von Jasmin Freischlad
Der Konflikt in Aceh eskaliert weiter, die Fronten scheinen verhärteter denn je. Tagtäglich fordert der Konflikt neue Opfer auf beiden Seiten, mehrheitlich sind jedoch Zivilisten zu beklagen. Möglichkeiten und Chancen auf eine friedliche Lösung des Konfliktes scheinen in den letzten Monaten mehr und mehr zu schwinden. Denn die politischen Maßnahmen seitens der indonesischen Regierung erlangen kein Gewicht, solange militärische Offensiven nicht beendet werden und solange man den Bürgern von Aceh keine Sicherheit garantieren kann.
Seit dem Sturz Suhartos versucht die indonesische Regierung, ihre militärischen Aktionen in Aceh mit politischen und ökonomischen Zugeständnissen auszubalancieren - um auf diese Weise die Loyalität der Acehnesen zurückzugewinnen. Doch abgesehen davon, dass in der Realität die militärischen Aktionen überwiegen, und auch die Implementierung des Speziellen Autonomiestatus für Aceh - dessen Inhalt nicht einmal klar ist - nur sehr langsam voranschreitet, sind allein schon die Rahmenbedingungen, die eine friedliche Annäherung ermöglichen sollen, zweifelhaft.
Auf den ersten Blick schien im Jahr 2000 in dieser Hinsicht ein Durchbruch zu gelingen. Erstmalig - mit Hilfe des Schweizer Henry Dunant Centre (HDC) als neutralem Vermittler - zogen die indonesische Regierung, die Streitkräfte (TNI) und die Unabhängigkeitskämpfer (GAM) überhaupt einen Dialog in Erwägung. Der in Genf verhandelte vorübergehende Waffenstillstand, die sogenannte "humanitäre Pause", unterzeichnet am 12. Mai 2000, barg große Hoffnungen. Hoffnungen, die Otto Syamsuddin, Mitglied der acehnesischen NGO Cordova und teilnehmender Experte für Menschenrechte an den Verhandlungen in Genf, rückblickend als überzogen und unrealistisch bewertet. In der jüngsten Ausgabe des Magazins Inside Indonesia analysiert Otto Syamsuddin den Friedensprozess und zeigt vor allen Dingen die Gefahren auf, die ein solcher Prozess in sich birgt, der nicht ausreichend durch politische Maßnahmen abgesichert ist.
Das im Mai 2000 getroffene Abkommen versuchte die humanitäre Situation zu berücksichtigen und den weiteren Verhandlungen ein sicheres Umfeld zugrunde zu legen. Beide Konfliktparteien wurden dazu aufgefordert, der Gewalt zumindest zeitweise Einhalt zu gebieten: "In order to create a conducive sense of security, the agreement stipulated that all troop movements whether GAM or Indonesian should be reported [...]." Dieses zu überwachen war die Aufgabe des Sicherheitskomitees in Banda Aceh, dem Syamsuddin als Vertreter der Zivilgesellschaft zugeteilt war.
Leider kam es nie zu einer Verwirklichung der Abmachungen. Wie sich herausstellen sollte stand der damalige Präsident Indonesiens, Wahid, mit seinem Anliegen allein auf weiter Flur: "In Jakarta, President Wahid was under attack. Parliamentray speaker Akbar Tanjung of Golkar blamed Wahid for initiating the Aceh dialogue without consulting parliament." Die TNI stellte klar, dass sie die GAM nicht als gleichberechtigten Verhandlungspartner akzeptieren würde und ignorierte schlichtweg die Forderung nach einer Meldung von Truppenbewegungen. Nachdem der Vertrag dennoch unterschrieben wurde, stellte sich wiederum die GAM bei einer Abfassung formaler Prozeduren quer.
Zwischen den Fronten befinden sich nun die Vertreter der Zivilgesellschaft, die den Friedensprozess unterstützen wollten. Das HDC sollte bei der Rückkehr nach Aceh für die Sicherheit von Syamsuddin und die anderen Teilnehmer garantieren. Dennoch verkündete der Vertreter der Polizei Ridwan Karim - ebenfalls Mitglied des Sicherheitskomitees - öffentlich, Syamsuddin sei pro-GAM. Das HDC erhob daraufhin keinen Protest. Und dennoch wurde Tengku Al Kamal, weiteres Mitglied des Sicherheitskomitees, am 30. März 2001 von indonesischer Seite ermordet. "Its big weakness was that HDC was unable to guarantee the security of its partners in the peace process", so Syamsuddin. Das HDC hat auch aus dem Tod von Al Kamal keine Konsequenzen gezogen.
Genau deshalb ist es notwendig, den Friedensprozess durch politische Maßnahmen auf internationaler Ebene so abzusichern, dass einerseits das Leben der Teilnehmer nicht in Gefahr ist, und dass andererseits Druck auf diejenigen Parteien ausgeübt werden kann, die sich den Abmachungen des Vertrags widersetzen.
Eben diese Schlagkraft fehlte dem HDC, und sein verfrühter Rückzug aus den Verhandlungen war dem Prozess auch nicht gerade förderlich: "The HDC negotiations of early 2000 did offer a new alternative for the conflict, but after it was signed HDC was no longer the engine for transformation. Instead, the initiative passed to GAM and the Republic of Indonesia". Die Initiative die diese beiden Parteien ergriffen, sah allerdings anders aus als man sich erhofft hatte. Die GAM nutzte die Zeit, um neue Kämpfer zu rekrutieren, während die indonesischen Streitkräfte immer mehr Truppen entsandten und unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe weitere Einschüchterungskampagnen in den Dörfern lancierten.
Seit der "humanitären Pause" ist der Konflikt in Aceh wieder eskaliert, das Morden geht weiter. Erneute Militäroffensiven im Frühjahr 2001 haben der GAM zwar einigen Schaden zugefügt, doch nach Einschätzung der International Crisis Group (ICG) ist diese noch weit von einer Niederlage entfernt. Bis zu schätzungsweise 1.700 Opfer haben die Auseinandersetzungen im Jahr 2001 gefordert, 400 allein in diesem Jahr. Rund 80 Prozent dieser Opfer sind Zivilisten.
Unter diesen Voraussetzungen ist es auch nicht verwunderlich, wenn alle weiteren Versuche einer politischen Annäherung und Verhandlung auf ähnliche Weise scheitern. Obwohl der Dialog zwischen den beiden Kriegsparteien fortgeführt wird, sieht die Zukunft für eine friedliche Lösung des Konflikts düster aus. Am 22. Januar 2002 wurden der in Aceh sehr beliebte Milizenführer der GAM, Teungku Abdullah Syafi'ie, und seine Frau vom indonesischen Militär ermordet - nur drei Tage nachdem er sich zu Friedensgesprächen mit dem Gouverneur von Aceh getroffen hatte. Im Februar erneuerte die TNI ihre militärische Offensive, nur zwei Tage nach dem man am 2. und 3. Februar 2002 bei Friedensgesprächen in Genf beschlossen hatte, den bewaffneten Konflikt in eine politische Auseinandersetzung umzuwandeln, und zu diesem Zweck auch noch andere acehnesische Gruppen als die GAM an den Diskussionen teilnehmen zu lassen.
Auch wenn die Grenzen zwischen TNI, Polizei und GAM manchmal zu verschwimmen scheinen - zum einen hat das Militär ähnlich wie auf den Molukken ehemalige GAM-Mitglieder als Kollaborateure rekrutiert, zum anderen ist bekannt, dass auch die GAM vor Gewaltakten gegenüber Zivilisten nicht zurückschreckt - gelten bislang TNI und Polizei als Hauptverantwortliche für die in Aceh begangenen Menschenrechtsverbrechen.
Erst kürzlich wurden die indonesische Regierung und die nationale Menschenrechtskommission Komnas HAM von Human Rights Watch (HRW) aufs Schärfste kritisiert. "Die indonesische Regierung im allgemeinen und Komnas HAM im besonderen haben völlig versagt, ernsthafte Menschenrechtsverletzungen in Aceh aufzuklären", so Sidney Jones, bis vor kurzem Asien-Direktorin von HRW. Dies gelte insbesondere für die Aufklärung des Bumi Flora-Massakers im August 2001, bei dem 31 Menschen ums Leben kamen. Die Aufklärungsarbeiten hierzu wurden manipuliert, nachdem laut Zeugenaussagen klar wurde, dass Armee und Polizei den Terrorakt begangen haben.
Angesichts der Tatsache, dass die GAM wahrscheinlich nicht in der Lage sein wird Indonesien aus Aceh zu vertreiben und auch angesichts mangelnder internationaler Unterstützung für eine Unabhängigkeit der Provinz, besteht die einzig realistische Chance auf eine friedliche Lösung des Konflikts in der Implementierung des Autonomiestatus, so die Analyse der ICG. Doch ohne internationalen Druck, bzw. ohne einen offiziellen Garanten für Sicherheit, und ohne eine durchgreifende Reform des indonesischen Militärs und der Bürokratie, wird auch ein solcher Plan scheitern.
Einer formellen internationalen Intervention wird aber die indonesische Regierung nicht zustimmen. Deswegen mag die Initiative der USA, einige "weise Männer" dem HDC zur Seite zu stellen und so auf informeller Ebene internationale Präsenz zu zeigen, ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Der ehemaligen Außenminister von Jugoslawien Budimir Loncar, der als ehemaliger Botschafter in Indonesien auch mit Präsidentin Megawati bekannt ist, der ehemalige Außenminister von Thailand Surin Pitsuran, ein Moslem, und der amerikanische Nahost-Gesandte Athony Zinni sollen jetzt dem Friedensprozess in Aceh mehr Glaubwürdigkeit verschaffen. Bei den letzten Verhandlungen in Genf am 9. und 10. Mai nahmen General Zinni, Budimir Loncar, Lt. General Sir Rupert Smith aus Großbritannien und Bengt Sved Soderberg vom schwedischen Außenministerium als Berater teil. Ergebnis der Gespräche war ein gemeinsames Statement der Konfliktparteien, in dem man sich auf den Autonomiestatus als Grundlage für weitere Verhandlungen mit dem Ziel einer demokratischen Lösung in Form von freien Wahlen verständigte. Des Weiteren vereinbarte man zaghafte Schritte in Richtung einer Einstellung der Feindseligkeiten.
Doch selbst wenn es dazu kommen sollte, bleibt noch immer das Problem der Straflosigkeit bestehen. Und wenn, nach den Worten Sydney Jones' "weder die Sicherheitskräfte und die Exekutive, noch die Komnas HAM ernsthaft an der Aufklärung [...] gravierender Verbrechen interessiert sind, sind die Aussichten für ein Ende der Gewalt äußerst schlecht".<>
Quellen: International Crisis Group: "Aceh, a slim Chance for Peace", 27. März 2002 Otto Syamsuddin Ishak: "Between War and Peace", Inside Indonesia No. 70 April-June 2002 The Jakarta Post: "Govt hints at ‚security approach in Aceh", April 9, 2002 Human Rights Watch: "Poor Work From Indonesian Rights Commission on Aceh" 15. März 2002. Australian Broadcasting Corporation: "80 percent of deaths in Aceh are civilians", 5. April 2002
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