Die Generäle feiern ihre Souveränität
antimilitarismus information, 10/95, Oktober 1995
Indonesien: 50 Jahre nach der Unabhängigkeit:
von Rolf Weiß
„Wer ungezogen ist, muß erschossen werden.“ (Try Sutrisno, heutiger Vizepräsident Indonesiens nach dem Massaker von Dili, bei dem 1991 mindestens 270 friedliche DemonstrantInnen starben).
Am 17. August dieses Jahres feierte Indonesien den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. 1945 rief Sukarno die Republik aus, die den Menschen nach jahrhundertelanger Kolonialherrschaft der Holländer eine bessere, gerechtere Zukunft bringen sollte. Erst nach einem vierjährigen Unabhängigkeitskrieg erkannte die niederländische Regierung am 27. Dezember 1949 die Souveränität Indonesiens an. Heute, 50 Jahre später unter dem Regime der „Neuen Ordnung“ des Präsidenten Suharto, haben sich für viele Menschen die Lebensverhältnisse nur unwesentlich oder gar nicht gebessert. Was folgt auf die Ära Suharto?
Indonesiens Volk sei nur als Gast im eigenen Land geduldet, meinte der indonesische Menschenrechtler Indro Tjahjono letztes Jahr während eines Besuchs in Berlin. Das Wohl und Wehe der Menschen liege in den Händen eines fast allmächtigen Militärapparates. Die Generäle garantieren scheinbare wirtschaftliche und politische Stabilität, doch der Preis dafür ist die blutige Unterdrückung der Bevölkerung.
Das Militär herrsche mit uneingeschränkter Macht, legitimiert durch die Doktrin „Dwifungsi“ (Doppelfunktion), die ihm neben Aufgaben der Landesverteidigung auch eine gesellschaftliche Rolle zur Wahrung der „inneren Stabilität“ zugesteht. 90% der vorhandenen Waffen werden gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt, sagte Indro Tjahjono in einem Interview mit der Gruppe „Watch Indonesia!“.
Ist Indonesien also eine Militärdiktatur? Verantwortliche Politiker des Landes weisen diesen Vorwurf mit Entschiedenheit zurück. Nur die Unkenntnis der wahren Philosophie, die der „Pancasila-Demokratie“ zugrunde liegt, kann ihrer Meinung nach zu einem solchen Fehlurteil führen. „Pancasila“, das sind die fünf tragenden Säulen der Indonesischen Republik, der Glaube an einen Gott, Humanität, nationale Einheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Suhartos „Neue Ordnung“ hat seine eigene Auslegung dieser fünf Prinzipien, die seit Gründung der Republik gelten. Wie die „Pancasila“ zu deuten ist, so daß daraus die heutige politische und gesellschaftliche Realität Indonesiens ableitbar werden, gehört ab dem Grundschulalter zum festen Repertoire der Indoktrination. Abweichende Auslegungen sind nicht erlaubt.
Dwifungsi – Das Militär darf Alles
„Dwifungsi“, die Doppelfunktion des Militärs, für äußere Sicherheit und innere Stabilität zuständig zu sein, ist unlösbarer Bestandteil dieses „östlichen Demokratieprinzips“. Während das Volk die Freiheit hat, alle fünf Jahre seine Stimme für die Regierungspartei GOLKAR oder für die zwei einzig zugelassenen Blockflötenparteien PPP (Vereinigte Aufbaupartei, entstanden aus der von Suharto erzwungenen, Vereinigung verschiedener islamischer Parteien) und PDI (Demokratische Partei, Zwangszusammenschluß christlich- und nationalorientierter Parteien) abzugeben, besetzen die so gewählten Abgeordneten nur 400 der 500 Sitze im Parlament. 100 Sitze sind dem Militär vorbehalten. Dessen Mandatsträger werden vom Präsidenten handverlesen. Eine ernsthafte Kontrolle der Regierung durch das Parlament ist damit unmöglich. Daran ändert auch eine jüngst beschlossene Parlamentsreform nichts, die die Zahl der Militärs auf „nur noch“ 75 beschränkt. Wie die Arbeit des Parlaments funktioniert, verdeutlichte vor einigen Monaten das Beispiel zweier Abgeordneter, die sich getraut hatten, in Ausschüssen kritische Fragen zu stellen. Auf Druck der Regierung entzogen ihnen ihre Parteivorstände das Mandat als Parlamentarier.
„Dwifungsi“ bedeutet auch, daß das Militär in allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen präsent ist. Ob Dorfbürgermeister oder Provinzgouverneur, Richter oder Staatsanwalt, in allen staatlichen Ämtern oder Gremien hat das Militär mitzureden, falls der entsprechende Posten nicht durch einen Angehörigen des Militärs besetzt ist. Auch die Polizei und die wichtigsten Geheimdienste, BIA, BAKORSTANAS und BAKIN, unterstehen direkt oder indirekt dem Militär. Die Polizei wird neben Heer, Marine und Luftwaffe in Indonesien als vierte Teilstreitkraft geführt.
Obwohl dem Militär von Anbeginn der Republik eine wichtige Rolle im Staat zukam, wurden die Grundlagen für die heutige Machtfülle 1965 gelegt. Am 30. September 1995 jährt sich zum 30. Mal der angebliche Putsch der Kommunistischen Partei PKI gegen den ersten Präsidenten, Sukarno, den General Suharto zum Anlaß für die eigene Machtergreifung nahm. In den folgenden Monaten fand eine Jagd auf Kommunisten, Sympathisanten und alle, die dafür gehalten wurden, statt. Etwa eine Million Menschen starben, viele andere landeten im Gefängnis. Mehrere Dutzend Häftlinge – einige von ihnen schwerkrank – sitzen bis heute in Haft, teilweise in Todeszellen.
Neue Ordnung: Zivile Politiker contra Militär
Zug um Zug wurden nach Suhartos Machtergreifung die politischen Rechte beschnitten. Die ehemals starke kommunistische Partei wurde verboten, andere Parteien wurden gezwungen, sich zu den heutigen „Blockparteien“ zusammenzuschließen. Das seither existierende System der „Neuen Ordnung“ setzt auf einen starken Präsidenten, dem das Militär in allen Fragen loyal zur Seite steht. Suharto weiß, daß seine Macht vom Militär abhängig ist. Deshalb besetzte er während der gesamten Zeit der „Neuen Ordnung“ Positionen wie die der Heereskommandanten und der Kommandanten der Elitekorps sorgfältig mit Leuten seines Vertrauens. Seit der Zeit, als Benny Moerdani, nach wie vor die graue Eminenz innerhalb der Streitkräfte, Oberbefehlshaber des Militärs war (1983-1988), ist eine Karriere im Militär von den Kommandanten der Eliteeinheiten und den Adjutanten der Präsidialgarde abhängig. Absolute Loyalität zu Suharto ist Vorbedingung. Hohe Militärs, die eine solche Karriere hinter sich haben, wie beispielsweise Vizepräsident General Try Sutrisno, zeigen jedoch im Zweifelsfall größere Loyalität gegenüber der Truppe als gegenüber dem Präsidenten. Das Militär könnte jederzeit alle zivilen Institutionen überwältigen, einschließlich der Regierungspartei GOLKAR und deren Ältestenrat, dem Präsident Suharto angehört.
So verdankt Präsident Suharto die Unangefochtenheit, mit der er seit nunmehr 30 Jahren das Land regiert, auch seinem politischen Gespür, eine Machtbalance zwischen Militär und Zivilisten herzustellen. Vor allem Suhartos Ziehkind, Technologieminister B.J. Habibie, der eine beispiellose zivile Karriere als Luft- und Raumfahrttechniker in Deutschland absolvierte, dient als Gewährsperson, um die Macht des Militärs in Grenzen zu halten.
Habibie, der auch als möglicher Nachfolger des Präsidenten gehandelt wird, gründete mit der islamischen Intellektuellenvereinigung ICMI eine eigene Hausmacht. ICMI vereinigt Politiker, Wissenschaftler und andere Persönlichkeiten, die sowohl den Glauben an den Fortschritt als auch den Islam repräsentieren, dem die überwiegende Mehrheit der IndonesierInnen angehört. ICMI genießt somit die Sympathie breiter Bevölkerungsschichten – bis hinein ins Militär.
Als vor kurzem der Militärsprecher für soziale und politische Angelegenheiten, General R. Hartono, von Präsident Suharto zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannt wurde, waren viele Beobachter erstaunt. Denn auf der üblichen Karriereleiter, wie sie die Vorgänger im Amt, General Try Sutrisno und Wismoyo Arismunandar, beschritten hatten, war die Vorstufe zum Heereschef der Posten des Vize-Oberbefehlshabers. Doch General Hartono ist ein guter Moslem und steht der islamischen Intellektuellenvereinigung ICMI um Minister Habibie nahe. Es hat somit den Anschein, daß Suharto mit der Ernennung Hartonos der Position von Habibie und ICMI größeres Gewicht innerhalb des Militärs verschaffen wollte. Dies mag jedoch weniger als Parteiergreifung für Habibie zu deuten sein als vielmehr ein Schachzug nach dem Prinzip „teile und herrsche“.
Habibies Macht stützt sich keineswegs nur auf ICMI. Seine eigentliche Machtbasis ist die Kontrolle über ein Imperium von zehn staatseigenen High-Tech-Unternehmen, die allesamt den sogenannten „strategischen Industrien“ zugeordnet werden. Dazu gehören beispielsweise die Flugzeugfirma IPTN, die PT PAL-Werft und die Munitionsfabrik PT Pindad. Diese Firmen liefern einen Großteil der Ausrüstung des indonesischen Militärs. Da die Firmen international zum Teil nicht wettbewerbsfähig sind, wird indonesischen Fluggesellschaften und Privatfirmen beispielsweise die Bestellung von IPTN-Produkten ebenso „nahegelegt“ wie dem Militär. Doch das Militär, das sich seit längerem mit der Gruppe um Habibie im Clinch sieht, zeigt sich darüber verärgert. Die Generäle sind nicht mehr willens, sich von Habibie vorschreiben zu lassen, welche Waffensysteme sie zu welchem Preis zu erstehen haben. Auf dem Weltmarkt ist zum Teil besseres und preisgünstigeres militärisches Gerät im Angebot als das aus dem Hause Habibie.
NVA-Schiffe beenden Indonesiens Glasnost
Zum offenen Streit kam es im Frühsommer 1994 wegen des von Habibie eingefädelten Kaufs von 39 Kriegsschiffen aus Deutschland. Es handelte sich dabei um Altbestände der ehemaligen NVA-Flotte, die zum „Schrottpreis“ in Höhe von insgesamt 20 Millionen US-Dollar abgegeben wurden. Habibie hatte vor Unterzeichnung des Kaufvertrages weder das Militär, noch den Finanzminister konsultiert. Wie erst später bekannt wurde, beliefen sich die Gesamtkosten des Waffengeschäfts inklusive Überführung, Reparatur, Umrüstung, Ausbildung der Besatzungen und begleitenden Infrastrukturmaßnahmen, wie dem Ausbau von Marinebasen und dem Neubau zweier Tankschiffe, auf 1,1 Milliarden US-Dollar. Ein Großteil dieser Summe sollte in die Kassen von Habibies PT PAL-Werft fließen, die mit dem Umbau und der Ausrüstung der Schiffe beauftragt werden sollte. Finanzminister Mar’ie Muhammad weigerte sich, Gelder in der gewünschten Höhe bereitzustellen. Mitarbeiter aus seinem Haus sowie führende Militärs lancierten Informationen an die indonesische Presse. Habibie geriet in Bedrängnis und Präsident Suharto sah sich im Juni 1994 gezwungen, die gesamte Verantwortung für Habibies Handeln auf sich selbst zu nehmen. Eine Woche später holte der Suharto und Habibie nahestehende Informationsminister Harmoko zum Vergeltungsschlag aus und ließ die drei Zeitschriften Tempo, Editor und Detik, die über den Fall berichtet hatten, verbieten.
Die erst Anfang der 90er Jahre von Präsident Suharto selbst verkündete „politische Öffnung“, die Nichtregierungsorganisationen, StudentInnen, ArbeiterInnen und der Presse einen größeren Bewegungsspielraum verschafft und zu einer der Gesellschaft viele Jahre unbekannten Meinungsvielfalt geführt hatte, war mit einem Schlag zu Ende. Seither bläst der Demokratiebewegung des Landes wieder ein eisiger Wind ins Gesicht.
JournalistInnen, die sich der Pressefreiheit verpflichtet sehen, PolitikerInnen und MenschenrechtlerInnen, die frei ihre Meinung äußern wollen, StudentInnen, die auf ihr Versammlungs- und Demonstrationsrecht bestehen, sowie GewerkschafterInnen, die für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, Streikrecht und das Recht auf Gründung freier Gewerkschaften kämpfen, werden mundtot gemacht. Dazu bedient sich die Regierung ausgerechnet der sogenannten „Haatzai-Artikelen“ des Strafgesetzbuches, mit denen die Holländer damals die Unabhängigkeitsbewegung bekämpften. Die „Haatzai-Artikelen“ umfassen Gummiparagraphen wie „Beleidigung des Präsidenten“, „Beleidigung von Vertretern des Staates“, „Aufwiegelung“ und ähnliches, worauf jeweils mehrere Jahre Haft stehen.
Drei Journalisten, Achmad Taufik und Eko Maryadi vom – illegalen – unabhängigen Journalistenverband AJI (Aliansi Jurnalis Independen) und Tri Agus Susanto von der Menschenrechtsgruppe Yayasan Pijar wurden Anfang September zu 32 bzw. 24 Monaten Haftstrafe verurteilt, weil sie an der Herausgabe alternativer Pressemedien beteiligt waren. Danang, ein neunzehnjähriger Bürogehilfe von AJI, der bei einer Razzia zufällig zusammen mit den Journalisten verhaftet wurde, war bereits eine Woche zuvor zu 20 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Auch dem Politiker Dr. Sri-Bintang Pamungkas und der Studentin Yeni Rosa Damayanti, die für die Demonstrationen in Deutschland im April dieses Jahres verantwortlich gemacht werden, droht die Verurteilung auf Grundlage der „Haatzai-Artikelen“.
Droht nach Suharto das Chaos?
Was folgt auf die Ära des 74-jährigen Suharto? Die indonesische Bevölkerung kann weder vom Militär noch von den Zivilisten um Habibie eine ernsthafte Verbesserung der Lage erhoffen. Die größte Gefahr ist, daß das gesamte Gefüge des zentralistisch regierten Vielvölkerstaates auseinanderbricht, mit Risiken wie im ehemaligen Jugoslawien.
Zündstoff ist auf dem indonesischen Archipel zur Genüge vorhanden. Prominentestes Beispiel ist das um seine Selbstbestimmung kämpfende Osttimor. Am 7. Dezember 1975 marschierten in dieser ehemaligen portugiesischen Kolonie indonesische Truppen ein. Wenige Monate nach der Besetzung wurde Osttimor annektiert und zur 27. Provinz Indonesiens erklärt. In der Folge der Invasion starben etwa 200.000 Menschen durch Krieg, Hungersnöte und Seuchen. Bis heute kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen in Osttimor. Auch im ebenfalls annektierten Westpapua (Irian Jaya) sowie in der aufständischen Provinz Aceh gibt es starke Autonomiebestrebungen, denen das Militär mit aller Härte begegnet. Massaker, wie 1991 auf dem Friedhof von Santa Cruz in Dili/Osttimor, sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Andere Formen der Repression wie willkürliche Verhaftungen, Folter, Vergewaltigungen und politische Morde sind an der Tagesordnung. 50 Jahre nach der Unabhängigkeit praktiziert Indonesien somit in Ostimor, Westpapua und Aceh genau dieselbe kolonialistische Politik der Härte, unter der es selbst 350 Jahre lang zu leiden hatte.
Die Unerbittlichkeit und Grausamkeit, mit der das Militär in diesen Gebieten vorgeht, ist das meistgebrauchte Argument gegen westliche Waffenexporte nach Indonesien. Die von der Bundesrepublik gelieferten Kriegsschiffe können dazu dienen, Truppen in die Krisenregionen zu transportieren.
Verheerend könnte die vom Westen geförderte Hochrüstung Indonesiens werden, sollte nach Suhartos Abgang tatsächlich das Auseinanderbrechen des Inselreiches drohen. Wächst in diesem Szenario der schon heute zu beobachtende Riß innerhalb der Streitkräfte zu einer Spaltung des Militärs aus, könnte es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Teilen der Armee kommen, gegen die der Krieg in Bosnien wie eine harmlose Rauferei zwischen Jugendlichen erschiene.
Blutige Hände des Friedensengels
Trotz der Besetzung Osttimors und Westpapuas scheint die Zeit, in der Nachbarländer wie Malaysia oder Australien einen militärischen Angriff Indonesiens befürchteten, vorbei zu sein. Indonesien ist bemüht, zusammen mit den anderen Staaten des ASEAN-Bundes eine gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zu betreiben. Mit Australien werden Militärmanöver durchgeführt. Indonesien versucht sich als Friedensstifter zu profilieren. Die indonesische Diplomatie hatte zu Beginn der 90er Jahre wesentlichen Anteil an den Friedensbemühungen in Kambodscha, die 1993 schließlich zur Rückkehr von König Sihanouk und der Wiederherstellung einer -wenn auch noch schwachen – staatlichen Ordnung führten. Ebenso versucht Indonesien zwischen China, Vietnam und den Philippinen im Konflikt um die Spratley-lnseln zu vermitteln, um eine militärische Auseinandersetzung um die erdölreiche Inselgruppe zu vermeiden. Ende August bot sich Indonesien als Vermittler für die Kriegsparteien in Ex-Jugoslawien an.
Der Versuch, mit solchen friedenspolitischen Initiativen das eigene Ansehen in der Welt zu heben, wird jedoch solange fehlschlagen, wie täglich neue Nachrichten über Menschenrechtsverletzungen aus Indonesien und Osttimor vernommen werden. Es sind das indonesische Volk und die Völker Osttimors und Westpapuas, die die Waffen des indonesischen Militärs zu fürchten haben.
Mit militärischem Druck sichert sich Indonesiens Wirtschaft Wettbewerbsvorteile wie billige Löhne und preisgünstige Grundstücke. Streiks und Demonstrationen von ArbeiterInnen, die höhere Löhne fordern, werden ebenso vom Militär zerschlagen wie Protestaktionen von Bauern, die ihr Land gegen geringe Entschädigungen abgeben müssen.
Ein Beispiel ist der Tod der Arbeiterführerin Marsinah, die vor zwei Jahren grausam vergewaltigt und ermordet wurde. Der Fall sorgte auch international für Aufsehen, so daß sich Indonesiens Justiz gezwungen sah, der Öffentlichkeit Schuldige zu präsentieren, denen der Prozeß gemacht wurde. Nach zahllosen Beschwerden von Menschenrechtsorganisationen beschloß das Oberste Gericht vor kurzem, sieben wegen des Mordes zu Haftstrafen zwischen 4 und 12 Jahren Verurteilte wieder freizulassen. Bereits im November 1994 war der Hauptbeschuldigte, Yudi Susanto, Besitzer der Uhrenfabrik PT CPS, in der Marsinah gearbeitet hatte, wieder auf freien Fuß gesetzt worden, nachdem er bereits zu 17 Jahren Haft verurteilt worden war. Die Anwälte der Beschuldigten hatten geltend gemacht, daß Aussagen, mit denen die Angeklagten sich selbst belastet hatten, im Militärgewahrsam unter Folter zustande gekommen waren, nachdem die Beschuldigten vor Anklageerhebung vom Militär verschleppt worden waren. Indonesiens Öffentlichkeit spekuliert seither offen darüber, daß das Militär selbst die 26-jährige Streikführerin Marsinah vor zwei Jahren verschleppt, vergewaltigt und anschließend ermordet haben könnte. Die spätere Entführung der 9 Zivilisten sollte wahrscheinlich dazu dienen, ihnen Geständnisse abzupressen, um von einer (Mit-)Schuld des Militärs abzulenken.
Vier Tote und drei Verletzte gab es, als am 25. September 1993 in Sampang, Madura, die Sicherheitskräfte auf 500 friedliche DemonstrantInnen schössen, die gegen den Bau eines Staudammes protestierten. Unter den Toten waren eine 51-jährige Frau und ein vierzehnjähriges Kind. Die Bevölkerung war gegen den Bau, weil sie befürchtete, daß 170 ha ihres Landes überschwemmt würden. Militärkommandat Generalmajor Haris Sudarno erklärte dazu: „Es stimmt nicht, daß wir einfach erschießen (…) Falls es zu Ereignissen kommt, wie jetzt am Nipah-Damm, dann muß man die Gründe betrachten, nämlich daß die Entwicklung unter sicheren Bedingungen weitergehen muß.Die Vermessungsbeamten können nur arbeiten und vielleicht später den Damm bauen lassen, wenn sie unter sicheren Bedingungen arbeiten. Das heißt, man muß jede einzelne Situation sehen. Ab und zu mal gibt es einen nervösen Soldaten, der schießt – und die anderen schießen mit“.
Fazit
Solange Suharto die Zügel straff genug in der Hand hält, wird es ihm weiterhin gelingen, die Lage im Land unter Kontrolle zu behalten. Die so garantierte „Stabilität“ wird von ausländischen Investoren durchaus geschätzt. Sie bescheren der Wirtschaft ein bemerkenswertes Wachstum und ermöglichen damit Suhartos Familie sowie einigen Großunternehmern satte Profite. Der scheinbare wirtschaftliche Erfolgskurs wiederum stärkt das Selbstbewußtsein indonesischer-Politiker, mit dem sie westliche Kritiker auf das besondere „indonesische“ Verständnis von Demokratie und Menschenrechten verweisen. Davon unbeeindruckte Bedenkenträger aus den Reihen der internationalen Politik sollen mit Indonesiens außenpolitischem Engagement für den Frieden besänftigt werden.
Doch was passiert, wenn der alternde Suharto die Zügel eines Tages abgeben muß? Die als seine möglichen Nachfolger gehandelten Personen werden die Lücke nicht füllen können, die er hinterläßt. Und die von ihm kleingehaltene Demokratiebewegung wird kaum die Kraft entwickeln können, zum entsprechenden Zeitpunkt die politische Führung des Landes zu übernehmen. Bliebe noch das Militär …
Rolf Weiß ist Mitarbeiter der Gruppe „Watch Indonesia! e.V. – Arbeitsgruppe für Demokratie, Menschenrechte und Umweltschutz in Indonesien“.