Bereits in der letzten
Ausgabe meldeten wir die Verurteilung dreier für das Blutbad in Dili
verantwortlicher Militärs. Inzwischen liegen uns nähere Einzelheiten
über den Prozeßverlauf vor. Sie zeigen erneut die Grausamkeit,
mit der in Dili vorgegangen wurde, und lassen Organisation und Disziplin
des indonesischen Militärs in einem zweifelhaften Licht erscheinen.
Vor allem aber machen sie deutlich, daß über die politische
Verantwortung des Massakers bislang nicht verhandelt wurde.
10 Tage lang wurde vor Militär- bzw. Polizeigerichten in Bali gegen 9 Soldaten und einen Polizisten verhandelt, die sich wegen ihrer Mitbeteiligung am Blutbad von Dili am 12. November 1991 zu verantworten hatten.
Die Prozesse in Bali waren der Schlußpunkt einer Reihe von halbherzigen Maßnahmen gegen Verantwortliche des Blutbades. Vorausgegangen war der Bericht einer nationalen Untersuchungskommission (KPN), der in erster Linie deutlich machte, daß eine seriöse Untersuchung der Vorfälle nicht von einer nationalen Kommission geleistet werden konnte, schon gar nicht, wenn sich Kommissionsmitglieder und Zeugen unter dem Druck des zu untersuchenden Militärs befinden. Nur eine unabhängige internationale Kommission, deren Arbeit nicht durch das Militär behindert wird, hätte hier vielleicht Zusammenhänge und Verantwortlichkeiten aufdecken können, die nun für immer im Dunkeln bleiben werden. Es folgte die Entlassung zweier verantwortlicher Kommandeure sowie die Degradierung bzw. Entlassung von 6 Offizieren durch ein militärisches Ehrengericht. Drei der Offiziere wurden „ehrenhaft entlassen“, zwei weitere wurden auf Schreibtisch-Jobs innerhalb der Armee versetzt. Der sechste wurde nur vorübergehend aus dem Dienst entlassen; nach Informationen des EDITOR soll er die Zeit dazu nutzen, an der Harvard University Wirtschaft zu studieren.
Die zehn Anfang Juni in Bali verhandelten Strafverfahren lassen sich in drei Gruppen einteilen: - fünf Soldaten, die angeblich auf eigene Faust ihre Kaserne verließen und das Feuer auf Demonstranten eröffneten, - drei Offiziere, die ihre Kommandos nicht davon abhalten konnten zu schießen sowie - ein Leutnant und ein Polizist, die bereits verwundete Demonstranten tätlich angegriffen haben.
Die fünf Soldaten der ersten Gruppe hatten Befehl, nicht vor Ende der Demonstration das KODIM (Komando Distrik Militer) zu verlassen. Als zwei durch Stiche verwundete Soldaten, Mayor Gerhan Lantara und der ost-timoresische Soldat Private Domingus, mit Stichwunden ins KODIM gebracht wurden, habe es sie nicht mehr halten können. Sergeant Udin Syukur nahm sich ein Gewehr und verließ das KODIM. Bei seiner Rückkehr fehlten zwei Schuß Munition, die er auf Demonstranten abgegeben haben will, die ihn mit einem Messer angriffen. Sergeant Aloysius Rani nahm sich ebenfalls eine Waffe und ließ sich per Taxi zum Friedhof von Santa Cruz bringen. Dort schoß er blindwütig auf einen Demonstranten, der eine Flagge der Befreiungsbewegung FRETILIN trug. Zwei ost-timoresische Soldaten, Privates Mateus Maya und Afonso de Jesus, hatten die Aufgabe, den verwundeten Mayor Gerhan ins Krankenhaus zu fahren. Auf dem Weg dorthin sollen sie Schüsse auf Demonstranten abgegeben haben. Die Angeklagten wurden wegen Ungehorsams zu Strafen zwischen 8 und 18 Monaten verurteilt.
Die zweite Gruppe besteht aus den Leutnants Sugiman Mursanib, John Harlan Aritonang und Handrianus Eddy Sunaryo. Mursanib, der die Nacht zuvor durchgemacht hatte und gerade wieder in der Kaserne erschienen war, erhielt den Oberbefehl über drei Einheiten mit insgesamt 72 Männern, um die Demonstration zu verfolgen und zu zerstreuen. Zwei der Einheiten bestanden aus Armeeangehörigen, sie wurden befehligt von Aritonang und Sunaryo. Die dritte Einheit wurde von Brimob (Bereitschaftsbrigade der Polizei) unter Befehl von Rudolf A. Rodjo gestellt. Mursanib, der keine Zeit mehr fand, seine Uniform anzuziehen, führte seine Leute zum Friedhof von Santa Cruz und gab Leutnant Aritonang Befehl vorzurücken. Sunaryo mißverstand den Befehl und ließ auch seine Einheit vorrücken. Aritonang beschwört, seine Leute ermahnt zu haben, nicht zu schießen. Sechs seiner Leute und fünf von Sunaryo eröffneten dennoch das Feuer als sie von anderer Stelle bereits Schüsse hörten. Sie gaben insgesamt 93 Schüsse ab. Die Offiziere der Armee hatten die Verantwortung für die mangelnde Disziplin ihrer Einheiten zu übernehmen. Sie wurden zu Haftstrafen von 12 bzw. 14 Monaten verurteilt. Offen bleibt die Frage, von wo aus die ersten Schüsse fielen. Augenzeugenberichten zufolge waren es die Polizisten der Brimob, die systematisch das Feuer eröffneten. Diese Frage war allerdings weder bei den Prozessen von Bali Gegenstand der Verhandlung, noch wurde sie bislang anderweitig verfolgt. Der Kommandeur der Brimob, Rodjo, wurde nicht angeklagt. Kann daraus geschlossen werden, daß er für seine Einheit einen Schießbefehl hatte, im Rahmen der militärischen Logik also „richtig“ gehandelt hatte?
Zur letzten Gruppe von Verurteilten gehören Leutnant Yohanes Alexander Penpada und Polizei-Korporal Marthin Alau. Penpada hatte Befehl, Meldung über den Stand des Geschehens zu machen, als er von der Verwundung Gerhan Lantaras hörte. Befehlswidrig machte er sich auf den Weg nach Hause, um seine Pistole zu holen. Anschließend kehrte er zum Friedhof von Santa Cruz zurück. Er wurde zu 8 Monaten Haft verurteilt, weil er einem verletzt am Boden liegenden Demonstranten ins Gesicht getreten hatte. Er streitet allerdings ab, auch von der Waffe Gebrauch gemacht zu haben. Marthin Alau schnitt einem Verletzten ein Ohr ab. Augenzeugen berichten, daß Alau darüberhinaus vorsätzlich zwei Demonstranten umgebracht hat. Diese Morde kamen während der Gerichtsverhandlung nicht zur Sprache. Alau verteidigte sein Vorgehen damit, daß ein Teil seiner Familie von der FRETILIN getötet worden sei. Alau wurde zu 17 Monaten Haft verurteilt. Penpada und Alau waren die einzigen, die sich wegen Angriffen auf Demonstranten nach Einstellung des Feuers zu verantworten hatten. Selbst der Untersuchungsbericht der KPN beweist, daß damit nur ein verschwindender Teil der verübten Greueltaten geahndet wurde: Dem Bericht zufolge zeigten von 91 Verwundeten, die ins Krankenhaus eingeliefert wurden, 49 Verletzungen durch spitze und stumpfe Gegenstände, die mit der Schießerei nichts zu tun hatten.
Die im Laufe der Prozesse aufgeklärten Hintergründe machen deutlich, daß die zehn Verurteilten und die zuvor vom „Ehrengericht“ suspendierten bzw. degradierten Militärs nur die Spitze des Eisbergs derer ausmachen, die sich durch das Massaker schuldig gemacht haben. Es stellt sich daher die Frage, nach welchen Kriterien ausgerechnet ihnen der Prozeß gemacht wurde. Es wird spekuliert, daß die Namen der Verurteilten bereits im (unveröffentlichten) Bericht der KPN erschienen. Man muß davon ausgehen, daß viele Zeugen durch das Militär unter Druck gesetzt wurden, keine Namen zu nennen, und daß es dem Militär selbst gelang, vieles zu vertuschen. So ist zum Beispiel offenkundig, daß sowohl vom Friedhof als auch aus dem Leichenhaus des Hospitals Leichen von Demonstranten verschwanden, deren Verbleib bis heute nicht geklärt werden konnte. Umgekehrt kann gemutmaßt werden, daß die Beschuldigten - entweder zu offensichtlich in die Sache verwickelt waren, wie z.B. Mursanib, der auf Videoaufnahmen des Massakers eindeutig identifiziert werden konnte, bzw. - im Falle der ost-timoresischen Soldaten, als Verräter von der Bevölkerung denunziert wurden, oder - absichtlich von den Militärs genannt wurden, da sie aus anderen Gründen demontiert werden sollten.
Die letzte These wird gestützt durch eine Theorie der Zeitschrift INDONESIA, die von der Cornell University herausgegeben wird. Demnach existiert in Ost- Timor eine besonders starke Mafia von Militärangehörigen, die sich durch Geschäfte, Spekulation und Erpressung einen lukrativen Nebenerwerb aufgebaut hat. Sie arbeiten zusammen mit lokalen Anhängern der APODETI (Pro-Integrations-Bewegung in Ost-Timor). Wichtige Schlüsselfigur dieser Mafia ist Leutnant Coronel Prabowo, ein Schwiegersohn Präsident Suhartos. Zu den erklärten Gegnern dieser Mafia gehören Brigadegeneral Rudolf Warouw und Gouverneur Mario Carrascalao. Warouw war angetreten, um der Korruption des Militärs in Ost-Timor das Handwerk zu legen. Er ist einer der wegen seiner Verantwortung für das Massaker inzwischen vom Dienst suspendierten Offiziere. Geplant oder nicht, die Mafia freut sich über diese Suspendierung.
Die Prozesse gegen die Schlächter von Dili sind gelaufen, weitere können nicht erwartet werden. Die Verurteilten sind mehr als glimpflich davongekommen. Ganz anders gingen die Verfahren gegen Ost-Timoresen aus, die wegen der Demonstrationen in Dili und Jakarta vor Gericht gestellt wurden. Es wurden mehrjährige Haftstrafen bis hin zu lebenslänglich verhängt.
Literatur:
ASIA WATCH, vol. 4 no.16.
- East Timor, the Courts-Martial.
TAPOL, no.112/1992 - The
military trials and the truth behind the Dili massacre
INDONESIA, no. 53, April
1992, pp 6-9 - Current Data on the Indonesian Military Elite
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