Deutschland hat sich zum drittgrößten Waffenexporteur
der Welt gemausert - ein Geschäft von jährlich zwei Milliarden
Mark. Doch der Verkauf von Panzern und Kanonen ist ein Handel von gestern.
Zwanzigmal so viel, runde 40 Milliarden, werden beim Export von Werkzeugmaschinen,
Pressen, Elektronik umgesetzt. Viele Käufer bauen damit Gewehrläufe,
einige auch Anlagen für Kernbrennstoffe.
Den Regimen, die die Technologien auf Schleichwegen beschaffen, ist dieser seit etwa fünf Jahren sichtbare Trend im internationalen Waffengeschäft lieber. „Hilfe zur Selbsthilfe“ erspart ihnen nicht nur wertvolle Devisen, sondern macht sie unabhängiger gegenüber UNO-Embargos. „Diese Staaten“, weiß ein Bonner Experte, „wollen ihre Grundausstattung nicht mehr einkaufen, sondern selbst produzieren.“ Irak hat dies in jüngster Vergangenheit vorgemacht.
Ein bißchen bang guckt deshalb das Auswärtige Amt in diesen Tagen über den Atlantik: Die UNO in New York will wieder eine Liste der Firmen an den Rhein schicken, die bei der Aufrüstung von Saddams Streitmacht kräftig mitgemischt haben - Ausbeute der UNO-Inspektoren, die seit dem Golfkrieg die geheimen Lager des Regimes aufsuchen. Die Erfahrung zeigt, daß mittlerweile ein hochprozentiger deutscher Anteil am Handel mit dem Tod Normalfall ist. Experten schätzen, daß 80 Prozent der Giftgasproduktion und des Atomwaffenprogramms und 25 Prozent der Produktion von Scud-Trägerraketen im Irak auf das Konto bundesrepublikanischer Zulieferungen geht.
Schalter aus dem Allgäu für Scud-Geschosse
Der konkrete Verdacht der Fahnder: Beschleunigungsschalter für Scud-Geschosse stammen aus dem Allgäu, Chemiewaffen-Komponenten aus Hessen, Westfalen lieferte dem Diktator von Bagdad Atomtechnik. Ehrbare Mittelständler verschafften sich ein beruhigendes Auftragspolster, produzierten auf Saddams Order Drucktest-Maschinen und Sterilisationsöfen, die nur einen Sinn haben: die Bearbeitung von Artilleriegranaten.
Der Sumpf ist tief. Mitte Dezember informierte die Wiener Internationale Atomenergiebehörde Bonn über die Beteiligung von mindestens acht deutschen Unternehmen an der irakischen Aufrüstung. In zwei weiteren Fallen laufen Verfahren. Im Prozeß gegen die „H & H Metallform“ aus Drensteinfurt kam es dabei zu einer aufschlußreichen und unter Kennern der Materie alarmierenden Aussage. Sie hätten, behaupten Beschuldigte, sogar eine staatliche Stelle von ihren illegalen Lieferungen an den Irak informiert - den Bundesnachrichtendienst.
Ob Ex-NVA-Schnellboote legal nach Argentinien geliefert werden oder Teile für Chemieanlagen illegal an den Irak gehen - die Grundsatzdiskussion über die Weitergabe deutscher Rüstungstechnologie nach der Vereinigung muß im Bundestag erst noch geführt werden. Nächste Woche will die Bundesregierung auf eine große Anfrage der SPD-Fraktion antworten. Der Tenor der Antwort ist vorab bekannt: Illegale Ausfuhren sollen schärfer denn je unterbunden werden, schaden sie doch auch dem deutschen Ansehen. Legale Waffenexporte dienen der offiziellen Außen- und Sicherheitspolitik, der Stabilisierung von Regionen.
Kohls Geschenkpaket für Indonesien
Das wird von Bonn so täglich praktiziert. Wenn der Bundeskanzler in Kürze nach Asien reist, bringt er den indonesischen Gastgebern ein umfangreiches Geschenkpaket mit: 30 Fregatten, Minenräumer und Küstenschiffe und drei U-Boote der früheren DDR-Volksmarine. In der Generaldebatte wollen die Sozialdemokraten der Regierungspolitik einen „friedenspolitischen Ansatz“ entgegenstellen. „Da treffen“, sagt Eckhardt Fischer, Waffenexport-Experte der Opposition, „zwei grundsätzlich verschiedene Philosophien aufeinander.“
Die „Lagerräumung“, das teilweise kostenlose Abgeben der Ausstattung der NVA an Drittstaaten, hat Deutschland über Nacht in die Spitzengruppe der Waffenexporteure der Welt katapultiert. Dort nimmt es, errechnete das Sipri-Institut, jetzt Platz drei ein.
Ungeachtet dessen gilt die Bonner Rüstungsexport-Praxis im internationalen Vergleich immer noch als zurückhaltend. Das gerade erst personell aufgestockte Bundesamt in Eschborn kontrolliert Rüstungsausfuhren und die Ausfuhr der „dual use“-Güter wie Werkzeugmaschinen, die neuerdings so begehrt sind. Die dabei zugrundeliegenden Warnpapiere wie die Länderliste H, die „verbotene Staaten“ enthält, gibt es jenseits der Grenzen kaum. Firmen, die von der möglichen zivilen und militärischen Nutzungsmöglichkeit ihrer Produkte wissen, müssen sich über den Genehmigungsantrag in Eschborn Sicherheit verschaffen, daß die Lieferungen nicht in falsche Hände geraten. Ob dieses Kontrollsystem auch in Zukunft noch wirken kann, ist jedoch mehr als fraglich.
Konzerne profitieren von offenen Grenzen
Seit dem l. Januar gibt es in Europa offene Grenzen. Ein deutscher Konzern,
der in ein „verbotenes“ Land liefern will, kann dies künftig - völlig
ohne Meldung - beispielsweise vom Boden anderer EG-Staaten aus tun. Aus
der blanken Theorie ist längst Praxis geworden. Kurz nach Inkrafttreten
des Binnenmarktes Anfang Januar schickte die süddeutsche MTU Panzermotoren
via Frankreich nach Südafrika - ein eigentlich verbotenes Geschäft.
Die Regierung in Bonn steht dem hilflos gegenüber. In der Antwort
auf die SPD-Anfrage räumt sie ein, daß bisher alle Bemühungen
gescheitert sind, diese Lücken durch einheitliches europäisches
Recht zu stopfen.
Berliner Zeitung, 04.02.1993
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