Indonesien-Information Nr. 1 2002 (Lexikon)

Bücherverbrennungen - ein Gespenst geht um

von Edith Koesoemawiria

Ein neues Phänomen machte die Runde in Indonesien: In der ersten Jahreshälfte 2001 fanden an vielerlei Orten Bücherverbrennungen statt. Da gab es die Verbrennung von Geschichtslehrbüchern in Malang, die des „Weißbuches“ der F-KB (Fraktion der Partei des nationalen Erwachens, PKB) in Makassar, die Verbrennung von Khalil Gibran´s Gedichtband Chicken Soup, von japanischen Comics, von Popmusik-CDs in Bandung und schließlich die Verbrennungen von Büchern, die als „linkslastig“ eingeschätzt werden.

Die Motive für diese Bücherverbrennungen sind vielfältiger Natur. So wollten die Studenten in Malang mit ihrer Verbrennungsaktion darauf aufmerksam machen, dass das Unterrichtsmaterial für das Fach Geschichte dringend erneuert werden muss. Sie forderten eine gänzliche Überarbeitung der Ausführungen über die Politik und Geschichte der Neuen Ordnung. In Makassar dagegen haben die Mitglieder von KAMMI (Aktionsgruppe der muslimischen Studenten Indonesiens) und von BEM (Exekutivorgan der Studenten) mit der Verbrennung des Weißbuches der F-KB gegen die darin enthaltenen Korruptionsvorwürfe gegen Gus Dur protestiert. Mit einer „Bücherverbrennung als Form eines künstlerischen Happenings“ wollte eine Interessenvertretung für Bildungsangelegenheiten in Bandung auf das sinkende Niveau bei der Auswahl der Lektüre bei Studenten hinweisen. Ihre Protestaktion richtete sich gegen die unzureichende Qualität und die schlechten Bedingungen der Ausbildung in Indonesien.

Die Antikommunistische Allianz (AAK) dagegen führte Sweepings durch und verbrannte „linke“ Bücher, weil sie alles, was irgendwie mit der kommunistischen Lehre von Marx und Lenin in Verbindung steht, ablehnt. Der indonesische Begriff für Sweepings lautet menyapu - wegfegen und ist nicht negativ besetzt. Während der Neuen Ordnung wurde er sogar zu Propagandazwecken eingesetzt. Ein gängiger Slogan lautete: Fegt die kommunistische Gefahr hinweg (Sapu bersih bahaya komunis).

Die Angst vor solchen Sweepings begann vor mehr als zwei Jahren, als eine Reihe kleiner, militanter Gruppen auftauchte, die es als ihre Aufgabe ansahen die Religion zu verteidigen. FPI (Front zur Verteidigung des Islam) ist eine von ihnen. FPI ging mit Sweepings in Jakarta und Yogyakarta gegen Prostituierte und Homosexuelle in Diskos und Bars vor, welche die Täter als Zentren des Lasters ansahen. Die FPI-Anhänger erschienen mit gezückten Schwertern und mit Peitschen und schrieen dabei (Koran-)Verse. (vgl. Indonesien-Information Nr. 3/2000, Juliana Fischer/Alex Flor: Übergriffe von Islamisten politisch gesponsort)

Viele Menschen in Indonesien waren von diesen Übergriffen entsetzt, schlossen aber davor die Augen und taten sie als Einzelfälle ab. Das geschah zum einen sicherlich aus Furcht, zum andern setzte inzwischen auch der Effekt der Übersättigung ein. Tagtäglich gibt es Meldungen von Gewalttätigkeiten. Erschwerend hinzu kommt, dass die Täter ihre Übergriffe unter dem Banner der Verteidigung der Religion verüben, was es gemeinhin schwierig macht, sich dagegen eindeutig aufzulehnen. Und solange die Überfälle auf soziale Randgruppen zielten, glaubte die Allgemeinheit davor die Augen verschließen zu können. Nur ein paar vereinzelte Organisationen, wie Menschenrechtsgruppen und pro-demokratische Gruppen, äußerten sich dazu, hatten aber keinerlei Einfluss auf das Geschehen.

Einige Täter, die festgenommen werden konnten, wurden von der Polizei wieder laufen gelassen - ohne jegliche Bestrafung für ihre kriminellen Handlungen. Letztendlich kamen die Betreiber des Amüsiergewerbes zu dem Schluss, das Problem selbst regeln zu müssen. Nicht selten erschienen nach den Überfällen Kleinmafiosi und erpressten Schutzgeld. Und in der Tat, diejenigen, die zahlen, werden auch nicht mehr bedrängt.

In Solo ereigneten sich derweil Sweepings gegenüber Ausländern, die dort in Hotels abgestiegen waren. Angeblich gehen diese Taten auf das Konto einer Jugendbande, die damit Aufsehen erregen wollten. Sie ahmten einfach die Sweepings nach, von denen die Medien berichtet hatten. Schließlich bestand die Hoffnung, ungeschoren davonzukommen, weil diese Aktionen unter dem „Schutzschirm der Religion“ stattfanden. Außer den Menschenrechtsgruppen und pro-demokratischen Aktivisten haben damals auch andere ihre Stirn gerunzelt. Ihr Augenmerk richtete sich dabei jedoch weniger auf die Praxis von gewalttätigen Übergriffen durch Schlägerbanden als solches. Vielmehr erregte man sich über die Tatsache, dass Gäste des Landes angegriffen wurden.

In einer östlichen Kultur dürfen Gäste nicht in interne Probleme verwickelt werden und schon gar nicht etwas Negatives nach außen tragen. Schließlich sind die ausländischen Gäste ein wichtiger Teil des Tourismussektors, einer wichtigen Devisenquelle für Indonesien. Daher waren in den Tageszeitungen lange und ausführliche Kommentare darüber zu finden. Sogar die Regierung reagierte. Doch als die Täter ergriffen wurden, gaben sich diese so schnell wie möglich als Teil der FPI aus. Und anscheinend entgingen sie damit ihrer Bestrafung.

Die Machenschaften der FPI klingen nicht ab. Sie kann weiterhin völlig frei agieren, belästigt die alternative Kunstszene und greift Organisationen und Parteien an, die sie als „links“ einstuft. Wie zum Beispiel die Künstlerorganisation Komunitas Taring Padi, demokratische Studentenverbände oder die PRD (Demokratische Volkspartei).

Es ist nicht verwunderlich, dass die Entstehung der antikommunistischen Allianz (AAK) bei Menschenrechtsgruppen und pro-demokratische Aktivisten neue Ängste entfachte. Die AAK, die für sich in Anspruch nimmt, die gesamte antikommunistische Gesellschaft in Indonesien zu vertreten, besteht aus 33 Organisationen, u.a. der Islamischen Jugendbewegung, der Hizbullah Front, der Rot-Weißen Front und dem Forum der Jugend von Betawi. Mitte April letzten Jahres rief die AAK zu Verbrennungen von angeblich „linken“ Büchern auf. Die Aktionen begannen am 2. Mai 2001. Gegenüber der Tageszeitung Kompas, äußerte der Generalsekretär der AAK, M. Nofal Dunggio, dass die Bücher-Sweepings bis zum 20. Mai andauern würden, danach würde man dann auch gegen Personen vorzugehen /Kompas 8.5.2001/.
Die AAK beruft sich auf die Verfassung von 1945, die Staatsphilosophie Pancasila sowie den MPR-Beschluss Nr. XXV/MPRS/66, der noch immer in Kraft ist. Laut dem geltenden Recht ist Kommunismus in Indonesien noch immer verboten und die AAK gibt vor, mit ihren Aktivitäten dem Staatsapparat bei der Durchsetzung des Gesetzes behilflich zu sein.

Die Mitglieder des Bündnisses sind nicht bereit, sich mit den Inhalten der von ihnen als gefährlich eingestuften Bücher und Schriften auseinander zu setzen. So wurde zum Beispiel auch der deutschstämmige Jesuitenpater und führende Philosoph Indonesiens, Prof. Franz Magnis Suseno, Opfer der Hetzkampagne. Stein des Anstoßes war sein Buch „Das Denken von Karl Marx - Von der sozialistischen Utopie zum revisionistischen Streit“, eine kritische Analyse des Marxismus. Die Bewertung „links“ beruht lediglich auf den Titeln der Bücher, die Namen wie Marx, Che oder irgendein Wort enthalten, das mit Kommunismus in Verbindung gebracht werden kann, sowie auf Symbolen wie Hammer und Sichel. Es kann auch genügen, wenn der Autor generell im Ruf steht, ein kritischer Denker zu sein, oder wie im Falle Pramoedya Ananta Toers, als Kommunist beschuldigt, aber nie vor Gericht gestellt, jahrelang auf der Gefängnisinsel Buru festgehalten und mit Berufsverbot belegt wurde.

Das Vorgehen der AAK veranlasste einige Besitzer von Büchergeschäften in vorauseilendem Gehorsam selbst alle Bücher aus dem Angebot zunehmen, die von Sweepings betroffen sein könnten. Die Signale wurden verstanden, man erinnerte sich der Ereignisse im Vorfeld, bei denen die Täter von kriminellen Handlungen und Gewaltanwendungen nicht strafrechtlich belangt wurden. Nicht lange nach dem Aufruf der AAK wurde die Polizei in Yogyakarta aktiv: um Sicherheit und Ruhe zu gewährleisten, forderte sie Buchhändler dazu auf, einschlägige Titel aus dem Sortiment zu nehmen und half auch schon mal selbst beim Ausräumen der Regale.

Am 8. 5. 2001 hat sich eine Allianz für Meinungs- und Gedankenfreiheit (AKBB) gegründet, um etwas gegen solche Sweepings zu tun. AKBB besteht aus einer Reihe von NGOs, Studenten, Journalisten, Autoren, Herausgebern, Verlegern, Buchhändlern, Kritikern, Übersetzern und anderen kreativen Köpfen. Mit Hilfe verschiedener Aktionen will AKBB das Recht auf Meinungsfreiheit verteidigen. Nur ein Volk, das frei denken kann, ist ein unabhängiges Volk. Diese Kampagne hat vielen die Augen geöffnet, inklusive religiösen Würdenträgern, Politikern und der Polizei. Der Polizeichef von Jakarta, Sofyan Jacoeb, bezeichnete die Sweepings als illegale Handlungen und fügte hinzu, dass alle Täter festgenommen würden, sollten diese Aktionen fortgesetzt werden. Die AAK, die sich damit in die illegale Ecke abgedrängt fühlte, versprach letztendlich keine weiteren Sweepings mehr durchzuführen. Nur Bücher, die sie käuflich erwerben, würden sie zerstören.

Erst seit dem Rücktritt von Suharto genießen IndonesierInnen das Recht auf  Meinungsfreiheit. Die Auswahl an Publikationen und die Möglichkeiten, sein Wissen zu erweitern, sind noch begrenzt, obwohl es Zugang zum Internet gibt. Wenn man Wissensquellen verschließt, so wie dies während der Neuen Ordnung unter Suharto der Fall war, hält man die Menschen in Dummheit.
Weder das Denken noch die Ideen lassen sich durch Verbrennen ausmerzen. Aber in einem Land, in dem das Recht nur sehr schwach und die Bildung teuer ist, nehmen Mythen und Symbole einen wichtigen Stellenwert ein. Bücherverbrennungen und Bücher-Sweepings sind eine Provokation, die uns auffordert Position zu beziehen. <>

Übersetzt aus dem Indonesischen von Antje Mißbach  
 

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