Nach einem angeblichen Linksputsch wurde 1965 die damals drei Millionen
Mitglieder zählende Kommunistische Partei Indonesiens (PKl) in einem
beispiellosen Terrorfeldzug zerschlagen. Amnesty international (ai) zufolge
sitzen noch immer etwa 25 ihrer Führer in Haft. Vor dem 30. Jahrestag
jenes Putsches hat ai eine Kampagne gestartet, die sowohl an diese vergessenen
Gefangenen als auch an die vielen anderen Opfer des Suharto-Regimes erinnern
soll - rechtzeitig auch vor dem bevorstehenden Gipfel der 17 Staaten der
Asiatisch-Pazifischen Ökonomischen Kooperation (APEC) im indonesischen
Bogor.
„Das Trauma von 1965 sitzt tief“, äußerte Rachland Nashidik, einer der Führer der seit 1989 entstandenen neuen Demokratiebewegung Indonesiens vor wenigen Tagen in Berlin. Ungeachtet der Morde an 500 000 bis einer Million Kommunisten und der damit erfolgten physischen Liquidierung der Partei sei es dem Militär gelungen, einen „Mythos der Gefährlichkeit der PKI“ zu schaffen. Immer noch gelten die 1963 eingeführten Anti-Subversions-Gesetze, nach denen seit 1965 Hunderttausende als PKI-verdächtig über Jahrzehnte auf KZ-Inseln interniert wurden. Immer noch tragen die von dort Entlassenen, wie der berühmteste Schriftsteller des Landes, Pramoedya Ananta Toer, den Sondervermerk „ET“ - Ex-Tapol, ehemaliger, politischer Häftling - im Ausweis.
Damit ist es ihnen verboten. in .meinungsbildenden. Berufen tätig zu sein, ins Ausland zu reisen oder für das Parlament zu kandidieren. Das gilt häufig auch für Familienangehörige, von denen es viele deshalb nicht wagen, die Inhaftierten zu besuchen. Auch die indonesischen Menschenrechtsaktivisten scheuten lange davor zurück, berichtete Nashidik.
Dies hat sich inzwischen großenteils geändert. Vor allem Studenten nahmen die 1989 vom Regime verkündete „Politik der Öffnung“ beim Wort. Nichtregierungsorganisationen schossen wie Pilze aus dem Boden, obwohl es eigentlich keinerlei gesetzliche Grundlage für sie gibt. Sie organisieren und unterstützen auch Proteste der Landbevölkerung und der Arbeiter.
Zu diesen Gruppen gehört auch Nashidiks „Yayasan Pijar“, 1989 als Bildungszentrum für Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit geschaffen. Ihr sowie dem Rechtshilfeinstitut YLBHI gelang es, die KP-Führer im Cipinang-Gefängnis von Jakarta zu sehen und deren Isolation zu durchbrechen. Inzwischen entstand auch eine Menschenrechtsgruppe namens „Tapol“. Folgerichtig landeten ihre führenden Köpfe ebenfalls auf der schwarzen Ausreiseverbots-Liste der Regierung. Wie Umweltschützer oder unabhängige Gewerkschafter werden sie alle von der herrschenden Militärbürokratie oft als „Kommunisten der vierten Generation“ diffamiert.
So warf Streitkräftesprecher Oberstleutnant Mantiri unlängst der 1991 gegründeten unabhängigen Indonesischen Gewerkschaft für den Wohlstand der Arbeiter (SBSI) vor, sie wende PKI-ähnliche Taktiken an. Dabei, so erklärte SBSI-Aktivist Arist Merdeka im Mai in Berlin, wolle sie lediglich dafür sorgen, daß das bereits existierende Arbeitsrecht auch durchgesetzt werde. Der Vorwurf der Militärs, so Nashidik, greift immer weniger.
Von dieser veränderten Atmosphäre ermutigt, gründeten am 2. Mai etwa 100 Delegierte, vor allem Studentenvertreter, in Djakarta die Organisation Vereinigtes Demokratisches Volk (PRD). Vorsitzender ist der Philosophiestudent Sugeng Bahagijo. Am Gründungskongreß nahmen unter anderem SBSI-Chef Muchtar Pakpahan, YLBHI-Vorsitzender Adnan Buyung Nasution und der Schriftsteller Toer teil, der den Mut der jungen Generation ob ihrer Verpflichtung zum unbewaffneten Kampf pries.
Die Vernetzung der demokratischen Gruppen ist das ausdrückliche Ziel der Organisation PRD, die nur in einer flächendeckenden Bewegung eine gesellschaftliche Kraft sieht, die grundlegende Veränderungen im autoritären System bewirken kann, so die Berliner Zeitschrift „Watch Indonesia!“ in einem dem ND vorab zur Verfügung gestellten Beitrag. Mit dieser „Embryo-Partei“ (Rachland Nashidik), zu der vor wenigen Wochen noch die Allianz für Volksdemokratie (ALDERA) stieß, hat die Demokratiebewegung in Indonesien eine neue Stufe erreicht. Ihr Spielraum hat jedoch enge Grenzen. Staatschef Suharto höchstpersönlich verkündete Ende letzter Woche, neben der regierenden Pseudo-Partei GOLKAR und ihren Paladinen PPP und PDl würden keine weiteren Parteien zugelassen.
„Es gibt keine wirkliche Demokratie in Indonesien“, charakterisiert Rachland Nashidik denn auch die Situation. Unter den politischen Gefangenen gebe es jetzt eine neue Gruppe: die Aktivisten der Demokratiebewegung. Dazu gehören Yayasan-Pijar-Vorsitzender Nuku Sulaiman, der fünf Jahre Haft wegen „Beleidigung des Präsidenten“ zu verbüßen hat, und Amosi Telaumbanua, SBSI-Chef im westindonesischen Medan, wo im Frühjahr zahlreiche Streiks und Demonstrationen stattfanden.
Noch härter ist das staatliche Vorgehen gegen die zum Teil bewaffneten Unabhängigkeitsbewegungen in Osttimor, Westpapua und Aceh (Nordsumatera). Die Aufstandsbekämpfung folgt einem einheitlichen Muster, stellt ai in einem jüngst erschienenen Buch zur Kampagne fest. Außergerichtliche Hinrichtungen seien ein „wesentlicher Bestandteil der Strategie der indonesischen Regierung“, heißt es weiter, „politische Stabilität und 'Ordnung' aufrecht zu erhalten“. Dazu kämen das Verschwindenlassen von Gefangenen, exzessive Gewalt - sprich Todesschüsse - gegen Menschenansammlungen, mysteriöse Morde durch Todesschwadronen oder staatsnahe paramilitärische Jugendorganisationen. Dabei „handelten die ,Angehörige der Sicherheitskräfte in dem Gefühl, Menschenrechtsverletzungen begehen zu können“, ohne dafür belangt zu werden.
Neues Deutschland, 29./30.10.94
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