R.I.P. Bung Soenarto

Watch Indonesia!, 13. Dezember 2018

von Alex Flor

Soenarto1Es war ein Crashkurs in Asylrecht und internationalen Beziehungen, den ich 1996 erfahren durfte, als unser Verein Watch Indonesia! beabsichtigte Soenarto als Entlastungszeugen zu einem politischen Prozess nach Jakarta zu entsenden. Angeklagt war der Ex-Parlamentarier der indonesischen Partei PPP, Sri-Bintang Pamungkas, den wir zusammen mit deutschen Universitäten und anderen Organisationen im Jahr zuvor zu einer Vortragsreise nach Deutschland eingeladen hatten. Parallel zur Hannover-Messe, zu der Indonesien 1995 als Partnerland eingeladen war, kritisierte Sri-Bintang Pamungkas die Wirtschaftspolitik seines Landes. Nicht mehr und nicht weniger.

Zeitgleich mit dieser Besuchsreise fanden in diversen Städten Aktionen gegen den Besuch von Indonesiens Diktator Suharto statt. Die Stadt Weimar erklärte Suharto zur unerwünschten Person und verweigerte einen Eintrag ins Goldene Buch der Stadt. In Hannover gingen Hunderte auf die Straße, um gegen den Besuch des Diktators zu demonstrieren. Besonders heftigen Widerstand erfuhren Suharto und seine mitreisenden Minister und Familienangehörige jedoch in Dresden. Dort wurde der Bus der Delegation blockiert und von DemonstrantInnen hin und her geschaukelt. Bei einer Gelegenheit außerhalb des Busses wurde Suharto gar mit einer zusammengeknüllten Zeitung auf den Kopf geschlagen.

Unerhört! Solch eine Schmähung hatte der Diktator in den fast 30 Jahren seiner damaligen Amtszeit noch nie erleben müssen. Transparente mit indonesischen Slogans schienen einen Hinweis auf indonesische Hintermänner dieser Demo zu geben – als ob es in Deutschland keine der indonesischen Sprache mächtigen RegimegegnerInnen gegeben hätte! Aber ein Sündenbock musste gefunden werden. Sri-Bintang Pamungkas erschien als ein geeignetes Opfer. Verschiedene Äußerungen während eines Vortrags an der Technischen Universität Berlin wurden ihm zur Last gelegt.

Soenarto war einer der Anwesenden auf dieser Veranstaltung gewesen. Er erklärte sich bereit, vor Gericht zu bezeugen, dass die gegen den Angeklagten vorgebrachten Anschuldigungen manipuliert und aus dem Zusammenhang gerissen waren. Politiker fast aller seinerzeit im Bundestag vertretenen Parteien und nicht zuletzt das Auswärtige Amt unterstützten dieses Anliegen. Aber, wie so oft, steckte der Teufel im Detail: wie konnte Soenarto unbehelligt nach Indonesien reisen, um dort vor Gericht seine Aussage zu Protokoll zu geben? Wer würde die Garantie für seine Unversehrtheit übernehmen können? Und wie würde ihm die Wiedereinreise nach Deutschland möglich sein?

Die Frage nach der Sicherheitsgarantie war schnell beantwortet: keine Behörde in Deutschland oder Indonesien war bereit, eine solche Garantie auszusprechen. Soenarto ließ sich davon jedoch nicht von seinem Entschluss abhalten. Später vor Ort in Jakarta mündete sein Besuch in Szenen, die an einen James-Bond Film erinnern: Einfahrt in ein Parkhaus, schnell die Kleidung und das Fahrzeug gewechselt und nichts wie wieder weg …

Soenarto kam in den frühen 60er Jahren als Student nach Deutschland, genauer nach Dresden in der damaligen DDR. Er hatte gute Erinnerungen an diese Zeit. Jahrzehnte später zeigte er mir angelegentlich eines gemeinsamen Besuchs in Dresden noch diverse Parkbänke, wo er einst Verabredungen mit hübschen Mädchen der FDJ (freie deutsche Jugend) hatte. Aber die politischen Umstände verlangten es, dass er sich wenig später in den Westen absetzte. In West-Berlin wurde er als Asylbewerber anerkannt – der offizielle Status, den er bis zuletzt innehatte. Ein Status, der ihm alle denkbaren Freiheiten einräumte – mit Ausnahme der Freiheit in sein Heimatland zu reisen!

Die dahinterliegende Logik: wer in sein Heimatland reisen kann und dort keine Verfolgung erlebt, braucht nicht länger Asyl in Deutschland.

Würde Soenarto also nach einem hoffentlich unbehelligten Aufenthalt in Indonesien die Wiedereinreise nach Deutschland gewährt werden? Oder liefe er eventuell Gefahr, seinen Asylstatus zu verlieren?

In unzähligen Gesprächen mit dem Auswärtigen Amt und der Berliner Ausländerbehörde versuchte ich diese Fragen zu klären. Die Haltung der Ausländerbehörde war klar:

»Ihr Name?«
»Flor«.
»Dann sind Sie hier falsch! Sie müssen sich unter dem Buchstaben »F« anstellen!«
»Aber es geht um eine Person mit Anfangsbuchstaben »S«!
»Bitte stellen Sie sich unter Ihrem Buchstaben an!«

Fast unnötig zu erwähnen, dass ich bei Buchstaben »F« noch weniger Erfolg hatte.

Zurück zum Auswärtigen Amt: »wenn schon keine Sicherheitsgarantie in Jakarta, welche Garantie können Sie uns zumindest geben, dass Herrn Soenartos kurzer Aufenthalt in Indonesien keine negativen Auswirkungen auf seinen Asylstatus und seine Wiedereinreise haben wird?«

Die darauf folgende diplomatische Antwort sollte uns wohl Mut machen. Wir sollten uns keine Sorgen machen. Das Auswärtige Amt habe die Ausländerbehörde Berlin über den Fall in Kenntnis gesetzt. Als Bundesministerium sei das Auswärtige Amt allerdings gegenüber einer Berliner Landesbehörde nicht weisungsbefugt, und jedweder Versuch einer Einflussnahme des Bundes werde von der Ausländerbehörde als unzulässig zurückgewiesen.

Was nun? Was tun? Erneute Versuche unter Buchstaben »S« oder »F« scheiterten schon daran, dass in der Ausländerbehörde selten jemand den Hörer abnimmt. Letztlich musste Soenarto auf das diplomatische verbrämte Versprechen des Auswärtigen Amtes vertrauen. Schlussendlich ging alles gut. Mit Ausnahme des Urteils über Sri-Bintang Pamungkas: er kam hinter Gitter und wurde erst 1998 aufgrund einer Amnestie für alle politischen Gefangenen durch den nach dem Sturz Suhartos ins Amt gekommenen Präsidenten Habibie freigelassen.

Soenarto war 1991 einer der Mitbegründer von Watch Indonesia! Als Kleinunternehmer und Taxifahrer verfügte er nicht nur über einen Kleinbus und ein Taxi, sondern auch über interessante Kontakte, insbesondere in die Niederlande, die uns in den ersten Gehversuchen als NGO äußerst wertvoll waren. Nicht selten empfingen uns Verbündete in anderen Städten mit Verwunderung: »Ihr habt angeblich keine Mittel, aber ihr könnt es euch leisten aus Berlin mit dem Taxi anzureisen?« Ja, konnten wir. Dank der Unterstützung von Soenarto.

Ein ehrlicher Nachruf soll aber auch nicht ausblenden, dass wir mit Soenarto gelegentlich unsere handfesten Konflikte hatten. Allzu oft »entführte« er unsere Gäste aus Indonesien, um sie in stundenlange Gespräche und ideologische Vereinnahmungsversuche seiner links gewirkten Freunde aus den Reihen anderer des Kommunismus verdächtiger Exilanten zu binden.

Kein Problem! Unsere Gäste waren alt genug, um damit auf ihre jeweilige Weise umzugehen. Es wäre nur schön gewesen, wenn sie auch immer pünktlich zu den von uns geplanten Lobbyterminen wieder verfügbar gewesen wären …

Wir warfen Soenarto, einem in der Kultur Javas groß gewordenen Mann, solche Vorwürfe offen ins Gesicht. Wir duzten ihn. Wir nahmen keinerlei Rücksicht darauf, dass er sich uns allen aufgrund seines Alters als Respektsperson hätte fühlen können. Wir lebten in Berlin! Er hatte sich anzupassen, wenn er sich in fortschrittlichen Kreisen bewegen wollte – und das wollte er unbedingt!

Ein letztes Essay in indonesischer Sprache über Soenartos Schicksal ist letztes Jahr in Martin Aleidas Buch »Tanah Air yang Hilang« erschienen.

Soenarto verließ uns gestern für immer. Dem Vernehmen nach hatte er bis weit nach Mitternacht noch mit seiner Frau gesprochen. Und nach seinem Ableben zeigte er sich mit einem Lächeln auf dem Gesicht. So wurde mir erzählt.

Selamat jalan, Bung Narto! Danke für alles. Wir werden dich vermissen und für immer in Erinnerung halten!

 

Die Trauerfeier findet am Sonntag, 16. Dezember 2018, um 12.30 Uhr in der Kirche St. Agustinus, Dänenstraße 17/18, 10439 Berlin (Prenzlauer Berg) statt.


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1 Kommentar

  1. Ein bewegender Nachruf ! Moege Herr Soenarto in Frieden ruhen.

    Um die politische Entwicklung in Indonesien (und besonders in Aceh) muss man sich ja leider zunehmend Sorgen machen.


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