Priok im Jahre 1984 soll in die Untersuchung miteinbezogen werden.

1.500 StudentInnen aus Yogyakarta versammelten sich in der Universität Gajah Mada. Mit dem Slogan: "Basofi, warum hast du auf deine eigenen Landsleute geschossen?" protestierten sie gegen die Ermordung von vier Dorfbewohnern aus Sampang auf der Insel Madura. Basofi ist der Gouverneur von Ost-Java.

Die Demonstration wurde von einer Gruppe StudentInnen veranstaltet, die sich "Volksbewegung der vollständig Neuen Ordnung" (Gerakan Masyarakat Purna Orde Baru oder Gepur Deru) nennt. Zum Abschluß ihrer Protestaktion verlangten sie die Einsetzung einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Fakten von 'Madura Berdarah' (dem 'Blutigen Madura'). "Wir hoffen, daß die Ereignisse in Madura, Tanjung Priok, Lampung, Ost-Timor, Haur Koneng und alle anderen Verbrechen der Neuen Ordnung zu einer Lehre werden, damit wir uns nun für mehr Menschlichkeit und Zivilisation einsetzen."

Anfang Oktober zogen die StudentInnen vor das Landesparlament von Ost-Java in Surabaya. Dort verlangten sie ebenfalls die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission. Die Ermordung der vier maduresischen Bauern hat Folgen. Außer StudentInnen beteiligten sich noch mehrere Solidaritätskommittes an den Protesten. Höhepunkt war das Vorgehen von 40 Kyais verschiedener Pesantren (Koranschulen) in Ost-Java am 29. September 1993, die sich in einem achtseitigen Brief an Präsident Suharto wandten. Darin heißt es: "Wir sind nicht mehr bereit, unsere Trauer über Menschenrechtsverletzungen länger zu ertragen. Wir können nicht weiter dazu schweigen, daß das Volk im Namen des Staates leiden muß. Wir verlangen, daß die Bevölkerung menschlich behandelt wird. Wir fordern ein Ende der Gewalt".

Die Aktionen der Kyais sind Ausdruck ihrer Unzufriedenheit mit der bisherigen Regierungspolitik. Den Glauben in Erklärungen der Regierung haben sie verloren. Denn die fallen bei derartigen Vorfällen immer gleich aus: Ein Teil der Bevölkerung sei mit Messern, Sicheln usw. bewaffnet gewesen und habe die zahlenmäßig unterlegen Sicherheitsbeamten angegriffen. Auf Warnschüsse sei nicht gehört worden und die in Bedrängnis geratenen Sicherheitskräfte seien gezwungen gewesen, ihre Gewehre nach unten zu richten, weshalb es unvermeidlich zu Todesfällen gekommen sei.

Erläuterungen dieser Art hatte Militäroberbefehlshaber General Benni Murdani nach dem Massaker von Tanjung Priok im Jahre 1984 abgegeben. Nicht anders rechtfertigte sich seinerzeit der Oberbefehlshaber in Süd-Sumatra, Generalmajor Sunardi, bezüglich des blutigen Vorgehens des Militärs in Lampung 1989. Es war auch der Tenor der Erklärungen für die Massaker in Dili (Ost-Timor), in Haur Koneng (West-Java) und nun in Sampang (Madura).

Bis zu den Schüssen in Dili wurde diesen offiziellen Begründungen geglaubt. Doch an der Behauptung des damaligen Oberbefehlshabenden der Streitkräfte und jetzigem Vizepräsidenten General Try Sutrisno, daß es in Dili nur 19 Tote und 91 Verwundete gegeben habe, kamen Zweifel auf - vor allem im Ausland. Daraufhin sah sich Suharto gezwungen, eine Untersuchungskommission einzusetzen. Diese hatte zur Folge, daß mehrere Militärkommandanten abgesetzt wurden, darunter Generalmajor Sintong Panjaitan und Brigade-General Warouw.

Durch dieses Ereignis wurden die Angehörigen der Opfer von Tanjung Priok ermutigt, ihrerseits offen nach dem Verbleib ihrer Familienmitglieder zu fragen. Bis heute ist ungeklärt, wieviele Moslems in Nord-Jakarta erschossen wurden. Die einzige Leiche, die zurückgebracht und identifiziert wurde, ist die von Amir Bikki, dem Anführer der 1.500 Demonstranten. Die Oppositionsgruppe Petisi 50 hatte nach dem Ereignis die Regierung aufgefordert, eine Untersuchungskommission einzusetzen. Stattdessen jedoch wurden einige ihrer eigenen Mitglieder verhaftet. A.M. Fatwa und General Dharsono erhielten Gefängnisstrafen. Adnan Buyung Nasution, der General Dharsono vor Gericht verteidigt hatte, durfte nicht mehr als Anwalt praktizieren und hatte lange keine Möglichkeit, sich öffentlich zu äußern.

Der Ruf nach Einsetzung einer Untersuchungskommission wurde vom Chef der Militärinformation abgewürgt: "Wozu denn? Das würde bedeuten, daß man dem Militär nicht vertraut. Wozu sollte nach jedem Ereignis eine Kommission gebildet werden?", fragte er. Die gleiche Antwort erhielt man auch von dem ost-javanischen Gouverneur, General Basofi Sudirman. Auch er hielt es für unnötig, eine Untersuchungskommission einzusetzen. "Warum so formell? Ich bevorzuge einen informellen Dialog", sagte er.

Einen solchen "informellen Dialog" versuchte kürzlich der Bupati von Sampang in die Wege zu leiten, indem er die Kyais aus Madura zu einem Fest einlud. Nach dem Vorfall von Sampang war dies offensichtlich der Versuch, die Moslemführer wieder für die Regierungsseite einzunehmen. Dies ist als bedeutungsvoll anzusehen, da die Beziehung der Bevölkerung von Madura zu den Kyais sehr eng ist.

Doch der Versöhnungsversuch mißglückte: Von 20 geladenen einflußreichen Kyais aus Madura erschien nur ein einziger. Es blieb den Bürokraten nichts anderes übrig, als das Fest alleine zu feiern. "Vielleicht mögen sie mich nicht", erklärte der Regent Oberst Hinayana. "Wohlgemerkt erhalten sie jedes Jahr von uns Geld für ihre Koranschulen". "Der Regent glaubt wohl, daß die Sympathie der Kyais mit Geld zu kaufen wäre", kommentierte darauf einer der Kyais. Sogar der Versuch des Gouverneurs, die Kyais zu sich einzuladen, stellte sich also als mißlungene Politik heraus. Die Moslemführer von Madura halten Distanz zur Regierung. Der einflußreichste unter ihnen, Kyai Alawy Muhammad sagte: "Einen Toten können auch 10 Staudämme nicht ausgleichen". /Tempo, 16. und 30. Oktober 1993/ <>

   
 
 
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