Keine Lösung für Ost-Timor Flüchtlinge in Sicht
Von Jasmin Freischlad und Monika Schlicher
Vor diesem Hintergrund war das Ergebnis der von indonesischen Behörden durchgeführten Abstimmung kaum eine große Überraschung. Nur ein winziger Anteil der Flüchtlinge äußerte im Rahmen der Registrierung den Wunsch, nach Ost-Timor zurückzukehren. Nach offiziellen Angaben haben sich lediglich 1.241 von insgesamt 113.791 abstimmungsberechtigten Flüchtlingen (bei nur wenigen Enthaltungen) für eine Rückkehr nach Ost-Timor entschieden. Diese Zahlen erscheinen schon alleine deshalb unplausibel, weil sich nach Angaben der Behörden aus der Zahl der Abstimmensberechtigten auf eine Gesamtzahl von 295,751 Flüchtlingen schließen lässt. Diese Zahl übersteigt nicht nur die von den UN zum entsprechenden Zeitpunkt geschätzten 50.000 bis 80.000 Flüchtlinge um ein Vielfaches, sondern übertrifft sogar die höchste je veranschlagte Anzahl von Flüchtlingen direkt nach dem Referendum von 1999. Fraglich ist, warum die UN einer Registrierung überhaupt zustimmen konnten, in einem Territorium, das sie noch immer der Sicherheitsstufe V (i.e. maximale Unsicherheit) zuordneten und wo demnach auch die Sicherheit der Flüchtlinge nicht garantiert werden konnte. Am 6. September 2000, waren drei internationale Mitarbeiter des UN-Flüchtlingswerks in Atambua von Anhängern pro-indonesischer Milizen massakriert worden. Als Reaktion auf diese abscheuliche Tat zog die UN umgehend ihre Mitarbeiter aus West-Timor ab, internationale Hilfsorganisationen folgten diesem Schritt. Sie haben erst Anfang August 2001 die sukzessive Rückkehr wieder aufgenommen, da die UN die Sicherheitslage noch immer als nicht ausreichend eingestuft hatte. Die in einer Resolution des UN-Sicherheitsrates geforderte Entwaffnung und Auflösung der Milizen ist bis heute nicht in ernsthaftem Umfang erfolgt. Trotz vielfachen Bekundungen des guten Willens seitens der indonesischen Regierung, agieren die Milizen weiterhin ungehindert - nach dem Abzug der Hilfsorganisationen auch weitgehend unbeeinträchtigt von internationalen Beobachtern.
Die internationale Gemeinschaft betrachtete das Abstimmungsergebnis mit großer Skepsis. „Dadurch, dass die Flüchtlinge die letzten 20 Monate in zwanghaften Verhältnissen verbracht haben“, so Sérgio de Mello, Chef der UN Übergangsregierung in Ost-Timor (UNTAET), „wird die UNTAET die von den Flüchtlingen getroffenen Entscheidungen nicht unbedingt als ihre wahren und definitiven Wünsche anerkennen“ /Sydney Morning Herald, 12. Juni 2001/. Noch deutlicher äußerte sich José Ramos-Horta, Friedensnobelpreisträger und Außenminister der Übergangsregierung: „[die Registrierung] ist eine absolute Farce [...]. Ich bin nicht überrascht, dass die Ergebnisse zeigen, dass sich die Mehrheit für Indonesien entschieden hat. Die Anwesenheit der Milizen und der indonesischen Armee verbreitet große Furcht unter [den Flüchtlingen].“ /AP, 8. Juni 2001/
Die Registrierung selbst verlief geordneter als teilweise erwartet, und auch die große Wahlbeteiligung war überraschend. Die Möglichkeit einer Wahlmanipulation wird seitens der indonesischen Regierung abgestritten, aber auch der Bericht der 12 internationalen Wahlbeobachter deutet kaum darauf hin, dass es auf formeller Ebene Anzeichen für einen unfairen oder manipulativen Registrierungsprozess gegeben habe. Amin Rianom, indonesischer Vorsitzender des Organisationskomitees für die Abstimmung, behauptet, er sehe keinen Grund das Ergebnis zu verwerfen. Man habe alles versucht um die Gefahr durch Einschüchterungsversuche zu minimieren, die Registrierung sei transparent verlaufen /AP, 8. Juni 2001/. Auch die Wahlzettel seien klar und eindeutig gewesen - der geographische Umriss Ost-Timors als Symbol für alle diejenigen, die für eine Rückkehr nach Hause plädierten, das Nationalsymbol Indonesiens, der Garuda, für eine pro-indonesische Entscheidung. Tatsächlich konnten die internationalen Wahlbeobachter über keine Anzeichen gewalttätiger Einschüchterungsversuche berichten, aber wahrscheinlich war dies angesichts der gegebenen Umstände in den Camps auch gar nicht mehr notwendig. Zudem konnten die Wahlbeobachter nur einen Bruchteil der 507 Wahlstationen im Auge zu behalten. „Beschuldigt nicht uns, wenn sie [die Wahlbeobachter] nicht kommen, obwohl wir sie eingeladen haben [...]“, so Amin Rianom /Reuters, 8. Juni/.
Wie nun ist dieses Abstimmungser-gebnis
zu erklären? Neben der Ein-schüchterung durch die Milizen spielen
noch einige weitere Faktoren in die Entscheidungsfin-dung der Flüchtlinge
mit ein. Ins-besondere scheinen die pro-indonesi-schen Milizen ge-zielt
mit Fehl-informationen gear-beitet zu haben. So wurde beispielsweise einigen
ehemaligen Militärangehörigen damit Angst gemacht, die Gefängnisse
in Ost-Timor seien voll von zurückgekehrten ehemaligen Militärs
und die Registrierung sei dazu da, Ost-Timoresen (die ja eigentlich in
Indonesien bleiben wollen) aus Indonesien zu verdrängen. Einige
der befragten Flüchtlinge äußerten, dass der Zeitpunkt
der Registrierung keineswegs ideal war. Viele waren der Ansicht, träfe
ihre Wahl auf Ost-Timor, müssten sie sofort zurückkehren, ohne
vorher die Ergebnisse der Wahl im August abwarten zu können, ohne
ihre Kinder die Schule beenden lassen zu können und ohne eine Klärung
ihrer Pensionsansprüche erreicht zu haben /East Timor Observatory,
2.07.2001, Refugee Registration/. Für einige mag auch die ungelöste
Frage ihres Landbesitzes eine Rolle gespielt haben. Nach indonesischem
Recht dürfen Ausländer - mithin auch Ost-Timoresen - in Indonesien
kein Land besitzen. Gleichzeitig machten sich viele Flüchtlinge große
Hoffnungen bezüglich der von der indonesischen Regierung zugesagten
Hilfsleistungen, sollten sie sich für Indonesien entscheiden. Auch
die Furcht vor einer Wiederholung der gewaltsamen Ausbrüche nach dem
Unabhängigkeitsvotum im August 1999, könnte Grund genug für
die deutliche pro-indonesische Entscheidung gewesen sein. Winston Rondo,
Vorsitzender des Zentrums für Binnenflüchtlingshilfe in Indonesien
und seit über zwei Jahren in den Flüchtlingslagern tätig,
war der Meinung, das Wahlergebnis würde die in zwei Jahren gesammelten
Erfahrungen in den Camps zunichte machen /AFP, 12. Juni 2001/. Wenn die
Flüchtlinge tatsächlich frei entscheiden könnten, würden
fast alle für eine Rückkehr nach Hause stimmen, so Rondo. UN-Angestellte
hatten zuvor geschätzt, dass wahrscheinlich nicht mehr als 10 % der
Flüchtlinge in Indonesien verweilen wollten. Laut Rondo wurden die
Flüchtlinge von den Milizen unter Druck gesetzt, mit Lebensmitteln
und Geld bestochen /AFP, 12. Juni 2001/. Auch Gruppen von Nicht-Flüchtlingen
wurden augenscheinlich dazu gedrängt, an der Registrierung teilzunehmen
und für Indonesien zu stimmen. Dies würde die große Differenz
der von Indonesien bzw. den UN genannten Flüchtlingszahlen zumindest
teilweise erklären /AP, 8. Juni 2001/.
Der Sydney Morning Herald
resümiert recht düster: Es sehe so aus, als betrachte Jakartas
Machtelite das Ost-Timor-Problem als irritierende Begleiterscheinung. Entgegen
aller Beteuerungen aus Jakarta war es der Regierung nicht möglich,
die Milizen in den Flüchtlingslagern in West-Timor aufzulösen.
Vielmehr scheint den Milizen eine Unterstützung durch das indonesische
Militär und die Bürokratie sicher. Aber das Problem wird nicht
einfach vorüberziehen. Die Anwesenheit der Milizen in den Camps, die
Unwilligkeit Indonesiens mehr als nur andeutungsweise den Versuch zu unternehmen,
Verantwortliche für die Menschenrechtsverbrechen vor Gericht zu bringen
- all dies wird weiterhin Indonesiens Beziehungen zu ausländischen
Regierungen und internationalen Finanzinstitutionen beschädigen /SMH,
12. Juni 2001/. Mit Unverständnis und Entsetzen waren auch die äußerst
milden Urteile gegen sechs an der Ermordung der UN-Mitarbeiter in Atambua
beteiligte aufgenommen worden. Ein Gericht in Jakarta hatte im Mai letzten
Jahres Haftstrafen von 20 Monaten und weniger gegen sie verhängt /Reuters,
3.8.01/. Erst kürzlich revidierte der Oberste Gerichthof das Urteil,
nachdem die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hatte. Im Januar wurden
die Haftstrafen für drei der sechs Angeklagten auf fünf bis sieben
Jahre erhöht. Ein Revisionsverfahren gegen die anderen drei Angeklagten
ist noch in Schwebe /Jakarta Post, 19.1.02/.
Eine Lösung des Flüchtlingsproblems in West-Timor ist nicht in Sicht. Die Flüchtlingsregistrierung hat keine Klarheit darüber geschaffen, wie viele Flüchtlinge tatsächlich noch in West-Timor verweilen, und den wenigen, die für eine Rückkehr nach Ost-Timor gestimmt haben, konnte diese noch nicht einmal ermöglicht werden. Nur wenige Tausend Ost-Timoresen sind in den mehr als sechs Monaten seit der Registrierung zurückgeführt worden, darunter nur wenige, die formell für eine Rückkehr gestimmt hatten. Die UN fürchtet nun um die Sicherheit der Flüchtlinge, die noch immer in den Camps verweilen und dort dem Terror und der Kontrolle durch die Milizen hilflos ausgesetzt sind. Gleichwohl sah das UNHCR davon ab, die prinzipielle Wiederaufnahme der Arbeit in West-Timor im August letzten Jahres mit der Wiedereröffnung seines dortigen Büros zu verbinden. Angeblich war dafür nicht in erster Linie die nach wie vor mangelnde Sicherheit ausschlaggebend, sondern es sollte auch der Eindruck vermieden werden, dass man sich auf unbegrenzte Zeit um die Flüchtlinge kümmern werde. Stattdessen sollten mehr Anstrengungen zur Rückführung der Flüchtlinge nach Ost-Timor unternommen werden. Die indonesische Regierung ist mit der Vielzahl an Flüchtlingen überfordert und hat bislang weder Lösungen für deren dauerhafte Integration in Indonesien noch für eine Rückführung gefunden. Etwas hilflos forderte der indonesische Sicherheitsminister Agum Gumelar bei einem Besuch der Lager die Flüchtlinge, wie auch die Milizen, dazu auf, nach Hause zurückzukehren.
Im Oktober kündigte die indonesische Regierung an, sie werde ab dem 1. Januar 2002 nicht mehr für die Versorgung der Flüchtlinge aufkommen, da die Kosten nicht länger tragbar seien. Offiziellen Angaben zufolge stellte die Regierung in den Lagern täglich 1.500 Rp. (ca. 16 €-Cent) und 400 Gramm Reis pro Person zur Verfügung /Jakarta Post, 8.10.01/. Zum Jahreswechsel wurden Sicherheitskräfte in Stellung gebracht, um eventuelle Unruhen in den Lagern unter Kontrolle zu bringen. Von der zunächst angedrohten Räumung der Flüchtlingslager wurde bislang allerdings abgesehen. Aufgrund „humanitärer Erwägungen“ wurde die Frist bis zum 20. Juni 2002 verlängert, um zunächst die Präsidentschaftswahlen und die Entlassung Ost-Timors in die Unabhängigkeit abzuwarten /Jakarta Post, 16.2.02/.
Von einer Lösung des Problems sind diese Maßnahmen weit entfernt. Zehntausende von Flüchtlingen sind nun weitgehend auf sich selbst gestellt und sind gezwungen sich durch improvisierte Landwirtschaft und Kleinhandel über Wasser zu halten. Die sozialen Spannungen mit der ansässigen Bevölkerung drohen zu explodieren.<>
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