Indonesien-Information Nr. 2 2002 (Umwelt)

Der Nationalpark Gunung Leuser

von Sabine Kluge

Im Norden der fünftgrößten Insel der Welt erstreckt sich eines der letzten Paradiese der Erde. Aus mehreren Metern Höhe stürzen wilde Bäche in das immergrüne Dickicht des noch nahezu unberührten Regenwaldes. Die grünen Giganten, die majestätisch auf die bunte Vielfalt herabschauen, könnten die lange Geschichte des "Berges" Leuser erzählen. Erzählungen über die vielen geheimnisvollen Höhlen, die sich in dem vulkanischen Untergrund gebildet haben, über die heißen mineralhaltigen Quellen oder über die Entstehung des Salzsees mit seinen ungewöhnlichen Bewohnern.

Die ungefähr 95.000 Hektar weit reichende Fläche liegt zum größten Teil in der Region Aceh Tenggara auf Sumatra inmitten der tropischen Breiten, nur ein Katzensprung von der Stadt Medan entfernt. Als nach der Eiszeit vor 18.000 Jahren die folgende Trockenperiode dazu führte, dass der einst zusammen hängende Wald Indonesiens auseinander gerissen und in zahllose Inseln durch das Meer getrennt wurde, beginnt auch die Geschichte der einzigartigen Flora und Fauna von Sumatra. Im Angesicht der spektakulären Erdgeschichte wird schlagartig klar, wie viele endemische Arten auch im Nationalpark Gunung Leuser entstanden sind. In den letzten Millionen Jahren haben die Kräfte der Biosphäre hier Hochland- und Tieflandökosysteme gebildet, die in ihrer Diversität einzigartig sind.

Die enorme, oft bizarre Artenfülle Indonesiens übertrifft jede Vorstellungskraft und nimmt eine Spitzenposition in Sachen Vielformigkeit ein. In Zahlen bedeutet dies, dass 11% der Pflanzen, 10% der Säuger, 7% und 16% der Reptilien und Vögel dieser Erde hier zu Hause sind. Und wer kennt die Highlights dieser Kreaturen nicht? Der rostrote, zottelige und dem Menschen allzu ähnliche Orang Utan oder der königliche Sumatra-Tiger sowie das scheue Sumatra-Nashorn sind Schöpfungen einer Evolution, die sich hier wie ein Feuerwerk entfaltet hat.

Aber wie so oft trügt die Idylle auch dieses Mal, denn heute sind Indonesiens Regenwälder bedroht wie in keinem anderen tropischen Gebiet. Pro Minute werden 2,5 Fußballfelder große Areale zerstört. Und das rund um die Uhr. Schon 70% des einstigen Waldgebietes fielen der Brandrodung und dem Holzschlag zum Opfer. Das 1995 von der EU und der indonesischen Regierung ins Leben gerufene Schutzprogramm LDP (Leuser Development Programme), so wie die dazu von selbigen Behörden gespendeten 50,5 Mio. Euro scheinen im Kampf gegen die Palmöl-Margarine, die vor allem den Deutschen auf dem Brot schmeckt, gescheitert zu sein. Rauchschwaden der Brände verdunkeln in der Trockenzeit den Himmel und nehmen jeglichem Lebewesen die Luft zum Atmen. Dass hier kein Halt vor den Grenzen des Nationalparks gemacht wird, stört die zuständigen Behörden des Staates anscheinend wenig. Des öfteren werden die Grenzmarken des Parks nach innen versetzt, damit sich skrupellose Unternehmer profitgierig an dem Gehölz bereichern können. Weite Gebiete klaffen als biologische Monokulturwüsten aus dem einst grünen Meer. Urwaldriesen wie der Neesia-, oder auch der Sandoricum-Baum mussten verschwinden, damit Palmöl-Plantagen und Gummibäume die wirtschaftliche Zukunft der korrupten Polizei und des Militärs sichern. Denn diese beiden Institutionen, die den Wald eigentlich schützen sollten, sind rege in den illegalen Handel mit dem wertvollen Tropenholz involviert. Ein Teufelskreis schließt sich. Wie sollen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn die Schutztruppen im Syndikat kräftig mitmischen?! Militärfahrzeuge transportieren die Baumleichen ab, später erhalten sie "legale" Papiere, mit denen sie nach Übersee verfrachtet werden. Letzten Juli wurde der Befehlshaber des Militärdistriktes Aceh Tenggara, Oberstleutnant Mohamad Sokeh, wegen Verdachts des illegalen Holzeinschlages suspendiert, nachdem das LDP Beweise gesammelt hatte - eine Ausnahme.

Das wirtschaftliche und politische Chaos Indonesiens bietet für dieses Treiben den idealen Nährboden. Die bis zum Hals in Armut steckenden Dörfler der Waldgebiete sind leichte Beute für die Geschäftsleute, die großzügig Arbeitsplätze in der Holzindustrie versprechen. Geschäftsleute, die ohne Konzession Holz einschlagen und dann mit Bussen voller billiger Arbeitskräfte in den Wald fahren, können es sich auch leisten, die Ranger und das Militär zu bestechen, an denen sie vorbei fahren: ein Minimum an Investitionskosten mit einem maximalen Gewinn. Trotz einer offiziellen Stellungnahme der Regierung, und trotz der Tatsache, dass knapp die Hälfte der über 200 Millionen Menschen Indonesiens direkt oder indirekt vom Regenwald abhängig sind, geht die Rodung weiter. Und die vielen Sägewerke um den Leuser-Nationalpark verarbeiten somit beständig illegales Holz. Nur Mahmudi Ismail, der 1999 Forstminister unter Präsident Wahid war, erklärte, er sehe keine Lösung für dieses Problem in Sicht. Die Wirtschaftskrisen der vergangenen Zeit haben den Raubbau gefördert. Letztendlich ist es nun schon soweit gekommen, dass die örtlichen Politiker - Unternehmer sowieso - den Nationalpark samt Pufferzone am liebsten wieder los wären. Ein von der EU mit 50,5 Mio. Euro für den Zeitraum 1995 bis 2002 gefördertes Projekt zur Erhaltung des Parks wurde wegen "Ineffizienz" vorzeitig gestoppt. Ansässige Politiker erhöhen ihren Beliebtheitsgrad, wenn sie ihr Veto gegen neue Hilfsgelder einlegen. Wer den Park schützen will, lebt gefährlich: drei Forscher des Center for International Forestry Research (CIFOR) wurden 1999 im Leuser-Nationalpark getötet, zwei Forschungsstationen nieder gebrannt.

In diesem Netzwerk undurchschaubarer Machenschaften verhallen die Hilfeschreie der malaiischen "Waldmenschen" (Orang Utan; Pongo pygmaeus albelii), die durch die ansässigen Organisationen, wie die Sumatran Orang Utan Society oder das Bohorok-Rehabilitationszentrum übermittelt werden. Einer der nächsten Verwandten des Menschen, der einzige Menschenaffe Indonesiens ist somit dem Untergang geweiht. Zählten Wissenschaftler noch vor drei Jahren 15.000 Exemplare der roten Blätterdachbewohner, so ist ihre Anzahl heute auf 4.000 geschrumpft. Im Leuser-Nationalpark findet sich einer der letzten Lebensräume des Primaten. Aber mit dem Schwinden des Lebensraumes sind auch die Tiere verloren. Und mit ihnen auch viele andere einzigartige Lebewesen. Allein in dem Nationalpark beträgt der Verlust 1.000 Orangs pro Jahr, auf ganz Sumatra ist diese Zahl weitaus höher. In fünf bis zehn Jahren soll der "Waldmensch" ausgestorben sein. Die Wissenschaftler, die im Leuser-Nationalpark mehrere Stationen errichtet haben, wollen sich mit dem beinah besiegelten Schicksal der Affen nicht abfinden. Doch viele von ihnen sind aus Angst aus Aceh geflohen, einige Forschungszentren wurden geschlos-sen. Die Hauptgebiete zur Beobach-tung der Orangs - Suaq und Soraya - werden abgeholzt. Kurnia Rauf, der frühere Kopf des Parks, wurde vor Gericht gebracht.

Der erste National-park Indonesiens und größter Südostasien setzte sich einst zum Ziel, die Natur zu erhalten. Heute droht der Park jedoch zur Touristenattraktion und Geldeinnahmequelle zu verkommen. Viele Sumatra-Reisende haben in ihrem Programm die Fütterung der Urwald-Menschen in Bukit Lawang, eingeplant, das am Rande des zur Provinz Nord-Sumatra gehörenden Teils des Nationalparks liegt. Bukit Lawang liegt nur zwei Autostunden von der Millionenstadt Medan entfernt. Der gewaltsame Konflikt jenseits der nur wenige Kilometer entfernten Grenze zu Aceh scheint hier Lichtjahre weit entfernt zu sein. 1996 pilgerten 40 000 Touristen aus dem Ausland sowie Tausende von Einheimischen in den 300-Seelenort, um die Orang Utans in der vom WWF und der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt gegründeten Bohorok-Station zu besuchen. Auge in Auge kann der Besucher jetzt mit dem gutmütigen roten Zotteltier zu Mittag essen und lustige Urlaubsfotos schießen. Geschäftstüchtige Dschungelführer bieten dieses Erlebnis natürlich auch außerhalb der regulären Besucherzeiten an.

Bukit Lawang hat sich gemausert. Jede zivilisatorische Meisterleistung bietet dem Urlauber das reinste Vergnügen. Bei Bedarf kann nach dem Besuch der Techno-Disko direkt ins Bordell übergewechselt werden. Die zahlreichen Hotels und Restaurants bereichern sich auf Kosten der Umwelt. Probleme wie die Entsorgung von Müll und Abwasser sind weitgehend ungelöst. Zaghafte Versuche, den Trend in Richtung Ökotourismus umzukehren werden seit kurzem vom Umweltzentrum Pusat Pendidikan Lingkungan Hidup (PPLH) unternommen, das selbst einen Hotelbetrieb in Bukit Lawang übernommen hat.

Doch auch das PPLH kann sich der Devise nicht verschließen: ohne Touristen kein Geld und kein öffentliches Interesse für den Nationalpark, keine Rettung für den Menschenaffen. Nachhaltige Nutzung ist in Indonesien bislang leider weitgehend ein Fremdwort geblieben. <>

 
 

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