von Alex Flor
Am Vorabend des ersten Menschenrechtsprozesses, der in Indonesien stattfinden soll, wurde heute das Büro der Menschenrechtsorganisation KONTRAS angegriffen, das vom Träger des alternativen Nobelpreises Munir geleitet wird. Ein Besuch im Büro am frühen Abend zeigte ein Bild der Verwüstung. Kurz nach Mittag hatten sich mehrere Hundert Randalierer in der Umgebung des Büros im Jakartaer Stadtteil Menteng versammelt und drangen gleichzeitig von zwei Seiten auf das Grundstück ein. Mit Steinwürfen, Stöcken und Hämmern zerstörten sie Fenster, Türen, Büromöbel sowie Computer, Drucker, Faxgeräte und Telefone. Die Mitarbeiter von KONTRAS wurden tätlich angegriffen, drei Personen wurden verletzt und befinden sich in ärztlicher Behandlung. Mindestens drei Akten über Menschenrechtsfälle in Papua (Ermordung des Unabhängigkeitsführers Theys Eluay), auf den Molukken und in Poso, Zentralsulawesi wurden entwendet.
Die Aktion war offenbar gut geplant. Bereits gestern hatten sich ca. 30 Leute vor dem Büro versammelt und machten ihren Unmut über die Kampagnen von KONTRAS deutlich. Sie protestierten gegen KONTRAS´ Aktivitäten zur Aufarbeitung der blutigen Studentendemonstrationen im Mai und November 1998 (Trisakti und Semanggi I) sowie im November 1999 (Semanggi II). Mindestens 28 Menschen, größtenteils Studenten, kamen damals ums Leben, als die Sicherheitskräfte das Feuer auf die Menge eröffneten. Bis heute wurde keiner der verantwortlichen Militärs dafür zur Rechenschaft gezogen. Das Militär weigert sich seit Wochen beharrlich, den Vorladungen einer eigens zu diesem Zweck eingerichteten Untersuchungskommission Folge zu leisten. Vor wenigen Tagen hielten Eltern der erschossenen Studenten vor dem Privathaus des ehemaligen Verteidigungsministers und Militäroberbefehlshabers, Wiranto, eine Mahnwache ab. Wiranto ist der prominenteste von 19 verdächtigen Militär- und Polizeiangehörigen, gegen die die Kommission ermittelt. Sein Name sollte auch bei den morgen beginnenden Menschenrechtsprozessen wegen der in Ost-Timor begangenen Verbrechen an der Spitze stehen, aber entgegen den Empfehlungen der Ermittler fehlt sein Name auf der Liste der Angeklagten. KONTRAS kämpft in beiden Fällen dafür, dass die Hinterbliebenen der Opfer Gerechtigkeit erfahren und die verantwortlichen Täter verurteilt werden. Munir, der Vorsitzende der Organisation, verdiente sich wegen seiner konsequenten Haltung und seines Mutes weltweite Beachtung, zugleich ist er einer der am meisten gefährdeten Menschenrechtsanwälte des Landes. Regelmäßig erhält er Drohanrufe, in seinem Haus wurde vor einiger Zeit eine Bombe gefunden und vor seinem Büro explodierte ein Sprengsatz. Der heutige Überfall wird als Reaktion auf die Mahnwache der Eltern der erschossenen Studenten gewertet.
Die Protestierer von gestern zogen nach einem kurzen Gespräch mit Vertretern der Organisation zunächst wieder ab, machten aber deutlich, dass dies nicht ihr letzter Besuch gewesen sei. Heute Mittag kamen sie zusammen mit einigen Hundert anderen in neun gecharterten Bussen, einigen Privatwagen und Motorrädern wieder. Sie führten Transparente und Plakate mit sich, auf denen sie den bekennenden Moslem Munir als "Jude" und "Kommunist" beschimpften, und warfen KONTRAS vor, sich einseitig um die Opfer von Trisakti und Semanggi zu kümmern, nicht aber um diejenigen, die bei Unruhen in Cawang (Ost-Jakarta) 1998 ums Leben kamen. Damals hatten private Milizen (sog. Pamswakarsa) die Stadt unsicher gemacht und zu blutigen Zusammenstößen zwischen den Milizen, der Bevölkerung und der Polizei geführt. Mehrere Milizionäre wurden von den aufgebrachten Massen gelyncht. Wenngleich auch diese Fälle selbstverständlich schwere Verbrechen darstellen, ist es doch bemerkenswert, dass die Protestierer die Rechte von Mitgliedern bzw. Mitläufern krimineller Banden höher schätzen als diejenigen friedlich für politische Reformen demonstrierender Studenten.
Auf einer spontan einberufenen Pressekonferenz heute Abend verurteilten Rechtsanwälte und Kollegen anderer Menschenrechtsorganisationen den heutigen Angriff auf das Schärfste. Hendardi von der Rechtshilfeorganisation PBHI sagte, der Vorfall sei nicht der erste seiner Art. Es sei aber bemerkenswert, dass Polizei und Justiz bislang nichts unternommen hätten, um frühere Fälle, etwa einen ähnlichen Angriff auf das Büro von SOLIDAMOR am 24.5.1999 oder das versuchte Bombenattentat auf Munir, aufzuklären. Auch bei dem heutigen Vorfall schickte die per Notruf verständigte Polizei nur zwei oder drei Leute, die selbstverständlich nicht in der Lage waren, in das Geschehen einzugreifen. Wie es heißt wurden sieben Leute festgenommen, wichtiger sei es jedoch, deren Hintermänner zu ermitteln und gegen sie vorzugehen, meinte Hendardi.
Die Sprecher der versammelten Organisationen waren sich darin einig, dass der Zweck des heutigen Angriffes die Einschüchterung der Menschenrechtsverteidiger sein sollte - insbesondere im Hinblick auf die morgen beginnenden Ost-Timor Prozesse. "Aber diese Tat ist nicht nur dumm, sondern auch vergeblich. Wir alle werden unsere Arbeit fortsetzen," meinte Hendardi.
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