Wenn Orang Utans wählen dürften
Information und Analyse, 16. April 2019
von Alex Flor
Morgen, am 17. April 2019 werden Indonesiens Wahlberechtigte zu den Urnen gerufen, um den Staatspräsidenten und ein neues Parlament zu wählen. Wie schon vor fünf Jahren treten Joko Widodo (»Jokowi«) und der ehemalige General Prabowo Subianto als Kandidaten gegeneinander an. 2014 gewann der amtierende Präsident Jokowi mit knappem Vorsprung.
Eigentlich können Orang Utans, zu Deutsch die »Waldmenschen«, sprechen. Sie tun es nur nicht. Denn wenn die Menschen von dieser Fähigkeit wüssten, dann müssten die Orang Utans sicher arbeiten gehen. So erzählt man sich jedenfalls im malaiischen Sprachraum. Und weil sie scheinbar nicht sprechen können, haben Orang Utans freilich auch kein Wahlrecht.
Boy ist ein Orang Utan-Waise, der im Sintang Orang Utan Center Kalimantan, lebt. Er berichtete per e-mail über eine Diskussion, die dort stattfand.
»Für wen würden wir stimmen, wenn wir wahlberechtigt wären?«, fragte einer.
»Na für Jokowi natürlich!«, meinte ein anderer. »Prabowo ließ in seiner Zeit als General kaltblütig Menschen verschwinden und ermorden. Was hätten wir Orang Utans wohl von ihm zu erwarten? Jokowi versucht seit einiger Zeit immerhin die Lizenzvergabe an Plantagenbetreiber zu regulieren. Per Dekret (Inpres No. 8/2018) erließ er ein Moratorium über die Genehmigungserteilung für neue Palmölplantagen. Gleichzeitig möchte er die Produktivität bereits vorhandener Plantagen erhöhen. Das klingt doch vernünftig, oder?«
»Und was haben wir davon?«, fragte wütend eine Diskussionsteilnehmerin. »In Tapanuli wurde jüngst eine »neue« Art von Orang Utans entdeckt. Und schon gilt sie als eine der gefährdetsten Arten überhaupt! Jokowi will durch Effizienzsteigerung das Land entwickeln. Freilich nicht unser Land, sondern das Land der Menschen. Im nahe gelegenen Westsumatra fällt immer wieder der Strom aus. Also soll ein neuer Staudamm mitten im Gebiet unserer Brüder und Schwestern Abhilfe schaffen und deren Lebensraum zerstören!«
»Gemach, gemach,« mahnte Boy. »Vielleicht gibt es noch andere Meinungen?«
»Ja!«, sagte einer, der nicht namentlich genannt werden möchte. »Hat wer von euch das Fernsehduell der beiden Kandidaten gesehen, wo es um Umwelt und Ressourcen ging? Ich konnte es durchs Fenster der Station mitverfolgen. Die beiden wurden nach den ökonomischen, sozialen und Umweltaspekten der Palmölwirtschaft gefragt. Sie waren sich einig, dass Palmöl eine der wichtigsten Stützen der indonesischen Wirtschaft sei. Sie stritten sich darum, wie der Anteil von Palmöl zum indonesischen Biodiesel vom derzeitigen 20%-Ziel am schnellsten auf 100% erhöht werden könnte. Die Frage nach den Umweltauswirkungen der Plantagen ließen sowohl Jokowi als auch Prabowo völlig unter den Tisch fallen!«
Ein noch junger Orang Utan ereiferte sich: »Wir sind denen doch sch***egal! Genauso, wie ihnen die Schicksale der ArbeiterInnen auf den Plantagen und die Kleinbauern egal sind. Es geht doch nur ums Geld! Wir brauchen kein Geld, sondern die Erhaltung unseres Lebensraums. Genauso wie viele Subsistenzbauern und Indigene unter den Menschen auch. Mit denen müssen wir eine gemeinsame Front bilden!«
Es trat eine kurze Pause ein, bevor Boy fragte: »Junge, weißt du, was du da sagst? Eine gemeinsame »Front« von rothaarigen Orang Utans mit ausgebeuteten ArbeiterInnen und BäuerInnen? Das kann uns in die Nähe der verbotenen kommunistischen Partei PKI stellen. Deren AnhängerInnen wurden 1965/66 zu Hunderttausenden ermordet oder in Lager gesteckt.«
»Und welcher der Kandidaten setzt sich dafür ein, dass diese Verbrechen endlich aufgearbeitet werden?«, fragte der aufmüpfige junge Orang Utan. Schweigen im Regenwald.
»Vielleicht sollten wir keinen von beiden wählen,« meinte ein Älterer. »Der ganze Streit zwischen ihnen dreht sich doch nur darum, wer unseren Lebensraum zerstören darf. Im Fernsehduell gab Prabowo zu, über Nutzungsrechte (HGU) an tausenden Hektar in Kalimantan und Aceh zu verfügen. Es sei doch sicher besser, wenn er als Indonesier, statt eines Ausländers diese Nutzungsrechte wahrnehme? Freunde, es ist mir egal, welche Nationalität der Mensch hat, der den letzten Baum hier fällen wird. Es ist mir auch egal, wer Indonesiens nächster Präsident wird. Für uns ist das keine echte Wahl. Wenn wir wählen dürften, sollten wir alle ungültige Stimmzettel abgeben.«
»Vielleicht,« sagte Boy. »Aber du weißt hoffentlich, dass der Aufruf zum Wahlboykott in Indonesien strafbar ist? Und derzeit diskutieren sie sogar, ob auch die Stimmverweigerung unter Strafe gestellt werden sollte.«
»Ja,« sagte der alte Orang Utan. »Ich weiß. Für einige Menschen mag die Wahl wichtig sein, aber nicht für uns. Vielleicht ist es ganz gut, dass wir sowieso nicht wählen dürfen.«
Ich glaube nicht, dass Aufruf zum Wahlboykott in Indonesien illegal ist. Z.B. hat der Staatsrechtler Mahfud MD vor kurzem bestätigt, dass kein Rechtsbruch vorliegt. Das war wichtig, weil Mahfud lose mit dem Jokowi Camp assoziiert ist und somit intern Wiranto’s (und MUI’s) Versuch entgegengetreten ist, Golput Aufrufe durch hanebüchene Rechtsverbiegungen zu kriminalisieren. In Mahfud’s Erklärung ist zwar der Sachverhalt „Aufruf zu Golput“ nicht explizit angesprochen, aber er formuliert doch (in direktem Gegensatz zu Wiranto), dass ein Rechtsbruch erst dann eintritt, wenn Wähler eingeschüchtert oder behindert werden. Das ist bei einem Aufruf in der Regel ja nicht der Fall…
https://www.cnnindonesia.com/nasional/20190328152024-32-381484/mahfud-md-golput-itu-hak-secara-hukum-tak-masalah