aus taz vom 09.06.1992
Berlin (taz) - In Indonesien, dem größten Staat der
südostasiatischen Gemeinschaft Asean, ist der Ausgang der heutigen
Parlamentswahlen, für die drei Parteien kandidieren dürfen, von
vornherein klar. Nach dem 9. Juni wird die regierende Golkar-Gruppierung
wieder oben stehen, und der 71jährige Präsident wird weiter
die Politik des bevölkerungsreichen Inselstaates bestimmen.
Dennoch ist die Position der vielleicht dienstältesten Militärdiktatur
der Welt nicht so unangefochten, wie es der Öffentlichkeit gern
vorgegaukelt wird.
Damit die "Oppositionsparteien" im auf 25 Tage beschränkten Wahlkampf
nicht allzu laut werden, hat die nationale Wahlkommission besonders
strenge Bestimmungen erlassen. Danach sind nicht nur die Autokorsos,
sondern auch Poster mit den Konterfeis von politischen Führern
verboten. Erlaubt ist Wahlkampf im staatlichen Rundfunk und Fernsehen,
wobei jeder Bericht von der Wahlkampfkommission zugelassen werden
muß. Doch damit konnte nicht verhindert werden, daß es
am letzten Wahlkampftag Anfang Juni verschiedentlich zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen zwischen oppositionellen Demonstranten und Anhängern
des Regierungsblocks Golkar kam.
Aus Protest darüber, ihre Sympathie für die oppositionelle
Demokratische Partei Indonesiens (PDI) nicht wie gewohnt zum Ausdruck
bringen zu dürfen, trugen Jugendliche und Studenten Ende Mai
1992 auf einer Demonstration in Yogjakarta die Demokratie in einem
Sarg zu Grabe. Weißes Tuch ist das Kennzeichen dieser Bewegung,
die aus Mangel an echten politischen Alternativen zum herrschenden
Parteiensystem ihren eigenen Weg "wählt": Golput - die "Weiße
Gruppe", die "Partei der Nichtwähler".
Kampagne zum Wahlboykott
Noch 1987 herrschte in Indonesien Wahlpflicht. Wer sein Stimmrecht nicht
ausübte, konnte ins Gefängnis wandern. Heute macht Golput eine
Kampagne für den Wahlboykott. Der Wahlprotest kommt vor allem
von Jugendlichen, von Intellektuellen und aus städtischen Gebieten.
Am 2. Mai veröffentlichte ein "Forum für Volkssouveränität"
eine Erklärung, in der sich auch renommierte Persönlichkeiten,
darunter ehemalige Minister, zum Urnenboykott bekannten. Wahlprognostiker
errechneten im letzten Jahr zweistellige Prozentzahlen für die
"Weißen" im Großraum der Hauptstadt Jakarta.
Wen gibt es zu wählen für die 400 Abgeordnetensitze im Inselstaat,
denen sich noch 100 ernannte Militärs zur Komplettierung des
Parlaments hinzugesellen werden? "Golongan Karya" oder Golkar, das
Sprachrohr der Regierung, konnte 1987 knapp 73 Prozent der WählerInnenstimmen
verbuchen. Golkar ist weniger eine Partei als vielmehr ein Zusammenschluß
funktionaler Gruppen wie Gewerkschaften, Berufs- und Frauenverbände.
Das "Feigenblatt der Demokratie", so sehen es die Kritiker, halten
aufrecht: die islamische "Vereinigte Entwicklunspartei" PPP, die
1987 16 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, und die erwähnte
PDI (1987 rund elf Prozent). Beide Parteien glänzen zwischen
den Wahlen durch internes Organisationschaos und desolaten Führungsstil.
Während Golkar überall präsent ist, ist es PPP und
PDI nicht erlaubt, in Kleinstädten und auf dem Land Parteiorganisationen
zu gründen. So operieren sie an der Leine der Regierung.
Der Präsident wird erst im nächsten Jahr von der Volksversammlung
gewählt. Lange Zeit ließ General Suharto die Öffentlichkeit
darüber spekulieren, ob er ein weiteres Mal für das höchste
Amt zur Verfügung stehen wolle. Auf alle Fälle haben ihn
Golkar und PPP als ihren Kandidaten vorgeschlagen. Bei der PDI ist
Innenminister Rudini, der von der Wochenzeitschrift 'Editor` jüngst
zum "Mann des Jahres" gekürt wurde, im Gespräch. Auch der Name
von General Try Sudtrisno wird gehandelt, doch ein wirklicher Kronprinz
scheint nicht in Sicht.
Wer nach dem charismatischen Staatsgründer Sukarno und ihm selbst
der dritte Präsident der Republik wird, jedenfalls in den Augen
Suhartos, unterschiedlichsten Ansprüchen genügen müssen.
Es gilt, das Familienimperium Suhartos zu sichern, die in den letzten
Jahren mehr auf Distanz gehenden Militärs zu befriedigen und
auch den Vorstellungen der Golkar-Bürokratie zu entsprechen.
Im Gerangel um die Nachfolge kommt deshalb der ebenfalls 1993 stattfindenden
Wahl des Vizepräsidenten eine besondere Schlüsselstellung zu.
1988 machte Golkar mit ihrem Parteichef Sudharmano das Rennen. Neben den
genannten möglichen Nachfolgern Sutrisno und Rudini wird noch ein
weiterer Name gehandelt: Arismoendar Wismojo, der als Chef der strategischen
armeereserve Kostrad zumindest Teilen des Militärs zusagen könnte
und als Schwager des Präsidenten auch in Dynastie-Angelegenheiten
zupaß käme.
Korruption und Filz gefährden Suharto
Trotz immer lauter werdender Kritik am wirtschaftlichen Filz des
Suharto-Clans mag das Familienbusineß zwar die Wahlen nicht entscheidend
beeinflussen, könnte aber das internationale Image ankratzen. So geschehen
bereits vor sechs Jahren, als ein australischer Journalist der Weltöffentlichkeit
in einem Artikel "Nach Marcos nun die Suharto-Milliarden" berichtete,
daß Indonesien für seine Herrscher der gleiche Selbstbedienungsladen
ist, wie es die Marcos-Philippinen waren. Um ein gutes internationales
Image ist Suharto jedoch ständig bemüht.
So präsentiert sich der Inselstaat nach außen mit seinem
gewandten und auf internationalem Parkett erfahrenen Außenminister
Ali Alatas an der Spitze als Friedensstifter. Der im letzten Oktober
geschlossene Friedensvertrag zu Kambodscha ist nicht zuletzt tatkräftiger
indonesischer Unterstützung zu verdanken. Derzeit steht Indonesien
auch an der Spitze der Blockfreien und wird im Herbst, wenn die Blockfreien-Konferenz
in Jakarta stattfinden wird, sicherlich auf seine traditionell verbriefte
Führungsrolle in dieser Bewegung pochen.
Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung
Die vielen Blutspritzer, die die weiße indonesische Weste bekleckern,
werden selten von der Außenwelt wahrgenommen. So blieben die
Hunderte, ja vielleicht Tausende von Toten, die in den vergangenen
Jahren in Nord-Sumatra den Auseinandersetzungen zwischen Militär
und der Bewegung "Freies Aceh" zum Opfer fielen, von der Weltöffentlichkeit
unbeachtet.
Mehr Aufmerksamkeit erregte das Massaker von Dili/Ost-Timor im November
1991. Dutzende von Menschen wurden kaltblütig ermordet, Hunderte
verletzt, nachdem die Armee das Feuer auf einen Trauerzug auf einem
Friedhof eröffnet hatte. Unter internationalem Druck setzte
Suharto daraufhin eine Untersuchungskommission ein, die das Verhalten
der Armee in nie dagewesenem Maße kritisierte, und entließ
mehrere hohe Offiziere.
Um sich und sein Land wieder ins rechte Licht zu rücken und der
Welt Indonesiens nationale Souveränität zu demonstrieren,
mogelte sich Suharto von der internationalen Anklagebank weg, indem
er in die Offensive ging. Im März erhielt die niederländische
Regierung einen Brief aus Jakarta, in dem sie aufgefordert wurde,
ihre staatliche Entwicklungshilfe sofort einzustellen und ihren Vorsitz
im internationalen Geldgeber-Konsortium IGGI (Inter Governmental
Group on Indonesia) niederzulegen. Begründung: die Indonesische
Regierung wehre sich entschieden dagegen, daß die ehemalige Kolonialmacht
ihre finanzielle Unterstützung an politische Bedingungen knüpfe.
Auf das "Windmühlenland", wie die ehemalige Kolonialmacht in Indonesien
genannt wird, enfallen aber keine 2 Prozent der 4,7 Milliarden Dollar,
die IGGI 1991/92 Indonesien gewährte. Die Japaner waren hingegen
mit knapp 28 Prozent und die Weltbank mit 34 Prozent dabei. Letztere
hat bereits eine neue Geldgebergruppe gebildet - ohne die Niederlande.
Wirtschaftlichen Schaden wird also weniger die indonesische Regierung
nehmen als zahlreiche nichtstaatliche Organisationen (NGOs). Denn
auch die zum Teil staatlichen Gelder privater niederländischer
Sponsoren-Organisationen wie Novib oder Hivos dürfen nicht mehr
nach Indonesien fließen. Beispielsweise erhält die bekannte
Rechtshilfeorganisation LBH, die in zahlreichen Landkonflikten zugunsten
der Betroffenen von sich reden machte, achtzig Prozent ihrer Gelder
aus Holland. Mit dem Entzug der finanziellen Grundlage will die Regierung
gerade solche Gruppen mundtot machen, die zu sehr von "westlichen Werten"
bezüglich Demokratie und Menschenrechte beeinflußt werden.
Der Schlag gegen die Niederlande und damit auch gegen die dünne
Szene der engagierten Gruppen war der letzte einer langen Reihe vor
den Wahlen - klug unter dem Deckmantel nationaler Gefühle getarnt.
Bleibt zu hoffen, daß die "weißen" Nichtwähler eine
Stimme finden, mit der sie sprechen können.
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