Indonesien-Information - Dezember 1993 (Landkonflikte)
Nach dem Dili-Massaker von 1991 muß sich das indonesische Militär zum zweiten Mal in der Geschichte der Orde Baru (Neue Ordnung) einer Selbstreinigung unterziehen - bevor das Ausland es verlangt.
Der Kommandant des Militärdistriktes von Sampang (Madura), Oberstleutnant Sugeng Wiyono, der Polizeikommandant von Sampang, Oberstleutnant Siswinanarto und zwei ihrer Untergebenen wurden in einer offiziellen Zeremonie ihrer Posten enthoben. Die rührende Atmosphäre während ihrer Entlassung gipfelte darin, daß die Offiziersfrauen zu weinen begannen. Sie umarmten und küßten die Frau von Oberstleutnant Sugeng Wiyono /Tempo, 23. Oktober 1993/ und drückten ihr Unbehagen gegen die Ungerechtigkeit der Absetzung aus. Nicht nur, daß sie die Entlassung vor den Augen der Öffentlichkeit als beschämend empfanden, sie waren auch der Meinung, daß die vom Dienst suspendierten Militärkommandanten unschuldig waren.
"Die Eheleute Sugeng Wiyono sind gute Menschen", sagte ein Gast mit nassen Augen. Der Vizepräsident des Stadtparlaments von Sampang, Haji Ismail Muzzaki, war unruhig und konnte die Zeremonie nicht mitansehen. "Während seiner Dienste war Oberstleutnant Sugeng Wiyono mit allen Schichten der Gesellschaft eng befreundet", erzählte er.
Müssen sich gute Menschen nicht verantworten?
Die Absetzung der Kommandanten von Sampang war eine Blitzaktion des Militärs. Denn die Kommandanten waren verantwortlich für die blutige Tragödie in Sampang am 25. September 1993. Vier Tote und drei Verletzte gab es, als die Sicherheitskräfte auf 500 friedliche Demonstranten schossen, die gegen den Bau des Nipah-Staudammes im Bezirk Sampang protestierten. Unter den Toten waren eine 51jährige Frau und ein vierzehnjähriges Kind /Republika, 28.9.93 und amnesty international Rundschreiben, 8.10.1993/.
Die Demonstration war die Fortsetzung eines seit Anfang September anhaltenden Konfliktes um das von der Regierung geplante Staudamm-Projekt. Gegen Ende August hatte die Bevölkerung vor dem Landesparlament in Sampang protestiert. Aber die Regierung stellte sich taub /Tempo, 16.10.1993/. Der Versuch des Regenten (Bupati) von Sampang, H. Bagus Hinayaba, einen Dialog mit der Dorfbevölkerung zu führen, scheiterte. Die Bevölkerung war gegen den Bau, weil sie befürchtete, daß 170 ha ihres Landes überschwemmt würden /Republika, 28.9.93/. Wie es in einer Presseerklärung der Solidaritätsgruppe für die Opfer des Nipah-Dammes (Solidaritas Untuk Rakyat Korban Waduk Nipah, Madura) vom 27.9.1993 heißt, kritisierte auch der Wissenschaftler Kholid Ismail den Bau des Dammes. In Ost-Madura gebe es wenig Wasser und keine großen Flüsse, die eingedeicht werden müßten. Der Boden sei nur für Tabakplantagen geeignet. "Ähnlich wie beim Damm von Blega muß man sich fragen, wer profitiert denn vom Bau des Nipah-Dammes?", meint Kholid Ismail. Wenn der Bau gut für die Industrie sei, wohin sollten dann die Leute gehen?
"Einige Tage bevor die Morde geschahen, soll der Chef der Bezirksregierung von Sampang angeordnet haben, Anwohner festzunehmen, die am Ende eines Treffens zwischen örtlichen Beamten und Anwohnern, auf dem das Damm-Projekt diskutiert werden sollte, ihren Protest kundgetan hatten." /amnesty international, 8.10.93/. Auch mit Erschießungen wurde bereits vor dem 25. September mehrmals offen gedroht /LBH Surabaya, 5.10.1993/.
Als die Regierungsbeamten kamen, um das Land zu vermessen, wurden sie von 20 Soldaten (Polizei und Heer) begleitet. Die Dorfbevölkerung zeigte offen ihren Unmut als sich die Beamten näherten, woraufhin das Militär zuerst einige Schüsse in die Luft abgab und dann scharf schoß /Tempo, 30.10.93 u. LBH Surabaya, 5.10.93/.
Der Oberkommandierende der Militärregion Ost-Java, zu der auch Madura gehört, und der Polizeichef von Ost-Java rechtfertigten zunächst das Verhalten der Militärs. Der Polizeichef, Generalmajor Arganata, vermutete, daß die Protestaktion von einer 'unverantwortlichen' Person organisiert wurde, um den Bau des Dammes zu boykottieren /Republika, 28.9.93/. Militärkommandat Generalmajor Haris Sudarno wies darauf hin, daß das Damm-Projekt im Interesse der weiteren Entwicklung des Landes lag und wandte sich gegen die Behauptung, daß das Militär das Volk einfach niederschieße. Wortwörtlich sagte er: "Es stimmt nicht, daß wir einfach erschießen (...) Falls es zu Ereignissen kommt, wie jetzt am Nipah-Damm, dann muß man die Gründe betrachten, nämlich daß die Entwicklung unter sicheren Bedingungen weiter gehen muß. Die Vermessungsbeamten können nur arbeiten und vielleicht später den Damm bauen lassen, wenn sie unter sicheren Bedingungen arbeiten. Das heißt, man muß jede einzelne Situation sehen. Ab und zu mal gibt es einen nervösen Soldaten, der schießt - und die anderen schießen mit" /Tempo, 9.10.93/.
Selbst der Gouverneur von Ost-Java, General Basofi Sudirman, versuchte das Ereignis klein zu halten. "Wir müssen das Problem angemessen lösen", sagte er. "Wir dürfen uns nicht einmischen zugunsten anderer Interessen. Wir dürfen nicht die Verhaltensweise der Menschen im Ausland kopieren, die im Namen der Menschenrechte schreien."
Die jetzt erfolgte Absetzung wurde direkt von Militäroberbefehlshaber General Feisal Tanjung, der eine Ausbildung an der Bundeswehrakademie bei Hamburg absolvierte, angeordnet. Die Begründung für die Entlassung aus dem Dienst lag nicht in den Erschießungen, sondern darin, daß die vier Gemaßregelten gegen die Militärdisziplin verstoßen haben. Ihnen wurde zur Last gelegt, nach dem Vorfall nicht sofort einen Bericht an ihren Kommandanten weitergeleitet zu haben /Tempo, 23.10.1993/.
General Feisal Tanjung beschuldigte zugleich auch Bagus Hinayana, den Bupati von Sampang. Als Verantwortlicher habe er die einflußreichen Persönlichkeiten der Region nicht miteinbezogen. Manche Regierungsbeamte meinen, daß die Verantwortung eigentlich in den Händen des Bupati von Sampang liege. Die vier Abgesetzten seien die falschen Opfer /Tempo, 30.10.1993/.
Auch der bekannte Schriftsteller Emha Ainun Nadjib, der eine Solidaritätsaktion für die Bevölkerung von Sampang propagierte, war unzufrieden mit der erfolgten Maßnahme. Er sah darin eine erzwungene Aktion. "Wie im Mafiafilm", sagte er. "Wenn ein Fehler unterlaufen ist, dann müssen Untergebene als Opfer gefunden werden". Das Militär solle sich daher wehren, weiter die Rolle des Wachhundes zu spielen, sagte er /Tempo, 30.10.1993/.
Konflikt innerhalb des Regierungssystems
Das ursprüngliche Projekt wurde im Jahre 1985 von der Regierung gestoppt, da sie kein Geld mehr hatte. Aber schon 1981 kam Unzufriedenheit innerhalb der betroffenen Bevölkerung auf. Denn für ihr Land erhielten sie nur 500 Rupiah (ca. 0,40 DM) Entschädigung pro Quadratmeter - einen Preis, den man auch im Jahre 1971 schon erhalten konnte. Die Leute fühlten sich von der Regierung benachteiligt. Die Bodenpreise wurden nach Belieben festgesetzt, indem die Vermessungsbeamten und die zuständige Behörde für die Grundbuch-Eintragung beispielsweise die Fläche der Grundstücke manipulierte. Wer sich gegen den Verkauf wehrte, dem wurde gedroht. Erst jetzt hat das Institut für Menschenrechte LBH entdeckt, daß die Bevölkerung eines ganzen Dorfes gezwungen wurde, ihren Fingerabdruck als Zeichen des Einverständnisses für den Verkauf zu hinterlassen.
Bis 1985 hatte die Regierung 40 acres Land von der Bevölkerung gekauft. Erst dieses Jahr wollte die Regierung das Projekt fortsetzen. Die Gesamtkosten werden auf 14 Mrd Rupiah (ca. 10 Mio DM) veranschlagt, davon hat die Regierung bis jetzt 1,5 Mrd Rupiah ausgegeben. 130 acres Land, die für den Dammbau benötigt werden, befinden sich derzeit noch im Besitz der Bevölkerung. Diese sträubt sich gegen einen Verkauf, weil sie sich an ihre schlechten Erfahrungen in den 80er Jahre erinnert. Die Leute glauben den Erklärungen von Maklern, nach denen sie nur 500 Rupiah pro Quadratmeter erhalten werden.
Trotz dieser ungeklärten Verhältnisse sah der Bupati von Sampang offenbar keine Notwendigkeit, die Bevölkerung und wichtige Persönlichkeiten, wie z.B. die Kyais, die auf der streng islamischen Insel großen Einfluß haben, zu konsultieren. Stattdessen befahl er die Arbeiten zum Bau des Dammes fortzusetzen und schickte zur Absicherung der Beamten gleich das Militär mit. Das erzeugte Mißtrauen bei der Bevölkerung und endete in der blutigen Tragödie des 25. September /Tempo, 30.10. 1993/.
Daß bis jetzt nur die Militärkommandanten die Verantwortung tragen müssen, ist daher ein Problem. Denn die beiden abgesetzten Militärkommandanten hatten keine Alternative zur Entsendung ihrer Truppe. Während einer Ausschußsitzung hatte der Bupati von Sampang die beiden um ihre Hilfe gebeten. Sie mußten gehorchen, da der Bupati einen höheren Rang in der Militärhierarchie innehat /Tempo, 30.10.1993/. <>
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