Indonesien-Information Nr. 1 2002 (West-Papua)

Wer steckt hinter der Ermordung von Theys Eluay?

oder

Kein Ende der Gewalt in Sicht

Von Antje Mißbach

Gewalt ist in West-Papua (früher Irian Jaya) kein neues Phänomen. Seit der gezwungenen Einverleibung dieser ressourcenreichen Region in die Republik Indonesien kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den neuen Machthabern und den Bewohnern West-Papuas. Neben der physischen Gewalt in Form von Vertreibungen, Einschüchterungen, Vergewaltigungen etc. sahen sich die Papuas in ihrem Alltag struktureller Gewalt, wie sozialer Benachteiligung, ethnischer Diskriminierung und kulturellen Einschränkungen ausgeliefert. Viele dieser lang anhaltenden Ungerechtigkeiten stärkten den Wunsch nach staatlicher Selbstbestimmung. Vor allem nach dem Sturz Suhartos 1998 erfuhr diese Forderung erhebliche Unterstützung.

Je lauter die Bevölkerung ihre Forderung nach Unabhängigkeit kundtat, um so mehr reagierten die Sicherheitskräfte mit Gewalt: Seit 1998 kam es in Biak, Sorong, Merauke, Nabire und Wamena zu verschiedenen schweren Zusammenstößen, die Dutzende Menschenleben kosteten. Neben all dem menschlichen Leid, das durch diese Auseinandersetzungen verursacht wurde, verringerten sich die Chancen auf eine friedliche Konfliktlösung. Das Vertrauen in eine politische Sonderautonomie, welche kurz- und mittelfristige soziale und wirtschaftliche Verbesserungen bringen könnte, schwand bei vielen und erschwerte die Arbeit derjenigen, die sich konstruktiv in den Dezentralisierungsprozess einbringen wollten1.

Ein neuer Höhepunkt der Gewalt wurde mit der Ermordung von Theys Hiyo Eliay am 10. November 2001 erreicht. Auf dem Nachhauseweg von einem Empfang anlässlich des nationalen Heldenfeiertags auf dem Stützpunkt Tribuana der Eliteeinheit Kopassus in Hamadi (Unterdistrikt von Süd-Jayapura) wurden Theys und sein Fahrer Aristoteles Masoka entführt. Das letzte Lebenszeichen, das Theys´ Frau von ihrem Mann erhielt, war ein Anruf von Aristoteles, der inmitten des Hilfegesuchs abgebrochen wurde. Am darauf folgenden Tag fanden Dorfbewohner Theys´ mit Wunden übersäte Leiche in seinem Auto in Koya (in der Nähe von Abepura, unweit von der Grenze zu Papua Neuguinea). Von Aristoteles fehlt bisher jede Spur. Er schwebt in höchster Gefahr, sollte er überhaupt noch am Leben sein.

Der Fall ist von besonderer Brisanz, weil Theys Eluay langjähriger Politiker und Mitglied des Papua Präsidiums war. Sein Weg dahin war aber durchaus von Ambivalenz gekennzeichnet. Manche bezeichneten Theys als eine „kontroverse Figur mit zwei Gesichtern2, die sich je nachdem als pro-indonesisch oder eben pro-papuanisch zeigte. Er gehörte er zu den wenigen Personen, die 1969 direkt am sog. Act of free Choice (der „Volks-“abstimmung über die Zugehörigkeit Papuas zu Indonesien) beteiligt waren, er war Mitglied der früheren Regierungspartei Golkar und brachte sich drei Legislaturperioden lang im regionalen Parlament (DPRD) ein. Als er 1996 nicht wieder nominiert wurde, begann er sich mehr und mehr für die Unabhängigkeit West-Papuas auszusprechen. Er initiierte Flaggenhissungen, unterzeichnete politische Kommunikees und brachte sich im Jahr 2000 beim zweiten Papua People´s Congress ein.
Eine Sonderautonomie für West-Papua im Sinne von Dezentralisierung lehnte Theys grundsätzlich ab. Als am 20. Oktober 2001 in Gegenwart von Theys und anderen Mitgliedern des Papua-Präsidiums in Jakarta das Gesetz über die Sonderautonomie unterzeichnet wurde, kündigte er neue Bemühungen für die Aufnahme friedlicher Verhandlungen mit der indonesischen Regierung an.

Eine dritte Facette in Theys´ Leben, der bisher nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde, sind seine verschiedenen Kontakte zu mehr oder weniger zwielichtigen Gestalten in Indonesiens politischer Unterwelt. Als Ondofolo Besar (Großer (Stammes-) Führer) und Vorsitzender der Lembaga Musyawarah Adat (Traditionelle Konsultativversammlung) unterhielt er beispielsweise enge Beziehungen zu Yorris Raweyai3, einem der mutmaßlichen Drahtzieher im Molukken-Konflikt.

Bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der Entführung und des Todes von Eluay trat die Vermutung auf, dass die indonesischen Sicherheitskräfte maßgeblich in den Fall verwickelt sind. Seit den ersten Nachrichten über Theys´ gewaltsamen Tod begleitet die Rechtshilfeorganisation ELSHAM die Untersuchungen der Behörden vor Ort kritisch und sorgt für das Bekanntwerden dieses Vorfalls, der politischen Folgen sowie der näheren Umstände und Hintergrundfakten.

Die Untersuchungen von ELSHAM verweisen auf etliche Unklarheiten und Auffälligkeiten. Wie z.B. war es für die Mörder möglich, ungehindert an dreizehn Polizeipatrouillen vorbeizukommen, obwohl über die gesamte Region eine nächtliche Ausgangssperre verhängt worden war? Von wem stammen die mysteriösen Einschüchterungen, die eine Woche vor Theys´ Tod in der Lokalzeitung Cendrawasih Post auftauchten und vor Vampiren in der Dunkelheit warnten und damit indirekt das Ausgangsverbot unterstützten4?

Nachdem die Sicherheitskräfte, insbesondere Kopassus, lange Zeit vehement bestritten, in den Fall verwickelt zu sein, erklärte der indonesische Polizeipräsident, General Dai Bachtiar, am 29.12.2001, dass die Verantwortlichen für die Ermordung Theys´ beim Militär zu suchen seien5. Gegenteilig dazu äußerte sich der Militärchef Papuas, General Mahidin Simbolon, der behauptet, dass kein Befehl zur Tötung Theys existierte. Sollte es sich herausstellen, dass tatsächlich Mitglieder von Kopassus an der Ermordung beteiligt gewesen waren, würden diese als Individuen, nicht als Mitglieder der Streitkräfte, zur Verantwortung gezogen werden6.

Als Folge des regionalen als auch des internationalen Drucks auf die indonesische Regierung wurden bisher zwei Untersuchungskommissionen gebildet: eine von Seiten des Militärs und eine von der Regierung. Menschenrechtsorganisationen in West-Papua jedoch bemängeln bei beiden, dass keine internationalen Gerichtsmediziner bzw. Menschenrechtsaktivisten bei der Aufklärung mit einbezogen werden.

Doch das Verhalten der indonesischen Regierung und insbesondere das der Präsidentin Megawati Sukarnoputri diesbezüglich ist wenig förderlich, um das Vertrauen der Papuas zu gewinnen. Bedauerlicherweise sagte sie ihren West-Papua-Besuch anlässlich des Inkrafttretens des Sonder-autonomiegesetzes für West-Papua am 22.12.2001 ab, zum einen weil dieses Gesetz von großen Bevölkerungsmehrheiten kategorisch abgelehnt wird und zum anderen weil die häufigen Demonstrationen seit dem Tod Theys´ die Lage in West-Papua zugespitzt haben. Außerdem wird berichtet, dass sie sich bei einer Ansprache vor dem Militär Ende des Jahres sehr abfällig über das „Menschenrechtsgerede“ geäußert haben soll und die Soldaten ermuntert habe, an den Doktrinen der Armee festzuhalten7.

Bereits in der Position der Vizepräsidentin war Megawati nicht nur für ihre nationalistischen Ansichten und der unbedingten Wahrung des Erbe ihres Vaters, (d.h. der territorialen Einheit des Landes) bekannt, sondern auch für ihre Appelle, separatistische Bewegungen im ganzen Land rigoros auszuschalten.

Nach Angaben von ELSHAM8  reiste Megawati bereits im Vorfeld des zweiten Papua-Kongresses im Mai 2000 inkognito nach West-Papua, um sich einen Einblick über die generelle Lage zu verschaffen. Ihr daraus entstandener Bericht ging an verschiedene Regierungsorgane und bildete die Grundlage für den lange Zeit geheim gehaltenen „Operationsplan für die Schaffung der territorialen Bedingungen eines Kommunikationsnetzwerkes für den Umgang mit den politischen Entwicklungen in Irian Jaya im Sinne von Unabhängigkeit und Separation von Indonesien“. Dieser Plan beinhaltet u. a. die strengere    Überwachung von Dörfern und das Sammeln von Nachrichten über verschiedenste Aktivitäten, Infiltrationen und Provokationen sowie Verhaftungen. Dieses geheime Dokument, dessen Inhalte letzten Endes aber doch zur Öffentlichkeit durchdrangen, enthält die Namen der wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Persönlichkeiten West-Papuas. Dass diesem Operationsplan konkrete Aktionen folgten, um gegen den papuanischen Separatismus vorzugehen, ist durchaus bekannt: die Polizeiaktion „Sadar Matoa 2000“ ist nur ein Beispiel dafür.

Die Existenz solcher Konzeptionen und Anweisungen deuten folglich daraufhin, dass der Fall Theys keine Einzeltat, sondern ein politisch motivierter Mord war, dem eine gewisse Systematik bzw. ein organisiertes Vorgehen zugrunde lag. In diesem Zusammenhang bleibt fraglich, inwieweit die staatlichen Untersuchungskommissionen bereit und willig sind, sich für eine konsequente, rückhaltlose Aufklärung des Verbrechens einzusetzen und für ausreichenden Schutz der Zeugen zu sorgen. Immer wieder werden beispielsweise Mitarbeiter von ELSHAM bedroht und eingeschüchtert, weil sie sich für die Aufklärung stark machen.

Von Seiten deutscher Nichtregierungsorganisationen gibt bisher entschiedene Reaktionen. Der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) forderte in seiner Presseerklärung im Dezember 2001 die Bundesregierung auf, Druck auf die indonesische Regierung auszuüben, damit die Untersuchungen des Mordes so unparteiisch und so unverzüglich wie möglich vonstatten gehen. <>



1    Vgl. Recent developments in Papua. Special Autonomy, its progress and final contents. (Sekretariat keadilan & perdamaian keuskupan Jayapura, Dezember 2001)
2    Preliminary report: The abduction and assassination oh Theys Hiyo Eluay was premeditated and politically motivated. (ELSHAM, 13. Dezember 2001)
3    Yorris Raweyai ist der Vorsitzende von Pemuda Pancasila (Pancasila-Jugend), die nach Beobachtungen von indonesischen Menschenrechtsaktivisten maßgeblich bei der Entfachung der ethnischen bzw. religiösen Auseinandersetzungen in Kalimantan und den Molukken beteiligt war. Nichtsdestotrotz machte Theys Raweyai zum Vorsitzenden des Papua Traditional Consultative Assembly in Jakarta.
4    So eigenartig diese Vampirgeschichten auch erscheinen mögen, so lassen sich doch Parallelen zu Arnold Aps Ermordung 1984 ziehen, bei der im Vorfeld ebenfalls solche Spukgeschichten kursierten. Einschüchterungen dieser Art wurden darüber hinaus aus von US-Militärs im Vietnamkrieg angewendet.
5    Cendrawasih Post 29. 12. 2001, zit. nach E-Info Nr. 77 vom 4. 1. 2002
6    Cendrawasih Post 31. 12. 2001, zit. nach E-Info Nr. 77 vom 4. 1. 2002
7    Papua Post 31. 12. 2001, zit. nach E-Info Nr. 77 vom 4. 1. 2002
8    Preliminary report: The abduction and assassination of Theys Hiyo Eluay was premeditated and politically motivated. (ELSHAM, 13. Dezember 2001)  
 
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