Die Festnahme von Xanana Gusmao am 20. November letzten Jahres folgte einer Verhaftungswelle in Ost-Timor, die durch die Angst der indonesischen Militärs vor erneuten Zwischenfällen im Zusammenhang mit dem Jahrestag des Dili-Massakers am 12.11. begründet war. Inzwischen liegen Berichte, unter anderem von der Kirche, vor, die eindeutig beweisen, daß Gefangene gefoltert wurden. Henrique Belmiro Guterres beispielsweise wurden alle Fingernägel gezogen und seine Arme wurden mehrmals gebrochen. Möglicherweise gelang es dem Militär auf solche Art und Weise, Auskunft über den Aufenthalt Xanana Gusmaos zu erhalten.
Auch auf Xanana selbst wird ganz offensichtlich starker Druck ausgeübt, sei es durch Folterungen seiner selbst oder durch Folter (oder deren Androhung) seiner ebenfalls gefangenen Verwandten und Bekannten. Bereits kurz nach seiner Festnahme verblüffte Xanana Gusmao durch einen im indonesischen Fernsehen inszenierten Auftritt, während dem er die Herrschaft Indonesiens über Ost-Timor anerkannte und die FALINTIL zur Niederlegung der Waffen aufforderte. Bischof Belo kommentierte: „Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber wenn in den letzten 17 Jahren ein Gefangener in der Art redete, in der Xanana dies tat, so geschah dies in Folge von Folter.“ /Publico, Portugal, 4.12.92/
Auch einem portugiesischen Fernsehteam wurde ein Interview mit Xanana gestattet. Das Interview fand in Anwesenheit von 30 Sicherheitsoffizieren sowie 5 „Interpreters“ und Zensoren statt. 11 Stunden nach dem Termin gaben sie das ursprünglich 20-minütige Video frei - mit einer gekürzten Länge von noch 12 Minuten. Interviewer Joao Gabriel sagte später, Xanana habe extrem ruhig gewirkt. Im zensierten Teil des Gesprächs habe er gesagt: „Ich antworte auf eine Art und Weise, wie ich es nicht täte, wenn ich frei wäre... Ich bin außerhalb der Realität.“ /Publico, Portugal, 14.12.92 u. 29.12.92/
In ähnlicher Art wie bei seinem Auftritt im indonesischen Fernsehen sorgt Xanana für immer neue Überraschungen. Das bekannte Rechtshilfeinstitut LBH, das zu seiner Verteidigung bereit war, erhielt ein Schreiben von Xanana, in dem er die Verteidigung durch LBH ohne weitere Begründung ablehnte. Gleich zu Beginn des inzwischen laufenden Prozesses erstaunte Xanana die Öffentlichkeit erneut: Während der Befragung zu seiner Person gab er als Staatsangehörigkeit „indonesisch“ an.
Für allgemeine Verwunderung sorgte aber auch die Anklage. Aus Rücksicht auf das große Interesse mit dem das Ausland den Prozeß beobachtet, sollte offenbar von vornherein signalisiert werden, daß Xanana Gusmao nicht die Todesstrafe zu erwarten hat. Er ist daher „nur“ wegen Rebellion, Gefährdung der nationalen Stabilität, illegalem Waffenbesitz und Organisation einer Demonstration angeklagt - alles Delikte, die nach dem Strafrecht zu ahnden sind. Die zu vermeidende Todesstrafe würde dagegen bei einer Anklage nach dem Anti-Subversions-Gesetz drohen, das auf die inzwischen verurteilten Demonstrationsführer von Dili angewandt wurde.
Der ehemalige Oberbefehlshaber des Militärs und neue Vize-Präsident, Try Sutrisno, erklärt den Widerspruch zwischen den Anklagepunkten gegen Xanana und den anderen Prozessen in nicht zu überbietender Absurdität: „Subversion ist, wenn es eine Untergrundbewegung gibt, die unsichtbar ist und dann plötzlich ans Tageslicht kommt... Ein Beispiel sind die Jugendlichen (die in Jakarta und Ost-Timor demonstrierten), denen der Prozeß gemacht wurde. Warum sollten Leute, die nur demonstrieren, der Subversion angeklagt werden? Deshalb, weil sie über einen vorgefaßten Plan verfügten und weil ihr Netzwerk im Untergrund war. Die Demonstration war der einzige sichtbare Teil. Wenn jemand offen Rebellion betreibt, dann ist es nicht nötig, das Subversion zu nennen. Das Strafgesetz ist angebracht.“
So unglaublich diese Rechtsauffassung Sutrisnos erscheinen mag und so durchsichtig auch seine Motive sind, so hat die Erklärung doch einen wahren Kern. Denn der gefährlichste Gegner für Indonesiens Besatzer-Regime sind längst nicht mehr die Guerilla der FALINTIL, sondern immer mehr die zivile Bevölkerung - die unzufriedene Jugend, die chancenlosen Kleinunternehmer, die verbitterten Angehörigen von Gewaltopfern und viele andere. Sie kämpfen nicht mit Waffen, sondern üben zivilen Ungehorsam, demonstrieren und suchen die Solidarität des Auslands. Das „Untergrund-Netzwerk“, von dem Sutrisno spricht, ist nicht mehr als der vereinte Unmut der Ost-Timoresen. Es ist dieser Unmut, der Beamte der indonesisch kontrollierten Verwaltung, Pfarrer und Schulkinder zu gefährlichen Gegnern werden läßt.
Auch international bläßt den Indonesiern der Wind wieder schärfer ins Gesicht. Die Clinton-Administration sorgte für eine veränderte Haltung der USA zum Ost-Timor- Konflikt. In einer ungewöhnlich scharf formulierten UN-Resolution, die Anfang März mit 22:12 Stimmen bei 15 Enthaltungen angenommen wurde, wird Indonesien wegen der Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor verurteilt.
In ihrer Verzweiflung greifen die indonesischen Machthaber nach den unglaublichsten Gegenmaßnahmen. Durch inszenierte Massenveranstaltungen versuchen sie, die Ost-Timoresen und das Ausland - vor allem aber wohl sich selbst - von der Treue der timoresischen Jugend zu Indonesien zu überzeugen. Dabei werden alte ost-timoresische Friedensrituale mißbraucht, bei denen alle Anwesenden Blutsbrüderschaft schließen. Dazu wird allen zuvor Blut mit einer Spritze entnommen und in eine Art Wein-Bowle gespritzt, von der anschließend alle drinken. (Und wenn's nicht hilft, sterben sie vielleicht an AIDS und das Problem der Indonesier wäre auch gelöst; d. säzzer) Bei verschiedenen Zeremonien mußten auch mehrere hundert Teilnehmer die rot-weiße Staatsflagge Indonesiens küssen.
Eine andere Form der Demütigung haben die Indonesier offenbar dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien entnommen: In Viqueque wurden Anfang Februar zwei Frauen öffentlich vergewaltigt. Die Guerilla beantworteten dies mit einem Anschlag auf eine Militäreinheit, bei der 42 Soldaten getötet worden sein sollen. Bei einem weiteren Anschlag auf 2 Militär- Trucks starben unbestätigten Berichten zufolge 60 Soldaten.
Es ist erstaunlich, woher die Guerilla über die dafür verantwortlichen
Kämpfer verfügt. Schließlich hatte der Kommandeur der Truppen
in Ost-Timor, Theo Syafei, bereits Mitte Dezember verkündet, nach
Xananas Festnahme und seinem Aufruf, die Waffen niederzulegen, hätten
1.147 Widerstandskämpfer aufgegeben - nachdem Indonesien zuvor jahrelang
behauptet hatte, es gebe nur noch ca. 200 versprengte „Banditen“. <>
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