Quelle: taz, 17.02.1993
Bonn (taz) - Wenn Helmut Kohl am Donnerstag zu einer zwölftägigen Asienreise aufbricht, dann ist das nur scheinbar eine Flucht vor der Misere daheim. Tatsächlich hat der Bundeskanzler bei seinen Visiten in Indien, Singapur, Indonesien, Japan und Südkorea vor allem eins im Blick: die Probleme der heimischen Wirtschaft. Der „wichtigste Punkt“ bei den Gesprächen, so heißt es in Bonner Regierungskreisen, seien die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und den boomenden Staaten des fernen Ostens.
In Kohls Gefolge reisen 15 gewichtige Unternehmensführer mit, darunter Manager von BBC, Deutscher Babcock, Commerzbank, Telekom, der Bremer Vulkan-Werft und - zumindest auf einigen Etappen - Siemens-Chef Heinrich von Pierer. Ihnen zuliebe will der Kanzler vor allem in Japan auf eine „größere Marktöffnung drängen“ und gleichzeitig um Investitionen in den neuen Bundesländern werben.
Mit dieser Verkaufstour folgt er dem Beispiel des ehemaligen US- Präsidenten George Bush, dem bei seinem Tokio-Besuch im vergangenen Jahr freilich das Mißgeschick passiert war, im Angesicht seiner japanischen Gastgeber ohnmächtig zusammenzubrechen. Anders als Bush hat der deutsche Regierungschef eine stabile Konstitution, doch die deutsche Wirtschaft - dieses Problem hat die Bundesrepublik mit den USA gemeinsam - wird angesichts der japanischen Konkurrenz immer häufiger von Schwächeanfällen geplagt.
In Bonn verweist man auf das sich ständig vergrößernde Außenhandelsdefizit mit den fünf Staaten, die auf der Kohl-Route liegen. Betrug es 1985 noch 19,8 Milliarden Mark, liegt es inzwischen bei 36,3 Milliarden. Japan allein erwirtschaftete im Handel mit der Bundesrepublik zuletzt einen Überschuß von 25 Milliarden. Ähnlich wie den Amerikanern drängt sich den Deutschen der Verdacht auf, „daß es uns schwer gemacht wird, unsere Waren abzusetzen“. Diese oft versteckten Handelshemmnisse will Kohl jedenfalls, so sagen es seine Helfer, „sehr offen ansprechen“.
Gedeihlicher entwickeln sich die Geschäfte mit Indonesien, dem der Bundessicherheitsrat - wie berichtet - den Erwerb dreier deutscher U-Boote und von 39 Kriegsschiffen der Nationalen Volksarmee gestattete. Behauptungen, dies sei Kohls Gastgeschenk für den indonesischen Staatschef Suharto, weist das Kanzleramt allerdings zurück.
Die Indonesier seien über diese - in Bonn bis vor kurzem geheim gehaltene - Liefergenehmigung bereits informiert. Die Menschenrechtsverletzungen im indonesisch besetzten Ost-Timor werde Kohl bei seinem Besuch nicht ausblenden, wird beteuert. „Unter vier Augen“ werde er dies in Djakarta sicherlich ansprechen.
Freilich ist die Region für die Bundesregierung zu bedeutsam, um diese Sorte Probleme über Gebühr zu betonen. Nachdem man sich in den zurückliegenden Jahren stark mit der Wiedervereinigung, mit Osteuropa und der europäischen Einigung beschäftigt habe, müsse man nun „deutlich machen, welche Rolle Asien in der deutschen Außenpolitik spielt“, heißt es. Da gibt es offensichtlich Nachholbedarf.
Die jetzt beginnende „Tour d' Asie“ war ursprünglich bereits fest für den letzten Herbst gebucht, wurde von Kohl dann aber wieder abgesagt, weil ihn die Querelen um Maastricht und der EG-Sondergipfel in Birmingham an Europa fesselte.
Kohls letzter Besuch in Tokio liegt bereits neun Jahre zurück. Südkorea wird sogar das erste Mal einen deutschen Regierungschef empfangen. Das Parlament in Seoul hat den deutschen Kanzler zu einem Vortrag eingeladen, bei dem Kohl vor allem über die Wiedervereinigung sprechen soll - handelt es sich doch um ein Problem, das sich die Südkoreaner mit ihrem noch kommunistischen Norden ebenfalls gerne aufladen würden.
In Indien, so wird in Bonn berichtet, werde dem Bundeskanzler für
seine Verdienste um die deutsche Einheit sogar der Nehru-Preis verliehen
- eine Ehrung, die vor ihm nur solch erwiesenermaßen guten Menschen
wie André Malraux, Martin Luther King und Mutter Teresa zuteil wurde.
Hans-Martin Tillack <>
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